Wer darf Geschichte interpretieren? Neo-Stalinistin muss sich nicht entschuldigen
Wie weit darf man sich aus dem Fenster lehnen, wenn man die Geschichte interpretiert? Und vor allem, wenn man in der Politik ist? Damit musste sich das Prager Stadtgericht im Falle der kommunistischen Abgeordneten Marta Semelová auseinandersetzen. Und es kam ihr in der Frage entgegen.
Nun, mehr als 60 Jahre später, war der Prozess wiederum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens vor dem Prager Stadtgericht. Und das wegen dieser Aussage der kommunistischen Abgeordneten Marta Semelová aus dem Jahr 2014:
„Das war halt so in dieser Zeit, was an sich schon unglücklich war. Nichtsdestotrotz hat ja Milada Horaková alles gestanden, was ihr vorgeworfen wurde. Und ich bezweifle sehr stark, dass dieses Geständnis erzwungen war.“Doch nicht nur ihre Aussagen zu Milada Horáková brachten Semelová vor Gericht. Sondern die Politikerin bezeichnete auch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei 1968 als internationale Hilfe, und die Zahl der Opfer des Kommunismus nannte sie aufgebauscht. Mittlerweile gebe es mehr Opfer als Einwohner der Tschechoslowakei damals, so Semelová.
Einer, der von diesen Aussagen schockiert war, ist der Abgeordnete Michal Kincl von der konservativen Top 09. Er erstatte Anzeige und wollte vor Gericht eine schriftliche Entschuldigung von Marta Semelová erzwingen. Er hätte Angst gehabt nach den Aussagen Semelovás, dass das verbrecherische und totalitäre kommunistische Regime wieder auferstehen könnte, so Kincl.Bereits in erster Instanz lehnte das Amtsgericht für den ersten Prager Stadtbezirk eine Verurteilung Semelovás ab. Jetzt wurde sie auch in zweiter Instanz vom Stadtgericht in Prag rechtskräftig freigesprochen und muss sich nicht entschuldigen. Sie hätte nicht Kincl persönlich angegriffen, so die Begründung der Richter. Allein die Nachkommen von Milada Horáková könnten sich durch die Worte Semelovás angegriffen fühlen und einen Prozess anstrengen, hieß es.
Marta Semelová kommentierte am Donnerstag das Urteil:„Auf keinen Fall sollte ein Gericht festlegen, wie etwas in der Geschichte war oder eben nicht. Abgesehen davon finde ich eine Sache besonders absurd: Der Kläger will gerade dadurch die Redefreiheit beschneiden.“
Semelová betont dabei, dass sie ihre Aussagen in einer öffentlichen Diskussion vorgebracht habe. Sie wolle auch weiterhin an ihren Ansichten festhalten, so die Abgeordnete. Sie sähe keinen Grund, diese zu ändern.
Die Gegenseite kann die Entscheidung der Gerichte nicht nachvollziehen. So äußerte sich im Anschluss an das Verfahren Jaroslav Bárta, der Anwalt von Michal Kincl:„Die Aussagen sind ja nicht von irgendjemandem beim Stammtisch im Wirtshaus gefallen, sondern von einer Abgeordneten des tschechischen Parlaments.“
Michal Kincl erwägt nun, in dem Fall vor den Obersten Gerichtshof zu ziehen.