Weniger Verkehr durch Prag – aber wie?
Mitten durch Prag führt eine Art Autobahn: Es ist die so genannte Magistrale. Sie zerschneidet praktisch die Innenstadt. Ihre Anwohner atmen die schlechteste Luft der Stadt und brauchen schalldämmende Fensterscheiben. Schon seit vielen Jahren wird überlegt, wie man das Problem lösen kann. Sowohl der Prager Magistrat als auch die betroffenen Stadtteile, aber auch Verkehrsinitiativen wie zum Beispiel AutoMat haben schon Vorschläge gemacht. Nur auf einen gemeinsamen Nenner sind sie bisher nicht gekommen. Seit Freitag findet nun an einem der verkehrsträchtigsten Knotenpunkte der Magistrale, dem Platz I.P.Pavlova, ein Festival statt. Die „Offene Bühne I.P.Pavlova“, so der Name, soll dabei helfen, endlich eine allgemein akzeptierte Lösung für die vielbefahrene Straße zu finden.
Warum aber ausgerechnet an einem Ort, an dem man manchmal sein eigenes Wort nicht versteht? Yvette Vašourková leitet das CCEA, das Centre for Central European Architecture. Dieses beschäftigt sich mit städteplanerischen Fragen und nicht so sehr mit Kulturveranstaltungen. In einem Café nahe I.P. Pavlova erläutert Vašourková, worum es geht:
„Die offene Bühne I.P. Pavlova ist eine zweiwöchige Veranstaltung. Dafür haben wir ein kleines Sträßchen direkt am Platz für den Verkehr gesperrt und in eine Kulturbühne verwandelt. Das Programm haben nicht wir zusammengestellt, sondern alle möglichen Menschen, die sich spontan mit ihren Projekten gemeldet haben. Innerhalb von zwei Monaten kamen über 50 Veranstaltungen zusammen mit mehr als 100 Teilnehmern. Unser Motto lautet ‚Die Magistrale als neuer städtischer Boulevard’, und das hat unglaublich gezogen. Es hat die Bewohner Prags zusammengeführt. Alles Weitere werden wir sehen. Uns interessiert, welche Meinung die Öffentlichkeit zur Idee eines städtischen Boulevards hat. Mit dem Festival wollen wir testen, ob an einem so befahrenen Stück Straße überhaupt Kulturveranstaltungen möglich sind, denn das ist ja ziemlich ungewöhnlich.“ Der heutige Klang an I.P. Pavlova ist eine Entwicklung der vergangenen vier Jahrzehnte. Die Magistrale ist praktisch die Verlängerung der Autobahn D1 aus Brno / Brünn, sie kommt von Südosten her über die Nusletal-Brücke und führt am Nationalmuseum und am Hauptbahnhof vorbei. Václav Vondrášek ist stellvertretender Bürgermeister des zweiten Prager Stadtbezirks, zu dem der Platz I.P. Pavlova gehört. Der Politiker der konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS) kann sich noch gut an andere Zeiten erinnern:„Bevor die große Brücke über das Nusle-Tal eröffnet wurde, war das hier eines der schönsten Wohnviertel in Prag – eine ruhige Gegend, die Straßenbahn fuhr von hier bis runter ins Nusle-Tal. Dort waren Krankenhäuser, die später zum Teil aufgelöst wurden, und es gab ein öffentliches Schwimmbad. Es ließ sich hier einfach gut leben. Das ist heute nicht mehr möglich. Hier fahren in beiden Richtungen täglich jeweils 100.000 Autos durch. Und das mitten durch die enge und hohe Bebauung, in der viele Menschen leben. Das müssen wir ändern.“
Vor einigen Jahren hatte der Prager Magistrat die Idee, die Autos auf Höhe des Wenzelsplatzes unter die Erde zu schicken. Die Idee wurde sogar unter großem Medieninteresse präsentiert. Doch der zweite Prager Stadtbezirk war gegen diese Lösung. Denn einige Hundert Meter weiter wären die Anwohner weiter hinter geschlossen Fenstern gehockt – wegen des Lärms und der Abgase. Václav Vondrášek:„Ein kurzer Tunnel wäre keine Lösung gewesen. Nur für die Prag-Besucher hätte er interessant sein können, weil damit der Übergang zwischen Wenzelsplatz und dem Nationalmuseum wieder frei geworden wäre. Für die Stadtbewohner hätte dies nichts gebracht. Die Fakultät für Verkehr an der Technischen Universität Prag hat für uns eine Studie dazu erstellt. Demnach ist das Fußgängeraufkommen am Nationalmuseum nur halb so groß wie an I.P.Pavlova. Während dort 10.000 Menschen pro Tag die Magistrale überqueren, sind es hier am Platz 20.000.“
