Widerstand sudetendeutscher Christen gegen Hitler

Ausstellung „Zeugen für Menschlichkeit“ (Foto: Martina Schneibergová)

„Zeugen für Menschlichkeit“ heißt eine Ausstellung in Prag, die den christlichen sudetendeutschen Widerstand gegen Hitler dokumentiert. Welche Menschen das war, die sich gegen das NS-Regime aufgelehnt haben.

Ausstellung „Zeugen für Menschlichkeit“  (Foto: Martina Schneibergová)
Ordensfrauen, Priester sowie Laien: Zehn Menschen stehen im Blickpunkt der Ausstellung. Als tief gläubige Christen stellten sie sich gegen das nationalsozialistische System und bezahlten das mit ihrem Leben. Sie starben in Konzentrationslagern oder in Hinrichtungsstätten. Kardinal Dominik Duka ist einer der Schirmherren der Schau.

„Es ist eine Ausstellung für aktive Menschen. Sie werden angeregt, sich nicht nur die Bilder und Dokumente anzuschauen, sondern auch die Texte zu studieren. Dies finde ich sehr wichtig. Wir spüren bis heute, wie die antideutsche Propaganda die Gesellschaft beeinflusst hat. Diese Ausstellung macht deutlich, dass diese Menschen ihre Liebe zur Freiheit und zur Wahrheit bewiesen haben – und das bis zum Tod.“

Josef Tippelt - Lehrer und ungewollter Held

Josef Tippelt  (Quelle: Archiv des Instituts für Kirchengeschichte Böhmen-Mähren-Schlesien)
Einer dieser unerschrockenen Christen war der Lehrer Josef Tippelt (1908-1943). Er stammte aus Horní Maršov / Marschendorf im Riesengebirge. Tippelt engagierte sich im Katholischen Böhmischen Gesellenverein, der späteren Kolping-Bewegung. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland wies er darauf hin, dass den Christen ernste Gefahr drohe. Josef Tippelt habe vor allem die Erziehung und die Jugendarbeit für wichtig gehalten, sagt Historiker Jan Stříbrný von der Tschechischen Christlichen Akademie. Stříbrný war beteiligt am Aufbau der Ausstellung.

„Als sich unter den Sudetendeutschen der Nationalsozialismus durchzusetzen begann, stand Tippelt eindeutig auf Seiten der Opposition. Nach dem Anschluss Österreichs 1938, den der dortige Kardinal Innitzer befürwortet hatte, schrieb Tippelt ihm einen persönlichen und sehr kritischen Brief. Die Gestapo hat den Brief aber abgefangen. Nach der Besetzung der Sudetengebiete durch Hitler-Deutschland wurde Tippelt gleich im Oktober 1938 verhaftet. Er kam dann zwar noch einmal frei, wurde aber wieder verhaftet. Tippelt wurde vorgeworfen, antideutsche Aktivitäten des tschechoslowakischen Staates unterstützt zu haben. Er wurde wegen Hochverrats angeklagt und 1942 in Berlin zum Tod verurteilt. Am 6. März 1943 wurde er im Gefängnis Plötzensee hingerichtet.“

Jan Stříbrny  (Foto: Archiv der Tschechischen Christlichen Akademie)
Josef Tippelt sprach neben Deutsch auch sehr gut Tschechisch. Er war ein sehr engagierter Christ.

„Einzigartig ist bei ihm, dass er sich gegen bedeutend einflussreichere Menschen gestellt hat, die mit Henleins Partei sympathisierten. Tippelt war ein Mensch, der in ruhigen Zeiten scheinbar unauffällig und bedeutungslos war. In der Zeit der Gefahr bewies er großen Mut und war ein Vorbild für andere.“

Nach der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei wurde der Widerstand sudetendeutscher Christen hierzulande praktisch totgeschwiegen. Deutsche seien offiziell als Feinde wahrgenommen worden, sagt der Historiker. Nicht einmal 1968 wurde über das Thema gesprochen. Unter den Vertriebenen in Deutschland blieb die Erinnerung an den christlichen Widerstand jedoch lebendig, erzählt Jan Stříbrný.

