Weg zur Eskalation: Die Sudetenkrise und Henleins „Karlsbader Programm“
Immer etwas mehr fordern, als erfüllt werden kann – so lautete der Plan der Sudetendeutschen Partei (SdP) zur Zerschlagung der Tschechoslowakei. Dazu arbeitete der Parteivorsitzende Konrad Henlein das „Karlsbader Programm“ aus. Dieses wurde am 24. April 1938 verabschiedet.
Rund drei Millionen Sudetendeutsche lebten damals in Böhmen und Mähren, das war rund ein Drittel der dortigen Bevölkerung. Die deutschen Siedlungsgebiete lagen meist in den Grenzregionen, die stärker als der Rest der Tschechoslowakei unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise litten. Dies bildete den idealen Nährboden für die nationalsozialistische Propaganda aus Berlin und die nationalistische Ausrichtung der Sudetendeutschen Partei von Konrad Henlein.
Anweisungen aus Berlin
Ab März 1938 versuchte Adolf Hitler, die Lage in der Tschechoslowakei so weit zur Eskalation zu bringen, dass er die Wehrmacht einmarschieren lassen konnte. Der erste Schritt erfolgte nach einer Unterredung des deutschen Reichskanzlers mit Henlein in Berlin: Am 24. April stellte die SdP bei ihrem Parteitag in Karlovy Vary / Karlsbad einen Forderungskatalog an die tschechoslowakische Regierung vor. Dieser umfasste acht Punkte.
Die erste Forderung war die volle Gleichberechtigung der deutschen Minderheit als Staatsnation. Zudem sollte die Tschechoslowakei die deutschen Siedlungsgebiete im Land anerkennen und dort den Aufbau einer eigenen Selbstverwaltung mit deutschen Beamten ermöglichen. In Punkt sechs hieß es: „Beseitigung des dem Sudetendeutschtum seit 1918 zugefügten Unrechts und Wiedergutmachung des ihm dadurch entstandenen Schadens.“ Die letzte Forderung lautete, dass den Deutschen in der Tschechoslowakei erlaubt sein müsse, sich voll „zum deutschen Volkstum und zur deutschen Weltanschauung“ zu bekennen.
Der SdP-Parteitag fand nur wenige Wochen nach dem deutschen Einmarsch in Österreich statt. Und nur einen Tag vor der Konferenz begann die Wehrmacht, den „Plan Grün“ umzusetzen, an dessen Ende die Eroberung der Tschechoslowakei stehen sollte.
Verrat der Verbündeten
Die Regierung in Prag lehnte zunächst die meisten Forderungen des Karlsbader Programmes resolut ab. Doch die SdP und Hitler-Deutschland eskalierten weiter die Lage, die ethnischen Spannungen nahmen zu, und es kam zu bewaffneten Auseinandersetzungen.
Außerdem geriet die Tschechoslowakei unter den Druck ihrer Verbündeten – vor allem Großbritanniens mit dem konservativen Premierminister Neville Chamberlain an der Spitze und in kleinerem Maße auch Frankreichs mit Ministerpräsident Edouard Daladier. Beide Länder riefen aus Angst vor dem drohenden Krieg den tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Beneš dazu auf, wenigstens in Teilen den deutschen Forderungen nachzukommen.
Letztlich gipfelte die Krise im Münchner Abkommen, mit dem Prag zur Abtretung der Sudetengebiete an Deutschland gezwungen wurde. Die Tschechoslowakei war allerdings nicht zu den Verhandlungen in München zugelassen, am Tisch saßen nur Hitler, Chamberlain, Daladier sowie der italienische Regierungschef Benito Mussolini. Das Abkommen wurde am 29. September 1938 unterschrieben. Die Beschlüsse wurden der tschechoslowakischen Regierung diktiert und bedeuteten das Ende der Ersten Republik. Am 1. Oktober marschierte die Wehrmacht ins sogenannte Sudetenland ein.
Das „Münchner Diktat“, wie das Abkommen bis heute von den Tschechen genannt wird, war der erste Schritt zur Zerschlagung der Tschechoslowakischen Republik durch Hitler. Kaum ein halbes Jahr später trennte sich die Slowakei ab, und die Wehrmacht besetzte die restlichen Staatsgebiete, die zum deutschen „Protektorat Böhmen und Mähren“ erklärt wurden.