Westdeutschland ist erschrocken über den Einmarsch in die ČSSR

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Nach dem 21. August 1968 war in der Tschechoslowakei alles anders. Die Menschen konnten nicht glauben, was sie aus den Medien erfuhren. Auch in Deutschland. Im siebten Teil unserer 68er-Serie geht es um die Reaktion der Bundesrepublik auf den Einmarsch sowjetischer Truppen in die Tschechoslowakei.

„Was geschehen ist, wissen Sie. Ein Nachbarland der Bundesrepublik Deutschland erlebt etwas, das in der ganzen freien Welt tiefe Trauer und Bestürzung, Protest und Angst ausgelöst hat. Ein Land hat seine erst kürzlich erworbene Freiheit verloren. Verloren, noch während es dabei war, sie zu festigen.“

Der Sender Deutsche Welle sprach den Menschen am 21. August 1968 aus der Seele. Sie konnten nur schwer glauben, was aus den Transistorradios an ihre Ohren drang. Mit dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen wuchs die Angst vor einem Dritten Weltkrieg. Im Mittelpunkt stand aber die Anteilnahme deutscher Bürger gegenüber dem Nachbarland, wie eine Umfrage ergab.

Auf die Frage hin, was sie von dem Einmarsch in der Tschechoslowakei halten, antworteten die Menschen: „Vorläufig erscheint es mir als unglaubwürdig, dass so etwas geschehen konnte.“ Andere sahen ihre Vorahnungen bestätigt: „Jetzt hat sich endlich mal gezeigt, dass Russland doch nicht so friedliebend ist, wie immer behauptet wird. Ich meine, dass die Intervention der Sowjetunion letzten Endes auf sie selbst zurückfallen wird, weil sich die westlichen Staaten wohl alle geschlossen hinter die Tschechoslowakei stellen werden.“ Und was hat die Deutschen an der Invasion am meisten betroffen? „Dass die Russen gewagt haben, überhaupt die Rechte der Tschechoslowakei zu verletzen.“

Es wurde aber auch Enttäuschung über das sowjetische Verhalten laut, wie von diesem Mann, der befragt wurde:

„Ich hatte eigentlich gehofft, dass die Russen im Laufe der letzten Jahre klüger und vernünftiger geworden sind und etwas mehr für den Weltfrieden tun wollten und jetzt sind sie wieder nackt und bloß und zeigen sich tatsächlich als kommunistische Faschisten.“

Dem Gefühl der Ohnmacht folgte Unsicherheit. Die Deutschen hielten den Atem an: Würden die führenden Männer in Bonn ihre Ostpolitik der Entspannung und Annäherung fortsetzen? Nachdem sich Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger mit seinem Kabinett beraten hatte, äußerte er sich wie folgt in den Medien:

„Wir werden unsere Ostpolitik fortsetzen. Natürlich gibt uns das, was in der Tschechoslowakei geschehen ist, Anlass darüber nachzudenken, ob wir alles ganz richtig gemacht haben. Ich glaube, dass wir einen richtigen Weg gegangen sind.“

Außenminister Willy Brandt zeigte sich erschrocken. Eine sowjetische Invasion in der Tschechoslowakei hatte er nicht für möglich gehalten. Vor allem die Beteiligung deutscher Soldaten aus der DDR bedauerte er - rief sie doch Erinnerungen an den Einmarsch der Nazis 1939 hervor.

„Das tschechoslowakische Volk soll hören, wie eindringlich unsereins darum bitten muss, nicht dem Deutschen Volk nachzutragen, dass erneut Söhne dieses Volkes als Okupationstruppen auf tschechoslowakischen Boden stehen müssen. Ich hätte gehofft, dass uns diese Schmach erspart geblieben wäre.“

Hilfe könne er dem tschechoslowakischen Nachbarn allerdings nicht versprechen, sagte Brandt. Zu groß war die Gefahr einer politischen Krise, gar eines Dritten Weltkrieges. Stattdessen wies Brandt darauf hin, dass die transatlantische Zusammenarbeit gestärkt werden müsse. Hans-Jürgen Wischnewski, Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, sah voraus, dass sich die Sowjetunion mit dem Einmarsch ins eigene Fleisch schneiden würde:

„Der Überfall wird nicht ohne weitere Auswirkungen bleiben auf die weitere Entwicklung im Ostblock, auf die Entwicklung der kommunistischen Parteien in Westeuropa und auf das Ansehen des Kommunismus in der ganzen Welt.“

Wischnewski sollte Recht behalten. Dennoch: Der Kommunismus beherrschte das Land noch 21 Jahre. Erst 1989 läutete die so genannte „Samtene Revolution“ sein Ende ein.