„Ende der 1960er Jahren begann man in Deutschland über Sudetendeutsche zu forschen, die Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten. Dank der Ackermann-Gemeinde und weiteren Kontakten wurden bereits einige dieser Helden auch hier bekannt. Zum Thema wurde dies in Tschechien aber erst Ende der 1990er Jahre, nachdem der deutsche Band ,Zeugen für Christus‘ erschienen war. Darin waren auch sudetendeutsche Christen porträtiert, die von den Nazis ermordet wurden. In einem ähnlichen tschechischen Werk, das erst erscheinen wird, wurden dann insgesamt 38 deutsche Christen aufgenommen, die ihre Gegnerschaft zu Hitler mit dem Leben bezahlt haben. 32 davon stammten aus den sudetendeutschen Gebieten. Die restlichen sechs waren Mitglieder von Orden aus Deutschland, die während der nationalsozialistischen Besatzung Böhmens hierherkamen. Sie ersetzten junge Priester, die zur Wehrmacht eingezogen wurden.“

Engelmar Unzeitig  (Foto: Martina Schneibergová)
Von diesen 38 Persönlichkeiten wurden zehn ausgewählt, deren Schicksal in der Ausstellung geschildert wird. Einige sind mittlerweile bekannt, besonders in jenen Gegenden, aus denen sie stammten. Doch ansonsten sind ihre Namen außerhalb kirchlicher Kreise kein Begriff.

Engelmar Unzeitig auf dem Weg zum Priesterberuf

Zu jenen Persönlichkeiten, die in ihrer Heimatregion nicht vergessen wurden, gehört Engelmar Hubert Unzeitig. Er stammte aus Hradec nad Svitavou / Greifendorf bei Zwittau. Unzeitig wuchs in einer Bauernfamilie auf. Da sein Vater im Ersten Weltkrieg in russischer Kriegsgefangenschaft starb, mussten alle Geschwister einschließlich seiner auf dem Bauernhof hart arbeiten. Historiker Stříbrný:

„Mit 16 Jahren wollte er sich den Marianhiller Missionaren anschließen. Seine Mutter war jedoch dagegen, denn eigentlich sollte er den Bauernhof übernehmen. Die Redemptoristen aus Svitavy überredeten aber die Mutter, und als 17-Jähriger ging Hubert nach Deutschland. Dort machte er sein Abitur und studierte in Würzburg Theologie und Philosophie. 1939 wurde er zum Priester geweiht. Die erste Messe las er in seinem Geburtsort Hradec nad Svitavou.“

Der „Engel aus Dachau“

KZ Dachau  (Foto: U.S. Holocaust Museum,  Public Domain)
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hinderte Unzeitig daran, in die Mission zu gehen. Aus Würzburg wurde er von seinen Vorgesetzten in das oberösterreichische Riedegg geschickt, wo der Orden ein Gymnasium betrieb. Der Bischof aus Linz verwaltete damals die südböhmischen Gebiete, die Deutschland angeschlossen wurden. Er schickte Unzeitig als Seelsorger im Herbst 1940 nach Zvonková / Glöckelberg im Böhmerwald. Der Historiker:

„Er war nicht an den harten Böhmerwald-Winter gewöhnt, bemühte sich aber sehr um die Gläubigen dort. Dank seiner Wahrhaftigkeit war er bei der Bewohnern beliebt. Nicht aber bei den führenden Nazi-Funktionären in der Region. Im April 1941 wurde Unzeitig von der Gestapo verhaftet und ins KZ Dachau verschleppt.“

Der Grund der Verhaftung waren Unzeitigs Predigten und seine Offenheit im Religionsunterricht. Er sagte beispielsweise den Schülern, dass die Menschenrechte auch für Juden und Roma gelten.