Das Problem auf der Magistrale ist dabei nicht so sehr der Fernverkehr, sondern der innerstädtische Verkehr. Die Nusle-Brücke ist die einzige Verbindung für rund 250.000 Bewohner aus den südlichen Stadtteilen in Richtung Norden. Vondrášek wäre froh über den Bau von ein oder zwei weiteren Brücken. Doch dagegen gibt es Widerstand in den betroffenen Wohngebieten. Wenn also weitere Brücken nicht in Aussicht stehen und die Magistrale auch nicht einfach so unter der Erde verschwinden kann, muss diese Stadtautobahn verändert werden. Dass dies mittlerweile auch den Lokalpolitikern einleuchtet, zeigt eine Tatsache: Der zweite Prager Stadtbezirk unterstützt neben dem Prager Oberbürgermeister das Festival an I.P.Pavlova.„Diese Veranstaltung zeigt, dass es sich hier leben lassen könnte und sich der öffentliche Raum hier zu anderen Zwecken nutzen ließe anstatt zum Autofahren. Deswegen haben wir auch die Schirmherrschaft über die Veranstaltung übernommen. Es ist aber nur eine Art Aufschrei, der zeigen soll, dass es wirklich auch anders geht. Und dass für eine dauerhafte Lösung die Magistrale beruhigt werden muss“, so Vizebürgermeister Vondrášek.Die Einsicht der Politiker freut die Stadtplaner. Deren Philosophie entspricht eher dem Motto westdeutscher Bürgerinitiativen aus den 1980er Jahren:„Wer Straßen säht, wird Verkehr ernten.“ Yvette Vašourková:
„Falls wir zum Beispiel im Zentrum neue Wege und neue Straßen schaffen würden, dann entstünden nur weitere Möglichkeiten für Autos. Die Tendenz in den meisten europäischen Städten, aber selbst in New York geht vielmehr dahin, den Autoverkehr einzuschränken und zugleich Alternativen anzubieten wie Fahrradwege und dichteren öffentlichen Nahverkehr.“Vašourková hält es glaubt nicht, dass erst der innere Prager Stadtring fertiggestellt werden muss, bevor die Magistrale beruhigt werden kann. Begonnen werden sollte hingegen möglichst bald. Das Ziel heißt: anstatt der Stadtautobahn einen städtischen Boulevard von Rang zu erschaffen. Wie dieser Boulevard aussehen könnte, dazu sollen in den kommenden 14 Tagen auf I.P. Pavlova auch die Bürger selbst diskutieren. Das Stadtplanerbüro hat natürlich ebenfalls einige Vorstellungen:
„Eines unserer ersten Ziele ist, dass ein Radweg entsteht. Dies muss in Zusammenarbeit mit den betroffenen Stadtbezirken geschehen, also neben dem zweiten auch mit dem vierten und siebten Bezirk. Ein Radweg kostet nicht viel und ließe sich sehr elegant auf der Magistrale einrichten. Das Ziel ist also nicht, den Verkehr zu trennen – das ist auch nicht das Konzept des 21. Jahrhunderts -, sondern ihn zusammenzuführen. Auch soll aus der Magistrale keine Fußgängerzone werden, das will keiner. Deswegen nennen wir das Ganze einen Boulevard. Das heißt, hier sollen sich Autos, Fußgänger und Fahrradfahrer treffen. Dazu könnten wir uns Busse und Straßenbahnen vorstellen, denn die Leistungsfähigkeit der Metro dürfte an ihre Grenzen stoßen, wenn mehr Prager begännen, den ÖPNV anstatt das Auto zu nutzen.“Dazu braucht es aber nicht nur schirmende Hände der Politiker, sondern auch zupackende.