Tschechisch und Deutsch – Prags bilinguale Kultur 1900 - 1945

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Praha auf Tschechisch, Prag auf Deutsch: In der tschechischen Hauptstadt waren lange Zeit zwei Sprachen zu hören. Wenn zwei Sprachen und zwei Kulturen nebeneinander und miteinander existieren, bleiben Reibungen nicht aus. Unterschiedliche Sichtweisen auf das Leben und die Kunst trugen zu einem regen Gedankenaustausch zwischen Deutschen und Tschechen bei. Auf einer wissenschaftlichen Tagung im Prager Goethe-Institut wurde über die Wechselwirkungen zwischen tschechischer und deutschsprachiger Literatur diskutiert. Unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten wurde dieses Thema beleuchtet.

Bisher standen im Mittelpunkt der Forschung meist die deutschsprachigen oder tschechischsprachigen Schriftsteller selbst. Jetzt wird der Blick erweitert, wie Peter Becher, Mitveranstalter und Vertreter des Adalbert-Stifter-Vereins, erklärt:

„Praha-Prag als Literaturstadt zweier Sprachen, vieler Mittler. Im Zentrum werden die Mittler, also die Übersetzer stehen. Wir wollen Personen wie Pavel Eisner oder Milena Jesenska stärker berücksichtigen, weil man bisher nur über die Schriftsteller gesprochen hat und die Übersetzer oft vergessen hat. Aber gerade Übersetzer sind ja dort besonders wichtig, wo zwei Sprachen präsent sind. Diese wissenschaftliche Tagung dient uns sozusagen als ein Blick auf den Hintergrund, vor dem diese Übersetzer agiert haben.“

1900 bis 1945 - in diesen Jahren wurde Prag vom Lauf der Zeit geradezu mitgerissen. Dieses aufregende knappe halbe Jahrhundert haben Professoren und ihre Studenten, Germanisten, Bibliothekare und Historiker an drei Tagen im Goethe-Institut Revue passieren lassen. 1900 war Tschechien noch kein eigenständiger Staat, sondern Teil der so genannten Donaumonarchie. Erst 1918 kam die Selbständigkeit, es begann die Zeit der Ersten Republik. Gut 20 Jahre später besetzten die Nazis das Land und kurz darauf kamen die Wirren und Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs auf die Prager zu. Diese 45 Jahre waren turbulent und brachten die bestehende Ordnung in politischer oder kultureller Hinsicht ziemlich durcheinander.

„Das Thema meines Vortrags war die Visualisierung Prags auf deutschen und auf tschechischen Postkarten. Und nicht nur um die Visualisierung, sondern auch um die politische, symbolische, nationale Aufladung dieser Bilder seit Ausgang des 19. Jahrhunderts.“

Rudolf Jaworski ist Direktor am Historischen Seminar an der Universität Kiel. Er betreut die Abteilung für Osteuropäische Geschichte.

„Ich bin Historiker und beschäftige mich hauptsächlich mit der Geschichte der böhmischen Länder und Polens.“

Einer seiner Arbeitsschwerpunkte liegt auf den deutsch-tschechischen und deutsch-polnischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. In Jaworskis Vortrag geht es um ganz spezielle deutsche und tschechische Ansichten. Wie unterschiedlich sehen Tschechen und Deutsche ein und dieselbe Stadt? Er untersucht anhand von Bildpostkarten, wie sich die jeweilige Nation mit Prag identifiziert. Er vergleicht und stellt geschichtliche Bezüge her.

„Ich habe deutsche und tschechische Motive vorgestellt, die immer vom Anspruch geprägt waren, Prag entweder als rein deutsch oder als überwiegend tschechisch auszuweisen. Diese Perspektive verändert sich nach 1918. Danach sind die meisten politisch aufgeladenen Postkarten eben tschechisch beziehungsweise tschechoslowakisch. Sie sind von einem staatstragenden Bewusstsein bestimmt. Masaryk kommt in allen Variationen vor, er wird in allen möglich Kombinationen mit der Stadt visualisiert.“

Während der letzten Jahrzehnte der Habsburgermonarchie, wurde die Postkarte zu einem ersten Mittel der Massenkommunikation. Zeitgleich hatte der deutsch-tschechische Nationalitätenstreit in den böhmischen Ländern seinen Höhepunkt erreicht. Postkarten wurden ganz bewusst eingesetzt und bebildert, um nationale Botschaften zu verbreiten. Politische Figuren und Leitbilder wie Tomáš Garrigue Masaryk, der erste Präsident der Tschechoslowakei, aber auch mythische Figuren und Sagengestalten sind auf den Postkarten zu finden. Eine Postkarte kann also mehr über Zeit, Land und Leute aussagen als man denkt.

„Das Thema meines Vortrags war: Prager deutsche Literatur. Aber nicht als Literatur, sondern als Begriff. Was meint man mit der Wortfügung Prager deutsche Literatur oder Pražská německá literatura, und zu welcher Zeit meint man wen, was und mit welchen Fragen dazu.“

Georg Escher arbeitet als Lektor für Tschechisch an der Universität Basel. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die tschechische Literatur des 20. Jahrhunderts. Hier nimmt die Prager deutsche Literatur natürlich einen ganz besonderen Platz ein. Wie definiert man diesen sperrigen Begriff aber nun genau? Die wirklich hitzige Diskussion im Anschluss an Eschers Vortrag beweist, dass hier auch nach Jahrzehnten wissenschaftlicher Arbeit Klärungsbedarf besteht.

