Wirtschaftspolitische Bilanz der sozialdemokratischen Regierung

Die Parlamentswahlen stehen in Tschechien vor der Tür, und das ist die Zeit, in der die Politiker vom Wahlvolk Quittung und Leistungsausweis für die Zeit der vergangenen Legislaturperiode präsentiert bekommen, in der die Ergebnisse an den Versprechen vor den letzten Wahlen gemessen werden. Für uns ein Anlass, einen Blick darauf zu werfen, was sich die sozialdemokratische Regierung vorgenommen hatte und was sie effektiv erreicht hat.

Logo der Sozialdemokraten
Man erinnert sich: als die Sozialdemokraten vor vier Jahren erstmals seit der Wende eine Parlamentswahl gewannen und danach entgegen allen Prognosen mit einer Minderheitsregierung die Regierungsmacht übernahmen, lamentierten sie zuerst über den schlechten Zustand der Wirtschaft und versprachen darauf, zu einer Verbesserung der Lage beizutragen. Die Situation hat sich tatsächlich verbessert, das sei gleich gesagt, doch was dabei Verdienst der Regierung ist, ist bei Politikern und Fachleuten umstritten.

Doch zunächst zu einigen Fakten. 1998 befand sich die tschechische Wirtschaft in der Talsohle der Rezession, die durch die Währungskrise von 1997 und die dadurch notwendigen Sparpakete bewirkt worden war. Die Durststrecke dauerte noch bis zum Jahr 2000, dann aber wendete sich das Blatt, und heute präsentiert sich die tschechische Wirtschaft in robuster Verfassung. Das Wachstum ist im regionalen Vergleich relativ kräftig und jedenfalls kräftiger als in der Europäischen Union, an deren Niveau man sich im Hinblick auf den EU-Beitritt ja annähern will. Die Investitionen fliessen ins Land wie noch nie, die Inflation ist auf gutem, will sagen tiefem Niveau unter Kontrolle, und die tschechische Krone hat gegenüber dem Euro über die letzten Monate deutlich an Wert gewonnen, was als Ausdruck steigender Leistungsfähigkeit und zunehmenden Anlegervertrauens interpretiert werden kann. Soviel zur Haben-Seite. Dem steht jedoch eine deutliche Zunahme der öffentlichen Schuld entgegen, die sich über die vergangenen vier Jahre praktisch verdoppelt hat. Das heisst, im Klartext ausgedrückt, dass ein Teil des Wachstums mit einem Kredit erkauft wurde, der von der nächsten Generation abgezahlt werden muss.

Was war nun für diese Entwicklung die Leistung der sozialdemokratischen Regierung? Kritiker meinen, es sei 1998 nicht schwer gewesen, Besserung zu versprechen, weil sich diese auf Grund zyklischer Gesetzmässigkeiten der Wirtschaftsentwicklung ohnehin eingestellt hätte. An dieser Argumentation ist natürlich etwas dran; dennoch gibt es eindeutige Verdienste der Regierung, die man im Übrigen den Sozialdemokraten nicht unbedingt zugetraut hätte.

Dazu gehört an vorderster Stelle die Beendigung der Privatisierung der halbstaatlichen Grossbanken. Die vorherigen bürgerlichen Regierungen unter den Ministerpräsidenten Klaus und Tosovsky hatten von Bankenprivatisierung zwar gesprochen, aber nur eine Bank, nämlich die IPB, verkauft, und die erst noch schlecht. Ferner hatte die Übergangsregierung Tosovsky die Entstaatlichung einer zweiten Bank in die Wege geleitet, der CSOB; hier waren die Sozialdemokraten mehr in der Rolle der Vollstrecker als der Planer. Voll für sich verbuchen kann die Regierungspartei hingegen die Privatisierung der zwei grössten Banken des Landes, der Sparkasse Ceska Sporitelna und der Komercni banka. Ausserdem ermöglichte sie in einer spektakulären und bis heute heftig umstrittenen Aktion der CSOB, die kurz vor dem Absturz stehende IPB zu schlucken. Wichtig ist bei der Bankenprivatisierung der Effekt auf das Klima für die Zugänglichkeit von Krediten: Der Teufelskreis von Verflechtung, Verfilzung und Rücksichtnahme der halbstaatlichen Banken auf politische Interessen konnte mit dem Verkauf an starke ausländische Partner durchbrochen werden. Die Entstehung einer harten Konkurrenzsituation spüren Bürger und Unternehmer positiv in einer breiteren Palette von Bankprodukten, die Kredite zugänglicher gemacht und dem Binnenkonsum Impulse verliehen haben und damit zur Steigerung des Wirtschaftswachstums beitragen.