Foto: CC0 1.0
„In Dachau war Unzeitig im Pfarrerblock inhaftiert. Er durfte die Kapelle besuchen. 1943 arbeitete er in den Dachauer Messerschmitt-Werken, dort waren Gefangene aus ganz Europa eingesetzt. Unzeitig sah, dass die Gefangenen aus dem Osten, also aus Russland, der Ukraine und Weißrussland, die allerärmsten waren. Er fing an, Russisch zu lernen, um mit ihnen sprechen zu können. Er gab ihnen sein Essen. Im Herbst 1944 brach eine Typhus-Epidemie im Konzentrationslager aus. Anfang 1945 breitete sich die Epidemie so weit aus, dass auch einige Ärzte starben. Es mangelte an Personal, und die KZ-Leitung forderte die Priester auf, sich freiwillig zur Krankenpflege zu melden. 20 Geistliche meldeten sich, darunter auch Engelmar Unzeitig. Die Mehrheit von ihnen steckte sich unheilbar an. Unzeitig starb am 2. März. Ein weiterer Priester, der dort ebenfalls an Typhus starb, war Richard Henkes. Sein Schicksal wird ebenfalls in der Ausstellung dokumentiert. Ich weiß noch von einem dritten Geistlichen, der sich freiwillig gemeldet hatte und in Dachau starb: Das war der junge Priester Josef Kos aus Kolín in Mittelböhmen.“

Augustinus Franz Schubert  (Foto: Martina Schneibergová)
„Engel aus Dachau“, so wurde Engelmar Unzeitig von seinen Mithäftlingen genannt. Sie erreichten, dass der Verstorbene gesondert eingeäschert wurde. Auf einem geheimen Weg wurde die Urne mit seiner Asche aus dem KZ geschmuggelt und auf dem Friedhof in Würzburg beigesetzt. Später kam die Urne in die Klosterkirche der Mariannhiller Missionare. Am 24. September vergangenen Jahres wurde Engelmar Unzeitig im Dom zu Würzburg seliggesprochen.

Augustinus Franz Schubert - Ordenspriester und Fußballfan

Zu den zehn Zeugen für Menschlichkeit gehört nicht zuletzt ein Ordenspriester, der aus dem Prager Stadtteil Žižkov stammte. Augustinus Franz Schubert (1902-1942) war zweisprachig, er hatte eine tschechische Mutter und einen deutschen Vater. Schubert studierte Slawistik in Prag und schrieb eine Dissertationsarbeit über die Soziallehre des tschechischen Reformators Petr Chelčický. Er war Mitglied des Vereins Staffelstein. Dieser Verein war von deutschen Akademikern gegründet worden setzte sich für ein Leben im Zeichen des Glaubens ein. Schubert entschied sich wie einige seiner Freunde aus dem Verein für den Priesterberuf. Vier davon traten dem Augustinerorden bei. Nach dem Studium in Deutschland wurde Schubert zum Priester geweiht. Danach wurde er Prior des Augustinerordens beim Heiligen Thomas auf der Prager Kleinseite. Historiker Stříbrný:

Augustinus Franz Schubert predigte in der Prager Thomaskirche  (Foto: Martina Schneibergová)
„Er war ein sehr charismatischer Mensch mit viel Energie. Er war passionierter Sportler, liebte den Fußball und war ein treuer Fan von Sparta Prag. Schubert war aber vor allem ein hervorragender Prediger und Seelsorger mit viel Intuition. Darum war er als beliebter Beichtvater sowohl bei Tschechen beliebt als auch bei Deutschen.“

Warnung vor „Wandalen“

Schubert war zudem Publizist sowie im Turnverein Orel aktiv. In der Zeit des aufkommenden deutschen Nationalismus stellte er sich auf die tschechische Seite, denn er spürte, dass sie gefährdet war. Der Historiker:

