Wotan und das Lindenblatt – Postkarten im nationalen Kampf in Böhmen
Postkarten, das müssen nicht immer nur Urlaubsgrüße und Weihnachtswünsche sein. Vor einem guten Jahrhundert, zur Hoch- und Blütezeit der kleinen Bildmitteilungen, wurden die Karten auch eifrig im politischen Kampf eingesetzt – und das auch in den böhmischen Ländern. Eine Ausstellung im Prager Postmuseum zeigt die Rolle der Postkarte in den nationalen Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutschen in Böhmen.
„Der Einstieg waren Karikaturen – ich habe mich zunächst mit Karikaturen beschäftigt. Und irgendwann kam ich dann auch zu den Postkarten. Die Karikaturen relativieren Identitätskonstruktionen. Postkarten sind dagegen eher affirmativ und verstärken Identitätskonstruktionen. In diesen Postkarten sind diese Identitätsbilder verdichtet und massenhaft kommuniziert worden. Das können wir uns heute nicht mehr vorstellen – stärker als eine Zeitung und eine Broschüre.“
Unüberschaubar groß war die Vielfalt der Karten, mit der jeder Verein, jeder Bund und jede Organisation ein eigenes Bekenntnis ablegen wollte.
„Diese Postkarten wurden von nationalen Vereinen herausgegeben und unters Volk gebracht: Von Sängervereinen, Turnervereinen, Schulvereinen – der matice česká oder dem Deutschen Schulverein."
Welche Motive kann man denn auf tschechischer und auch auf deutscher Seite finden?
"Was ich heute abend vorgestellt habe, das ist nur ein kleiner Ausschnitt. Es wurden auch unpolitische Motive verbreitet – Neujahrsgrüße, Geburtstagskarten, Weihnachtswünsche -, aber die politische Botschaft war immer im Logo der Vereinigung anwesend, das stets eingefügt wurde. Es gab kein Thema, das nicht auf Postkarten festgehalten worden wäre, was heute kaum mehr vorstellbar ist.“Einer der Höhepunktes des nationalen Kampfes via Ansichtskarte war die Badeni-Krise des Jahres 1897, der letztlich gescheiterte Versuch, in Böhmen und Mähren das Tschechische zur gleichberechtigten Amtssprache zu erheben. In seinen „Abenteuern in Prag“ erinnert sich Egon Erwin Kisch aus postalischer Sicht an die flammenden Debatten im Wiener Parlament:
„Gewiss war es nur die Ansichtskarte, die den Wiener Reichstag 1897 so populär machte, den Griechentempel am Franzensring zu einem Volkshaus ganz Österreichs, die Themen und Abgeordnete in allgemeines Interesse rückte und die parlamentarischen Vorgänge in ganz Österreich stürmische Resonanz finden ließ. An Stelle der photographischen Ansichten wurde die politische Ansicht auf der Postkarte veranschaulicht. Eichenlaub, germanische Göttergestalten, Runen, Kornblumen, der nationale Dreifarb bildeten Umrahmungen für idealisierte Bilder konnationaler Abgeordneter, neben welche ein sehr markanter Satz aus einer ihrer Reden gedruckt war. Zerrbilder gaben den Gegner der Lächerlichkeit preis.“„Es war der Versuch, die jeweils andere Nationalität aus dem Wahrnehmungshorizont hinauszukatapultieren. ´Svůj ke svému - Jeder zu den Seinen´, das ist ja auch das Motto der Ausstellung – die Absicht, sich zu separieren, sich nur auf sich selbst zu beschränken. Und das war eine Illusion, denn das Leben lief ja in den böhmischen Ländern ganz anders.“
Nicht aber in den nationalen Vereinen, die um die Jahrhundertwende auf beiden Seiten den Ton in der Öffentlichkeit bestimmten. Nochmals die Erinnerungen von Egon Erwin Kisch:
