Literatur zum Anfassen: Kabinett der Prager deutschsprachigen Literatur
Im September wurde das so genannte Kabinett der Prager deutschsprachigen Literatur in Prag eröffnet. Dort können die interessierten Besucher die Autoren der Prager deutschsprachigen Literatur kennenlernen und in die Atmosphäre Prags in den Jahren 1890 bis 1945 eintauchen. Radio Prag ist dem Aufruf gefolgt und hat das Kabinett für Sie besucht. Was es mit diesem neuen Museum auf sich hat, erfahren sie im folgenden Kultursalon.
„Man soll machen, was man gerade machen möchte. Wenn man ein Buch lesen will, was bei uns möglich und auch sehr erwünscht ist, kann man ein Buch lesen. Ein ganz wichtiger Bestandteil des Kabinetts und unseres Prager Literaturhauses ist die Bibliothek der deutschsprachigen Autoren. Es handelt sich um eine sehr wertvolle Sammlung, die von der Würzburger Bibliothekarin und Archivarin Katherine Holzheuer geschaffen und dem Prager Literaturhaus geschenkt wurde. Es handelt sich um etwa 1000 Bände, häufig sind es Erstausgaben, also schon sehr wertvolle Stücke. Wir geben die Bücher den Besuchern in die Hand. Unser Motto lautet ´Literatur zum Anfassen´. Wir wollen also keine Bücher in verglasten Vitrinen zeigen, die man nicht anfassen und durchblättern darf, sondern eben umgekehrt.“
1890 bis 1939 ist die Zeitspanne, die die Ausstellung abdeckt:„Wir konzentrieren uns auf die Blütezeit der Prager deutschsprachigen Literatur, also auf jene Zeit, in der die begabtesten Autoren ihre bedeutendsten Werke geschaffen haben. Wir fangen in den 1890er Jahren an. In dieser Zeit hat Rainer Maria Rilke seine ersten Gedichtssammlungen geschrieben. Und wir enden mit dem Anfang des Zweiten Weltkriegs, weil der Krieg das definitive Aus für das deutschsprachige Prag bedeutete. Wir wollen in der Ausstellung eben zeigen, dass diese Prager Literatur nicht nur Franz Kafka, nicht nur Max Brod, nicht nur Rainer Maria Rilke, nicht nur diese bekannten Namen sind, sondern dass hier eine Menge von weiteren Schriftstellern gewirkt haben, und dass auch die Werke dieser Autoren sehr interessant sind. Auch für das heutige Publikum. Wir präsentieren hier etwa 100 Namen, und zwar in Form einer Kartei. Jeder Autor hat hier seine eigene Mappe, in der die Besucher die Grundinformationen über diese Autoren finden können.“
Die Mappen gelten einzelnen Autoren. Große Aufmerksamkeit wird aber auch dem historischen Kontext gewidmet:„Genau das wollten wir auch zeigen. Wir wollten die Zeit, die Atmosphäre der Zeit ein bisschen vorzustellen. Ein Teil der Ausstellung widmet sich dem deutschsprachigen Prag. Wir präsentieren auch, wer es eigentlich war, diese Deutschen, die hier damals lebten. Und auch wie sie lebten, wie ihr gesellschaftliches Leben aussah, welche Theater sie besucht haben, welche deutschsprachigen Zeitungen in Prag herausgegeben wurden, wohin man spazieren ging, welche Kneipen oder Freudenhäuser man besuchte. Wir haben hier eine deutsch-tschechische Stadtkarte aus dem Jahre 1891. Auf diesem Stadtplan zeigen wir Orte, an denen sich das deutschsprachige Prag getroffen hat.“
Hinter einer Tür eines Buchkastens versteckt sich ein besonderes Fundstück. Es erinnert an eine wichtige Persönlichkeit des literarischen Lebens in Prag:„Wir haben auch ein Originalstück, und zwar die Taschenuhr von Egon Erwin Kisch aus dem Nachlass von Lenka Reinerová.“
