Wohin mit den EU-Milliarden? Transparency International warnt vor "finanziellem Tsunami"

Die Organisation Transparency International, die sich weltweit dem Kampf gegen Korruption widmet, hat dieser Tage in Prag vor einem Problem gewarnt, das bei vielen Menschen wohl erstmal Erstaunen auslöst: Über die neuen EU-Mitgliedstaaten, also auch über Tschechien, droht eine Flut von Geld hereinzubrechen. Sogar von einem "finanziellen Tsunami" war die Rede. Ausgelöst werde dieser von den Mitteln aus den EU-Strukturfonds. Dort warten, gemäß dem Finanzrahmen der Europäischen Union für die Jahre 2007 bis 2013, allein auf Tschechien mehr als 22 Milliarden Euro. Transparency International warnt natürlich nicht vor dem Geld an sich, sondern davor, dass es in die falschen Hände geraten oder unsachgemäß ausgegeben werden könnte. Was tun mit den EU-Milliarden? Ein "Schauplatz" von Gerald Schubert.

Warum der Geldsegen aus Brüssel auch zum Problem werden kann, ist leicht erklärt: Die finanziellen Mittel aus den europäischen Strukturfonds stellen einen beachtlichen Teil der öffentlichen Finanzen dar. Diese allerdings werden - nicht nur in Tschechien - im Rahmen eines sehr komplizierten und nicht immer ausreichend transparenten Systems verteilt. Die ersten Gefahren lauern bereits bei der Vergabe der Projekte, die mit EU-Geldern finanziert werden, sagt Adriana Krnacova, die Direktorin von Transparency International Prag:

"Die Informationen, die von den diversen Ministerien zur Verfügung gestellt werden, sind sehr diffus. Die Ministerien haben verschiedene Informationsquellen, die meistens nicht aufeinander abgestimmt sind. Auch die Terminologie ist unterschiedlich. Für die Antragsteller ist es also sehr schwierig, sich hier auszukennen. Damit fängt es an. Außerdem herrscht meistens nicht sehr viel Transparenz, wenn es darum geht, wem ein bestimmtes Projekt letztlich zuerkannt wurde und warum - beziehungsweise was die Gründe sind, warum jemand anders das Projekt nicht bekommen hat. Das ist eigentlich überhaupt nicht klar."

Adriana Krnacova
Auch das Monitoring bereits laufender Projekte sei fehleranfällig, sagt Krnacova. So gebe es etwa zur Beurteilung, ob ein Projekt erfolgreich abgewickelt wird oder nicht, 900 verschiedene Kriterien. Das Personal der Behörden reiche bei weitem nicht aus, um hier verlässliche Bewertungen vorzunehmen. Ein Teufelskreis, denn:

"Diese Bewertungen sollen maßgeblich dazu beitragen, die Prozesse zu verbessern. Wenn aber das Monitoring qualitativ nicht gut ist, dann kann man davon auch keine guten Empfehlungen erwarten."

Apropos wenig Personal: Krnacova weiß auch über einen besonders krassen Fall von offensichtlicher Überlastung zu berichten:

"Da gibt es eine Arbeitsstelle in Brünn. Dort sitzt eine Dame, die für die Kontrolle der eingegangenen Anträge zuständig ist. Sie ist ganz alleine. Aber eine Person ist für diese Arbeit bei weitem zu wenig. Es gibt sehr viele Anträge, für einen Menschen ist das einfach zu viel."


Nicht nur fehlende Transparenz bei der Vergabe und mangelnde Qualität im Monitoring sind die Probleme, die im Zusammenhang mit den Geldflüssen aus Brüssel auftauchen. Transparency International nennt noch eine ganze Reihe weiterer Hürden auf dem Weg zu einer effektiven und gerechten Nutzung der EU-Mittel. Zwei Beispiele: Verschiedene Beratungsagenturen verdienen eine Menge Geld damit, ihren Klienten bei der formalen Abwicklung der Anträge behilflich zu sein. Der Mehrwert, heißt es, ist aber minimal. Denn es geht dabei in der Regel tatsächlich nur um die Wahrung der Form, Qualität und Sinn der einzelnen Projekte würden dabei kaum einer Bewertung unterzogen. Beispiel zwei: Oft würden während eines bereits laufenden Auswahlverfahrens die Ausschreibungsbedingungen nochmals geändert. Antragsteller haben zu diesem Zeitpunkt aber in der Regel bereits Arbeit und finanzielle Mittel investiert, die vermeintliche Geldquelle kann so auch rasch zum Geldschlucker werden.

Was kann eine Vereinigung wie Transparency International tun, um hier Verbesserungen durchzusetzen? Adriana Krnacova:

"Erstens können wir darauf aufmerksam machen, wo die Schwerpunkte des Problems liegen. Und natürlich können wir auch direkte Empfehlungen - unter anderem auch an die Brüsseler Administration - richten, damit die Distribution und die ganze Problematik rund um die Strukturfons ein wenig transparenter wird."

Barbora Pechotova, ebenfalls Mitarbeiterin von Transparency International, stimmt zu:

"Eine der grundlegenden Empfehlungen von unserer Seite ist es, die Vergabestrukturen zu vereinfachen, den Zugang zu Informationen zu verbessern und dadurch das ganze System durchsichtiger zu gestalten. Es sollte klar sein, wohin genau die Mittel aus den Strukturfonds fließen, für welche Projekte sie verwendet werden, und ob diese Projekte auch jenen Zielen dienen, für die die entsprechenden Programme ins Leben gerufen wurden."

Tschechien ist übrigens nicht das einzige Land, das derzeit mit solchen Problemen zu kämpfen hat. Vor allem in den neuen EU-Staaten fehlen Erfahrungen auf diesem Gebiet. Deshalb hat Transparency International ein Projekt ins Leben gerufen, das sich im internationalen Maßstab mit der Vergabe von EU-Geldern beschäftigt. Außer Tschechien sind noch die Slowakei, Polen, Ungarn, Estland, Lettland und Litauen mit von der Partie. Das ermöglicht letztlich auch einen Vergleich zwischen den Vergabesystemen in diesen Ländern.

Vielleicht wird die Initiative von Transparency International ja bald erste Auswirkungen zeigen - wenigstens, wenn es darum geht, die Öffentlichkeit vermehrt für das Thema zu interessieren und einer breiteren Allgemeinheit die entsprechenden Informationsquellen zugänglich zu machen. Vorerst aber gilt wohl die nüchterne Einschätzung von Direktorin Adriana Krnacova:

"Wenn Kafka noch leben würde, dann hätte er hier sehr viel Stoff für einen neuen Roman. Davon bin ich felsenfest überzeugt."