Jeder Volkstag, jedes Sängerfest, jede Abgeordnetenwahl, jeder Schutzverein, jede Protestversammlung, jede Studentenvereinigung, jeder Bauerntag, jeder Sängerkampf und jedes Wettturnen haben ihre Postkarten, die Wotan, Germania oder St. Michael mit dem Flammenschwerte zeigen. Vorkämpfer aus deutschen Freiheitskämpfen erleben neue Wirkungen, denn ihr Bild erscheint auf den Karte. Die Porträts der ´volkstümlichen´ Abgeordneten, deren Namen man bisher nie gehört hatte, werden auf Ansichtskarten vervielfältigt.“Und zumindest auf tschechischer Seite fanden nicht nur die Konterfeis hochgestellter Männer den Weg auf die Postkarte. Auch kleine Heldentaten für die Nation wurden gewürdigt. Das belegt etwa das Porträt von Louisa Šilená aus der Sammlung von Rudolf Jaworski:
„Louisa Šilená war eine einfache Abgeordnetenfrau, die tschechische Abgeordnete mit Lärminstrumenten für den Reichsrat versorgt hat. Aber es war nicht nur diese Frau, die eine eigene Portraitpostkarte bekommen hat. Turnlehrerinnen, tschechische Dorfschullehrer wurden mit eigenen Portraitkarten bedacht. Das wäre auf deutscher Seite gar nicht denkbar gewesen. Der stark egalitäre Charakter der damaligen tschechischen Gesellschaft kommt in diesen Karten zum Ausdruck.“
Auf deutschböhmischer Seite wird demgegenüber das nationale Standardarsenal aufgeboten. Hermann der Cherusker, Barbarossa im Kyffhäuser, der Mann im Eisen oder die Wacht am Rhein, die zur Not auch an die Moldau verlegt wurde. Sogar deutschböhmische Bismarck-Karten sind zu finden, obwohl es ja gerade der alte Kanzler war, der die österreichischen Deutschen aus dem Reich geworfen hatte.
„Trotzdem wurde er verehrt, speziell in Deutschböhmen. In ihm wurde nicht so sehr der gesehen, der die Deutschen in Deutschböhmen und Österreich insgesamt aus dem Reich ausgeschlossen hatte, sondern der mit der eisernen Faust. Und die wünschte man sich auch im Habsburgerreich gegenüber den laschen Wiener deutschen Politikern.“
Versöhnliches, Gemeinsames ist dagegen kaum zu finden. Allenfalls einzelne Nischen lassen sich benennen, meint der Bohemist und Ansichtskartensammler Rudolf Jaworski.
„Durch die Sprache war allein schon eine Trennwand gegeben, denn zweisprachige Karten waren um die Jahrhundertwende so gut wie ausgeschlossen. Mit der einen bemerkenswerten Ausnahme der Militär- und Manöverpostkarten. Die waren zweisprachig. Und in der Ausstellung gibt es eine Karte ´Kremsier – Kroměříž´. In Mähren ist die ideologische Konfrontation generell etwas entspannter. Ich spreche aber bewusst von einer ideologischen Konfrontation, denn im tagtäglichen Leben war das nicht so.“Auf der Postkarte aber, da entbrennt der Kampf um Symbole: Welcher Nation gehört Karl IV. und die alten Prager Baudenkmäler? Waren die Hussiten nationale Befreier oder gandenlose Schlächter? Nur selten ist ein tolerantes Nebeneinander zu finden, so etwa auf einer Karte, die in einer Doppelvignette das tschechische Nationaltheater und das deutsche Ständetheater zeigt. Wenn es aber auf den kleinen Karten praktisch alles gegeben hat – ist der Historiker Rudolf Jaworski nicht wenigstens auf einen einzigen Aufruf zum tschechisch-deutschen, eben zum böhmischen Miteinander gestoßen?
„Das kann ich ganz kurz beantworten: Nein, solche Karten habe ich nicht gefunden. Was ich gefunden habe, sind einige wenige sozialdemokratische Karten, die in ganz allgemeiner Form dem Zusammenleben der Völker galten. Aber Karten mit Parolen wie ´Deutsche und Tschechen, vereinigt Euch!´ - so etwas habe nicht gefunden.“