Als zweiten unzweifelhaften Pluspunkt kann die Regierung die massive Steigerung des Zuflusses ausländischer Investitionen für sich verbuchen. Unter den bürgerlichen Regierungen waren Investitionsanreize verpönt gewesen, doch in einem Umfeld, in dem die Nachbarn Tschechiens und direkten Mitkonkurrenten um Investitionen internationaler Konzerne Sonderkonditionen anboten, zahlte es sich für Tschechien aus, nicht päpstlicher als der Papst zu sein. Tatsächlich ist Tschechien, Hand in Hand mit der wirtschaftlichen Stabilisierung und Erholung, zu einem der offensichtlich attraktivsten Investitionsstandorte in Ostmitteleuropa geworden, und wie das statistische Amt erst unlängst dargelegt hat, sind die Investitionen eines der Zugpferde des gegenwärtigen Wirtschaftswachstums.

Nicht alles ist aber nur eitel Sonnenschein. Eines der Prestigeprojekte der sozialdemokratischen Regierung, die sogenannte Revitalisierung industrieller Schlüsselunternehmen, muss als Misserfolg bezeichnet werden. Über die Restrukturierung der Stahlindustrie wird immer noch nur gesprochen, und auch andere Grossunternehmen, denen auf die Beine geholfen werden sollte, sind immer noch in Schwierigkeiten. Was auf dem Feld der Investitionen geholfen hat, nämlich eine stärkere Handschrift des Staates in der Wirtschaftspolitik, hat hier nicht den erhofften durchschlagenden Erfolg gebracht und zudem ein prominentes Opfer gefordert. Finanzminister Mertlik nahm vorzeitig den Hut, weil es ihm nicht gelungen war, seinen liberaler ausgerichteten Kurs gegen die eher staatsinterventionistischen Vorstellungen des Industrieministers Gregr durchzusetzen.

Der stärkste Vorwurf an die Regierung lautet indessen, mit vollen Händen Geld ausgegeben zu haben, das sie gar nicht hatte, und damit zukünftige Generationen zu belasten. In der Tat war es über die gesamte Legislaturperiode gesehen mit der sozialdemokratischen Finanzdisziplin nicht zum besten bestellt. Das war in den ersten zwei Jahren nachvollziehbar, hiess der Plan doch, mit einem Defizithaushalt das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln. Unabhängige Ökonomen hätten allerdings erwartet, dass mit dem Erreichen dieses Ziels die Ausgabenlust zurückgeschraubt und das Ansteigen der Staatsverschuldung gebremst würde. Dies ist aber nicht geschehen und ist deshalb für Beobachter und ausländische Institutionen der häufigste Grund zu Kritik an der tschechischen Wirtschaftspolitik. Denn es besteht die Gefahr, dass mit einer allzu abenteuerlichen Finanzpolitik das derzeitige Wachstum auf wackligen Füssen steht und sich die nächste Sparübung schon am Horizont abzeichnet. Bemühungen zu einer strukturellen Veränderung der überbordenden Staatsausgaben, etwa durch eine durchgreifende Rentenreform oder eine Neustrukturierung der Sozialausgaben, hat man bei den Sozialdemokraten bisher vergeblich gesucht.

Was bleibt also unter dem Strich für eine abschliessende kurze Bewertung? Die Sozialdemokraten haben zweifellos Verdienste für die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums, und aus wahlstrategischer Sicht haben sie sich gewiss richtig verhalten. Denn was die Bevölkerung interessiert, ist mehr Geld in der eigenen Börse, und das ist erreicht worden. Die aufgehäuften öffentlichen Schulden sind weniger sichtbar und werden erst spät nach den Wahlen bezahlt. Inwieweit diese Gangart dem langfristigen Interesse Tschechiens dient, wird sich weisen müssen. Welcher Perspektive das Wahlvolk die Priorität einräumt, werden wir in einigen Tagen sehen.

Autor: Rudi Hermann
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