„1938 predigte er am Tag des heiligen Augustin in der Thomaskirche. In seiner Predigt verglich er Prag mit Augustins Stadt Hippo, die von Wandalen umzingelt war. Jeder wusste, was damit gemeint war. In der Zeit der Mobilisierung predigte er im verdunkelten Veitsdom, in dem nur Kerzen brannten. Schubert glaubte, dass schon bald der Krieg ausbrechen würde. Und dann hätten die Männer, die in den Grenzfestungen das Land verteidigen würden, von den Bewohnern im Hinterland unterstützt werden müssen. Er sagte: ,Sie halten die Waffe in der Hand, und wir müssen die Hände falten.‘ Der Text der Predigt ist erhalten. Es ist einer der stärksten Texte aus dieser Zeit. Den nationalsozialistischen Einmarsch am 15. März 1939 bezeichnete Schubert als das größte an Tschechen verübte Unrecht. Er galt daher als Verräter an der sogenannten ,Deutschen Sache‘.“

KZ Sachsenhausen  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 183-78612-0002 / Unknown/ CC-BY-SA 3.0)
Als geistlicher Beirat des Vereins Orel predigte Schubert im Sommer 1940 bei der Wallfahrt im mährischen Hostýn. Er wandte sich in sehr emotionalen Worten an die Jungfrau Maria mit der Bitte um den Schutz für das tschechische Volk.

„Die Wallfahrtsmesse wurde vom Rundfunk im ganzen Protektorat übertragen. Einige Tage später wurde Schubert von der Gestapo direkt im Kloster verhaftet. Er wurde ins KZ Sachsenhausen und von dort aus weiter nach Dachau gebracht. Dort wurde er gefoltert und bekam nichts zu Essen. Schubert litt an Tuberkulose. Er starb am 28. Juli 1942.“

Jan Stříbrný hält Augustinus Franz Schubert für eine bedeutende Persönlichkeit, die erst noch weiter entdeckt werden müsse. Er sei ein Symbol des christlichen Widerstands gewesen, so der Historiker.

Kulturminister Herman: Diese Menschen haben nicht aufgegeben

Ausstellung „Zeugen für Menschlichkeit“  (Foto: Martina Schneibergová)
Die Wanderausstellung ist von der Ackermann-Gemeinde in Zusammenarbeit mit der Christlichen Akademie Prag zusammengestellt worden. Kulturminister Daniel Herman (Christdemokraten) ist Vorsitzende der tschechischen Schwesterorganisation der Ackermann-Gemeinde:

„Die Ausstellung über den sudetendeutschen christlichen Widerstand finde ich sehr wichtig. Denn es handelt sich um konkrete Steinchen im Mosaik bei der Aufarbeitung der Vergangenheit. Beschrieben wird das Schicksal konkreter Menschen, die gegen das NS-Regime gekämpft haben und deswegen gelitten haben. Die Situation war damals sehr schwierig, aber diese Leute haben nicht resigniert. Dies ist auch für uns im 21. Jahrhundert sehr aktuell.“

Daniel Herman nahm vergangenes Jahr auch an der Seligsprechung von Engelmar Unzeitig teil.

Die Ausstellung „Zeugen für Menschlichkeit“ ist im Prager Emmaus-Kloster zusehen, und zwar noch bis 31. März. Das Kloster ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

„Ich habe die letzte Pfarrei, in der Engelmar Unzeitig gearbeitet hat, mehrmals besucht – das ist Glöckelberg im Böhmerwald an der tschechisch-österreichischen Grenze. Er war damals ein junger Priester, der sich offen gegen die NS-Ideologie gestellt hat. Dafür wurde er ins KZ Dachau verschleppt, wo er starb. An seinem Leben ist zu sehen, wie wichtig der Glaube an Gott ist, der zur inneren Stabilität führt. Den Tempel im eigenen Herzen zu haben, das halte ich für notwendig. Oft hat man kaum andere Möglichkeit, um eine innere Stärke zu gewinnen.“