Man muss allerdings schon ein bisschen danach suchen, wie Miloslav Man betont. Er erklärt, für wen die Ausstellung eigentlich bestimmt ist:
Das Kabinett soll also auch Literaturkenner und Fachleute ansprechen, die ein wissenschaftliches Interesse an der Prager deutschsprachigen Literatur haben. Dieser Teil der Ausstellung basiert auf Forschungsarbeit der Germanisten Kurt Krolop und Julia Hadwiger. Sie geht im Interview auf die Konzeption ein:
„Im Grunde wollten wir versuchen, im Rahmen von Sammelschriften ein Treffen der Prager deutschen Literatur auf dem Papier zu demonstrieren. Und zwar nicht nur der bekannten Schriftsteller, es werden ja immer Rilke, Werfel und Kafka genannt. Es ging uns darum zu zeigen, dass es noch andere gab. Und zwar besonders eben die Halbgeneration vor dem Prager Kreis wollten wir zeigen, das so genannte Jung Prag, die Frühlingsgeneration. Es sind sehr viele seltene Anthologien oder Zeitschriften zu sehen, die man sonst nur sehr schlecht in Archiven oder in Bibliotheken findet, meistens gibt es nur ein Exemplar auf der Welt. Also es sollte ein Sammelort werden, wo sowohl Interessierte als auch Forscher die Möglichkeit haben, sich alles an einen Platz anzusehen.“ Diese Schriftstücke sind keine Originale, wie sie betont.„Das wäre schön, wenn es Originale wären, aber das wäre unerschwinglich. Es sind Reproduktionen. Da gibt es teilweise Textauszüge aus verschiedenen Almanachen oder eben Anthologien von verschiedenen Schriftstellern, es gibt aber auch Reproduktionen von ganzen Heften.“
Julia Hadwiger hat nicht nur in den Literaturarchiven und Bibliotheken in Prag, oder auch irgendwo anders geforscht.
„Natürlich vor allem in Prag, aber auch in Marbach. Dort liegen einige Sachen, wie auch in der Münchner Stadtbibliothek oder in der Wiener Nationalbibliothek. Wir haben also probiert, von allen Stellen der Welt das wichtigste Material zusammenzutragen, aber natürlich war Prag mit dem Památník národního písemnictví, also dem Literaturarchiv in Strahov, oder auch mit der Nationalbibliothek im Klementinum sehr hilfreich.“
Die interessantesten oder attraktivsten Stücke will die Germanistin nicht hervorheben:„Das möchte ich Ihnen überlassen. Ich glaube, es ist für jeden etwas dabei. Für mich persönlich sind das eben Festschriften, also Festzeitungen, die wirklich nur zu einem besonderen Anlass herausgegeben wurden, wie zum Beispiel die Frühlingsschrift der Königlichen Weinberge (Královské Vinohrady). Sie ist sehr schön. Es gibt auch Festschriften, wo Autographen der Autoren enthalten sind. Also ich glaube, es gibt mehr als ein Exponat, das man sich anschauen sollte.“
Das Konzept vereint Elemente einer klassischen Ausstellung mit denen eines multimedialen Informationszentrums. Miloslav Man:
„Alle Informationen, die hier zur Verfügung stehen, werden auch eine elektronische Gestalt bekommen. Wir bauen eine Datenbank auf, mit Informationen über die Autoren und ihre Werke. Und wir bauen auch eine Mediathek auf, in der wir verschiedenste Hörspiele, Filme und Interviews zeigen wollen.“Die Ausstellung ist dienstags und donnerstags in der Ječná 11 geöffnet. Die Beschreibungen und Texte stehen auf Tschechisch und Deutsch, die wichtigsten auch auf Englisch zur Verfügung. Auch eine Führung durch die Ausstellung wird angeboten.