Mit dieser Einstellung war Georg Escher nicht allein. Einige anwesende Germanisten meinten, alles das, was auf Deutsch in Prag geschrieben wurde, sei Prager deutsche Literatur. Da bekamen sie heftige Gegenstimmen zu hören. Kafka und Rilke seien sich nur durch ihren Geburtsort ähnlich. Ihr Schreiben weise dagegen keine Ähnlichkeiten aus. Auf eine gewisse Art ist die Prager deutsche Literatur natürlich homogen, aber andererseits gibt es viele Faktoren, die man zur genauen Differenzierung beachten muss. Am Beispiel des Schriftstellers Max Brod ist ziemlich einfach zu erkennen, woran sich die Geister der Literaturbewanderten scheiden. Brod war tschechoslowakischer Staatsbürger, als Nationalität gab er jüdisch an. Doch er sprach Deutsch und verfasste natürlich auch alle seine Manuskripte auf Deutsch. Wie soll man diesen Autor nun einordnen? Es ist nicht einmal bekannt, wann genau der Begriff Prager deutsche Literatur zum ersten Mal genannt wurde. Georg Escher nach seinem Vortrag:

„Die Diskussion hat mir bewusst gemacht, dass eine solche historische Analyse des Begriffs auch eine Bringschuld weckt oder eine Bringschuld erzeugt. Wenn man einen Begriff sozusagen historisch hinterfragt, analysiert, in seinen Kontext stellt, muss man auch Alternativen aufzeigen, welche Begriffe man anstelle des problematisierten Begriffs verwenden könnte.“

Eine Literatursparte durch eine Stadt definieren zu wollen, hält Escher sowieso für problematisch. Eine Stadt ist ständig in Bewegung und verändert sich. Es wird neu gebaut und abgerissen, Menschen kommen, Menschen gehen. Ein feststehender Begriff sollte aber einen gleich bleibenden Bezugspunkt haben. Der Begriff Prager deutsche Literatur hat sich nach Eschers Meinung in der Literaturwissenschaft schon lange verselbstständigt und ist als nachträgliche Konstruktion nur noch schwer endgültig zu definieren.

„Das Thema meiner Promotion insgesamt ist die NS-Kulturpolitik im Protektorat Böhmen und Mähren von 1939 bis 1945. Ich versuche im Rahmen dieser Arbeit die NS-Maßnahmen herauszuarbeiten, aber auch die konkrete Umsetzung: wie die tschechischen Institutionen, die tschechischen Behörden, die tschechischen Kulturvereine und natürlich auch die tschechischen Künstler reagiert haben. Gestern habe ich über einen ganz kleinen Ausschnitt gesprochen, über Literaturwettbewerbe und Literaturpreise. Ein Querschnitt zu diesem Thema kann viele Dinge beleuchten, die bisher noch nicht so aufgearbeitet wurden.“

Volker Mohn ist einer der jüngsten Teilnehmer an dieser wissenschaftlichen Konferenz. Er steht erst am Anfang seiner Forschungsarbeit. Die Kulturpolitik der Nationalsozialisten war eine Politik der Beschränkung und des Zurechtbiegens. In der Kulturabteilung wurden Bücher und Texte aller Art beurteilt. Entweder sie passten in die deutsch-ideologischen Vorstellungen oder sie wurden verboten. Wer sich anpasste, wurde gerne von der Besatzungsmacht unterstützt.

„Bisher wurde viel über Leute im Widerstand geforscht und über Leute, die wirklich aktiv politisch kollaboriert haben. Was mich interessiert, ist eben alles, was dazwischen liegt, was man nicht genau zuordnen kann. Und was für eine Taktik haben sich die Künstler überlegt, um vielleicht einerseits ihre Karriere zu retten und andererseits die nationale tschechische Kultur zu schützen. Und wie haben sie mit den Besatzern zusammengearbeitet?“

Der wichtigste Literaturpreis für deutsche Literatur war in dieser Zeit der Adalbert-Stifter-Preis. Die Jury setzte sich aus verschiedenen hohen Militärs des Besatzungsregimes zusammen. Aber auch für tschechische Literatur wurden Preise verliehen. Formal bestand in der 1. Phase der Besatzungszeit noch Kulturautonomie. Die Kulturschaffenden durften ganz offiziell ihre „Nationalkultur“ pflegen. Aber mit der Zeit wurden immer mehr Schriften zensiert, Verlage übernommen und vor allem die Papierzufuhr beschränkt. Ab 1942 wurde der nationale Kulturpreis für Literatur vom Ministerium für Volksaufklärung verliehen und somit auch nur noch angepasste Autoren ausgezeichnet. Die Nationalsozialisten agierten also auch im tschechischen Kulturwesen mit Zuckerbrot und Peitsche. Wer sich ihrem Willen fügte, wurde gefördert und hatte nichts zu befürchten. Wer als Schriftsteller eigenständig sein wollte und seine Meinung frei äußerte, begab sich in große Gefahr.