„Noch mehr Öl ins Feuer gegossen“ – Politologe Schuster zur Verschiebung des Streiks

Foto: ČMKOS

Der Gewerkschaftsprotest gegen die Reformen der Regierung ist auf Donnerstag verschoben. Doch unabhängig vom Termin ist es bereits die dritte Kundgebung der Gewerkschaften im Laufe von zwölf Monaten. Im Vergleich zu früheren Jahren, als in Tschechien kaum gestreikt wurde und wenn, dann nur in einem sehr überschaubaren Rahmen, könnte der Kontrast kaum größer sein. Dazu ein Gespräch mit dem Radio-Prag-Mitarbeiter und Politologen Robert Schuster.

Leitung der Gewerkschaften  (Foto: ČTK)
Robert, erleben die tschechischen Gewerkschaften angesichts ihrer in letzter Zeit sehr konsequenten Haltung gegenüber der Regierungspolitik, die auch vor Streikmaßnahmen nicht Halt macht, gerade so etwas wie einen zweiten Frühling? Und wenn ja, wie ist das zu erklären?

„Die Gewerkschaften tun sich natürlich leichter, wenn wie jetzt eine bürgerliche Regierung an der Macht ist, denn da lässt sich deren Politik einfacher als Feindbild aufbauen. Dann lassen sich nicht nur die eigenen Mitglieder und Anhänger besser mobilisieren, sondern auch Leute, die halt nicht Mitglied der Gewerkschaften sind oder mit der Gewerkschaft als solche nichts anzufangen wissen.

Es muss aber auch festgehalten werden, dass keine Regierung in der vergangenen Zeit so gravierende Maßnahmen geplant hat im Gesundheits- und Sozialbereich sowie bei den Renten wie die jetzige Regierung. In der Vergangenheit war es zudem so, wenn zum Beispiel sozialdemokratische Regierungen an der Macht waren, wie die der Ministerpräsidenten Špidla, Gross oder Paroubek, dann taten sich die Gewerkschaften auch schwerer, gegen die aktuelle Regierung zu mobilisieren. Aus dem einfachen Grund, weil es stets eine sehr enge Verflechtung zwischen den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften gegeben hat und immer noch gibt. Ich erinnere nur daran, dass zum Beispiel Richard Falbr, der vor einiger Zeit ein sehr wichtiger Chef des Gewerkschaftsdachverbandes in Tschechien war, heute Europa-Abgeordneter der Sozialdemokraten in Brüssel ist. Und auch dessen Nachfolger, Milan Štěch, ist nahtlos in die Politik gewechselt. Er ist jetzt für mehrere Jahre Senator und wurde im Herbst vergangenen Jahres sogar zum Vorsitzenden des Senats gewählt. Das ist immerhin die protokollarische Nummer zwei im Staat. Das Fazit also lautet: Wenn die Sozialdemokraten an der Macht sind, tun sich die Gewerkschaften in der Regel weitaus schwerer, ihre Politik beziehungsweise ihre Interessen durchzusetzen.“

Wie stark sind die Gewerkschaften in der Gesellschaft verankert? Vor der Wende gab es praktisch eine Art Zwangsmitgliedschaft, unmittelbar nach der Wende jedoch einen großen Aderlass. Eine Umfrage des Tschechischen Fernsehens ergab immerhin, dass drei Fünftel der Befragten Verständnis für die Ziele des Streiks haben…

„Die Verankerung der Gewerkschaften in der Gesellschaft ist natürlich nicht so stark. Die Tschechen sind generell skeptisch gegenüber jeglicher Mitgliedschaft, auch in Parteien und in anderen Gruppen, deren Wirkungskreis sich in der Gesellschaft, in der Politik bewegt. Da sind die Tschechen sehr vorsichtig. Aber man muss auch sagen, dass die Gewerkschaften keine aktive Mitgliederwerbung betreiben. Wenn man zum Beispiel auf die Homepage des Gewerkschaftsdachverbands schaut und versucht dort zu finden, wie man Mitglied werden kann, dann wird man zwar irgendwie auf zwei weitere Seiten weitergeleitet, aber man hat keinen direkten Zugang, wie man das im digitalen Zeitalter erwarten würde.

Streik in Frankreich  (Foto: ČTK)
Allerdings ist zu beobachten, dass auch in Ländern mit einer ausgeprägten Streikkultur wie Frankreich, Italien oder Spanien die traditionellen Gewerkschaften an Bindekraft verlieren, weil sich ganz einfach die ganze Situation im Arbeitsbereich, im Arbeitsrecht verändert hat. Ich glaube, die Gewerkschaften vertreten immer noch das ´ideale´ Arbeitsbild, dass man einen unbefristeten Arbeitsvertrag hat, dann tatsächlich im Alter von zwanzig Jahren bis zur Rente an einem Arbeitsplatz verbringt und natürlich auch geschützt wird. Den Gewerkschaften wird daher oft vorgeworfen, solch ein Bild zu haben. Aber die Situation ist heute eine völlig andere: Die befristeten Arbeitsverhältnisse gerade bei jungen Arbeitnehmern nehmen rapide zu, und das sind dann Menschen, die sich von einer traditionell agierenden Gewerkschaft nicht vertreten fühlen können.“

Václav Klaus  (Foto: ČTK)
Hat die Regierung mit ihrem Versuch, den Streik auf juristischem Wege durch eine einstweilige Verfügung verbieten zu lassen, nicht zusätzlich Öl ins Feuer gegossen?

„Nein, man muss sich fragen, ob sich die Regierung überhaupt anders hätte verhalten können. Es wäre sicher ein Fehler gewesen, wenn sie gar nichts unternommen hätte, das hätte als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden können. Da der Verhandlungsweg zwischen Regierung und Gewerkschaften ausgeschlossen schien, weil beide Seiten hartnäckig blieben, konnte eben nur noch eine einstweilige Verfügung des Gerichts helfen oder der Regierung einen gewissen Sieg bescheren. Viel mehr Öl ins Feuer gießen meiner Meinung nach die Aussagen einiger Politiker, die offen zum Streikbruch aufgerufen haben, so etwa Staatspräsident Václav Klaus. Klaus verhält sich dabei gemäß seiner politischen Vorbilder Ronald Reagan und Margret Thatcher. Beide waren in den 80er Jahren mit großen Streikwellen in ihren Ländern konfrontiert, die sich über mehrere Monate hinzogen, und beiden gelang es, diese Streikwellen zu brechen. Aber wie gesagt, das sind meiner Meinung nach die Aussagen, die noch zusätzlich polarisieren werden und die Gewerkschaften dazu bringen, noch stärker zu streiken.“