Westböhmen knüpft Erwartungen wie Befürchtungen an den EU-Beitritt
Nicht einmal mehr ein ganzer Monat trennt die Tschechische Republik von dem großen Augenblick, der das Land in Atem hält und der für noch viele offene Fragen sorgt: der EU-Beitritt. Dessen immer mehr bewusst werden sich auch die Unternehmer und Wirtschaftsexperten des Landkreises Plzen/Pilsen, die im Vorfeld auf das große Ereignis am 1. April einen so genannten Europäischen Tag in ihrer Kreisstadt durchführten. Ein Teil dieses "Europatages" war eine zu ökonomischen Fragen veranstaltete Konferenz, bei der auch Lothar Martin zugegen war. Hier sein Bericht.
"Unser Beitritt zur EU öffnet uns die Barrieren, die es bisher gab, wenn auch noch nicht alle, wie z. B. bei der Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Aber zumindest die Handelsbarrieren werden fallen. Ganz sicher aber bringt der Beitritt im weitesten Sinne des Wortes eine kulturvolle Komponente mit sich. Ich meine damit solche Dinge wie eine kultivierte Lebensweise, eine kultivierte Form der Verhandlungsweise im Geschäftsleben sowie eine kultivierte Art und Weise des Zusammenlebens und der demokratischen Entscheidungsfindung. Das erwarte ich ganz sicher und ich denke, das erwartet hierzulande auch die Mehrzahl derer, die für den EU-Beitritt gestimmt haben."
Den Worten des stellvertretenden Bürgermeisters von Pilsen, Miroslav Kalous, zufolge sei die Kreisstadt gut auf den Beitritt und die damit verbundene Möglichkeit der Ausschöpfung der europäischen Strukturfonds vorbereitet. Da man eine klare Vision zum Entwicklungsprogramm der Stadt habe, wisse man anhand der Fonds viele konkrete Investitionen zu tätigen, sagte Kalous. Weniger optimistisch äußerte sich dagegen der Vorstandsvorsitzende der Handelskammer des Landkreises Pilsen, Zdenek Muzík, der vor allem die sich verschärfende Situation der hiesigen Kleinunternehmer und Mittelständler im Auge hat:"Wir rechnen mit Problemen, und zwar in der Hinsicht, dass sich die Konkurrenz erheblich erhöht, insbesondere durch die klein- und mittelständischen Unternehmen aus Bayern. Bisher hatten sie sich noch nicht in Tschechien niedergelassen aus Furcht vor der tschechischen Gesetzgebung, die ihnen zu wenig Rechtssicherheit zu geben schien. Bisher hatten sich nur Großunternehmen nach Tschechien gewagt, weil sie das nötige Geld dafür aufbringen konnten, ihre Vertragsbeziehungen rechtlich überprüfen und absichern zu lassen. Ab dem 1. Mai werden aber auch die kleinen und mittleren Firmen diesen Schritt vollziehen, weil sie dann die gleichen Rechte haben wie auf dem bisherigen EU-Gebiet. Der massive Zulauf dieser Firmen wird daher zum Problem für die örtlichen Unternehmer."Sollten die westböhmischen Unternehmer aber nicht umgekehrt auch in Bayern und Oberösterreich aktiv werden? Dazu erklärte Zdenek Muzik:
"Hier ist es erforderlich, strukturell zu unterscheiden, welche Unternehmungen ich will. In der EU, insbesondere in Deutschland und Österreich, hat man eine Übergangsfrist von bis zu sieben Jahren nach dem Beitritt für tschechische Arbeitnehmer festgelegt. Das blockiert auch die Möglichkeiten der hiesigen Unternehmer, in Deutschland und Österreich zu investieren. Das gilt vor allem für den Bereich Bauwesen und all die Bereiche, die in der ersten Phase nach dem Beitritt konkurrenzfähig und in der Lage wären, unser Kapital auszuführen."
Nun aber bestehe besonders auf der bayerischen Seite die Befürchtung, dass dortige Unternehmen ihre Herstellungstechnologie nach Tschechien auslagern, um hier Produktionshallen zu errichten und tschechische Arbeitnehmer zu beschäftigen, sagte Muzík. Daher glaube er, so Muzík, nicht an die Auffassung der Soziologen, die das extreme Abwandern der hiesigen Arbeitskraft befürchten, sondern eher daran, dass das deutsche und österreichische Kapital nach Tschechien kommen.