Grundsatzrede vor Unternehmern: Premierminister analysiert tschechische Wirtschaftslage
Der tschechische Premierminister Jirí Paroubek hielt dieser Tage in Prag vor Unternehmern eine Grundsatzrede, mit der er die Ausgangssituation und die künftigen Herausforderungen auf dem Gebiet der tschechischen Wirtschaft analysierte. Fazit: Vieles wurde bereits geschafft, viele Anstrengungen sind noch zu bewältigen. Gerald Schubert war dabei:
In der feierlichen Atmosphäre des Sofien-Palastes auf einer Prager Moldauinsel zog der sozialdemokratische Premier Paroubek zunächst eine positive Wirtschaftsbilanz, vor allem hinsichtlich des laufenden Jahrzehnts:
"Wir sind nun bereits im sechsten Wachstumsjahr. In den letzten Jahren stieg das Bruttoinlandsprodukt um jeweils vier Prozent, im ersten Quartal dieses Jahres waren es sogar 4,4 Prozent. Bildhaft gesprochen: Wir hatten sechs fette Jahre, während derer das Realeinkommen um ein Drittel anstieg, der Verbrauch der Haushalte expandierte, und das ganze Land von einem komplett neuen Netz aus Supermärkten überzogen wurde, mit einem früher gänzlich unbekannten Sortiment von Waren aus aller Welt."
Auch im Wohnbau, beim Umweltschutz oder bezüglich des Antlitzes von Städten und Gemeinden hat es Fortschritte gegeben, meinte Paroubek, und sparte dabei nicht mit Lob für die allesamt sozialdemokratisch dominierten Vorgängerregierungen seit dem Jahr 1998. Aber:
"Ich bin weit davon entfernt, in Jubel auszubrechen. Man muss ganz nüchtern sehen, dass diese fetten Jahre auch ihre Schattenseiten haben. Betrachten wir die reale Verbesserung des Lebensniveaus der Bevölkerung: Wenn es uns auch schmeichelt, dass wir nach den letzten internationalen Studien die niedrigste, ich wiederhole: die niedrigste Armutsquote in ganz Europa haben, so kann man doch nicht sagen, dass wir wirklich reich wären."
Die Einkommen nämlich sind zwar wie gesagt gestiegen, liegen aber immer noch weit hinter den Löhnen in den alten EU-Staaten. Gerade bei hoch qualifizierten Arbeitskräften wie Mittel- und Hochschullehrern, Ärzten oder Spezialisten in wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen sei dieses Gefälle besonders stark zu spüren. Eine selbstkritische Einschätzung zwar, die Paroubek aber doch auch mit seiner Ansicht nach falschen Privatisierungsschritten konservativer Regierungen in Verbindung bringt - konkret mit den Regierungen des heutigen Staatspräsidenten Václav Klaus:
"Hier hat auch das geheimnisvolle Paradox der Gegenwart seine Wurzeln, dass wir bei der Produktivität den westeuropäischen Staaten heute viel näher sind als beim Lohnniveau. Konkret: Im Jahr 2004 betrug das tschechische Einkommensniveau im Vergleich zum Durchschnitt der 15 alten EU-Staaten 42 Prozent, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf jedoch 64 Prozent."
Mehr über die aktuelle Debatte zur Perspektive der tschechischen Wirtschaft, vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung in der Europäischen Union, können Sie am Sonntag nächster Woche in unserer Rubrik "Schauplatz" hören.