Widerstand gegen die Nazis im Protektorat Böhmen und Mähren
Die Tschechen sind stolz auf die Teilnahme ihrer Soldaten in den ausländischen Armeen während des Zweiten Weltkriegs. Zur Zeit des Kommunismus wurde dieses Kapitel aus der tschechischen Geschichte vernachlässigt, aber seit der Wende 1989 ist es dann allgemein bekannt geworden. Der Widerstand vor Ort, im Protektorat Böhmen und Mähren, während der Besatzung durch Hitler von 1939 bis 1945 steht dagegen immer noch etwas im Schatten der Betrachtung. Dabei war er ebenso bedeutend wie der Widerstand aus dem Ausland.
„Jeder, der sich entschloss, am organisierten Widerstand teilzunehmen, musste eine Erklärung unterschreiben, dass er sich der Todesgefahr nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Nächsten bewusst war. Als unsere Gruppe verhaftet wurde, wussten wir also ganz genau, dass uns nur die Hinrichtung erwarten konnte. Wir haben uns deshalb darauf geistig vorbereitet.“
Schon als 16-jähriger Schüler am Gymnasium in der ostböhmischen Stadt Česká Třebová / Böhmisch Trübau schloss sich Bořivoj einer illegalen antinazistischen Organisation an. Zusammen mit weiteren Jugendlichen gab er Flugblätter und eine Zeitschrift heraus. Am Radiogerät seines Vaters hörte er ausländische Sendungen und übersetzte ihre Nachrichten. Zudem half er dem Organisationsleiter ab und zu bei Sabotagen, zum Beispiel bei der Beschädigung von Güterwagen bei Militärtransporten. 1943 flog die Widerstandsgruppe auf. 17 Jugendliche wurden nach den Ermittlungen und Verhören durch die Gestapo vor den Volksgerichtshof in Berlin gestellt. Warum gerade dort, das erklärt der Publizist und Schriftsteller Stanislav Motl:„Vor den Volksgerichtshof kamen Leute, die nach der damaligen juristischen Terminologie das Reichsschutzgesetz verletzt hatten. Es handelte sich ausschließlich um die Widerstandskämpfer, für Nazis galten sie als die gefährlichsten Feinde. Wie aus den Dokumenten hervorgeht, ging es hierbei von den Angehörigen verschiedener Nationen gerade den Tschechen am schlimmsten. Die Nazis konnten es nicht ertragen, dass Leute aus dem Protektorat, die aus ihrer Sicht unter dem Schutz des Reiches standen, es wagten, gegen das Reich zu kämpfen. Deshalb bekamen sie beim Volksgericht die härtesten Strafen.“
Bořivoj Bartoníček und seine drei Kameraden wurden für ihre Tätigkeit zum Tod verurteilt. Nach dem Urteil wurde jeder von ihnen in eine separate Zelle gesperrt. Dies geschah am 20. Juli 1944, am denselben Tag, als das Attentat von Stauffenberg an Hitler misslang. Bartoníček erinnert sich an seine Gefängniszeit mit 66-jährigem Abstand:
„Auf dem Boden der Zelle lagen Haarbüschel und ein abgeschnittener Hemdkragen. So wurden die Verurteilten auf die Hinrichtung vorbereitet. Es war alles perfekt organisiert, die Zellen blieben keine Minute leer. Sobald ein Häftling weggeführt worden war, kam der nächste. Die Zellen wurden offiziell „Kramkästchen“ genannt. Wir waren Tag und Nacht gefesselt, damit wir beispielsweise nicht schreiben konnten. Ich habe mir verboten, an die Guillotine zu denken. Man kann sogar sagen, ich war stolz darauf, dass ich für die Nazis so gefährlich war. In diesem Sinne waren wir auf den Widerstand vorbereitet worden, auch meine Eltern waren damit einverstanden. Nur am Montagmorgen und Donnerstagmorgen haben mich die Schläge der Guillotine aufgeschreckt, dies waren die Hinrichtungstage. Ansonsten habe ich mich in die Bücher aus der Gefängnisbibliothek verkrochen, die zu lesen war uns erlaubt.“
Es ist kaum zu glauben, aber die tschechischen Widerstandskämpfer haben sich im Brandenburger Gefängnis Respekt bei ihren Wächtern erworben. Sie hatten sich freiwillig zum Widerstand entschlossen und rechneten mit dem Tod. Deshalb lehnten sie es ab, für bloße Opfer gehalten zu werden. Sie fühlten sich als Soldaten, die auf dem Gebiet des Feindes kämpften.„Wenn man weiß, wofür die Strafe ist, dann ärgert man sich nicht. Ähnlich wie Jan Hus vor seiner Verbrennung: Er hat sich nicht beklagt, er schimpfte nicht und schrie auch nicht auf dem Scheiterhaufen. Er hat dort gebetet, denn er fühlte sich im Recht. So hat er seine Richter moralisch besiegt. In Brandenburg war es dasselbe: Vor den Volksgerichtshof kamen keine kriminellen Verbrecher, sondern die Elite des Widerstandes. Auch unsere Gegner wussten das. Als die Wärter sahen, wie wir uns verhielten, welche Bücher wir lasen und wie gut wir Deutsch konnten, dann sagten sie oft zu mir: „Morgen, Herr Bartoníček; gute Nacht, Herr Bartoníček.“ Dabei war ich erst 19! Die Wärter wussten, was uns erwartet, und trotzdem verhielten sie sich uns gegenüber anständig. Sie wussten, dass wir den Kopf bis zum Ende aufrecht tragen werden“, so Bartoníček.
Todesstrafen gegen tschechische Widerstandskämpfer wurden aber nicht nur in Brandenburg vollstreckt. Auch im Prager Gefängnis „Pankrác“ wurde 1943 eine Hinrichtungsstätte geschaffen. Der Henker dort, der ehemalige Lagerhausverwalter Alois Weiss, richtete bis Kriegsende 1075 Menschen mit der Guillotine hin. Darüber hinaus wurden an vielen weiteren Orten des Protektorats Hinrichtungen durch Erschießen vorgenommen. Vor allem in der Zeit der „Heydrichiade“, also nach dem Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich, wurden Tausende Tschechen als „Feinde des Reiches“ erschossen. Ihre Namen wurden tagtäglich im Rundfunk verlesen. Selbst der Ministerpräsident der Protektoratsregierung, Alois Eliáš, wurde wegen Widerstandstätigkeit hingerichtet – als einziges Regierungsmitglied in den von den Nazis besetzten Ländern. Die Historiker glauben, dass die Zahl der hingerichteten Widerstandskämpfer im Protektorat größer war, als die Zahl der gefallenen tschechischen Soldaten in allen ausländischen Armeen zusammen.Und das Schicksal von Bořivoj Bartoníček? Fünf Monate lang wartete er auf seine Hinrichtung. Zweimal in der Woche drohte, dass der Staatsanwalt an die Tür seiner Zelle klopfte und ihm den Vollzug der Todesstrafe ankündigte. Im Dezember 1944 geschah jedoch ein Wunder: Er und seine zwei Kameraden aus der Widerstandsgruppe wurden begnadigt. Die Todesstrafe wurde in eine langjährige Haftstrafe umgewandelt. Nach dem Kriegsende kehrte Bořivoj Bartoníček nach Hause zurück. Es war ein einzigartiges Glück, das Tausende anderer nicht hatten. Deshalb lehnt er es grundsätzlich ab, dass lebende Widerstandskämpfer geehrt werden. Nur die Toten verdienen in seinen Augen eine Auszeichnung.
Dieser Beitrag wurde am 11. September 2010 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.