Zum 100. Geburtstag der deutschsprachigen Pragerin Lenka Reinerová

Lenka Reinerová (Foto: Archiv des Prager Literaturhauses)

Vor 100 Jahren, am 17. Mai 1916, wurde die deutschsprachige Prager Autorin Lenka Reinerová geboren. Unter dem Namen / Titel „100 Erinnerungen an Lenka Reinerová“ findet am Dienstag im Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren ein Gedenkabend an die Schriftstellerin und Mitbegründerin des Literaturhauses statt.

Lenka Reinerová  (Foto: Archiv des Prager Literaturhauses)
Im Schicksal Lenka Reinerovás spiegelt sich die dramatische Entwicklung des 20. Jahrhunderts wider und sie findet auch in ihren Büchern Niederschlag. David Stecher ist Leiter des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren:

„Sie hat immer gesagt, sie sei keine Schriftstellerin, sondern eine Erzählerin. Ich denke, das ist die beste Definition. Sie war nicht nur eine Intellektuelle, sondern auch ein normaler Mensch. Sie konnte mit einem Pförtner genauso sprechen, wie auch mit einem Präsidenten oder Minister.“

Lenka Reinerová wurde in Prag in eine mehrsprachige jüdische Familie geboren. In der Zwischenkriegszeit arbeitete sie als Journalistin. Als Jüdin und linksorientierte Autorin musste sie aber vor dem NS-Regime nach Frankreich fliehen. Nach einer Verhaftung in Frankreich und einer weiteren Flucht lebte sie im Exil in Mexiko. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Reinerová in ihre Heimat zurück. Dort musste sie während der stalinistischen Säuberungen aber wieder ins Gefängnis. In den 1960er Jahren wurde sie rehabilitiert und konnte sich aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligen. Nach 1968 kam ein weiteres Publikationsverbot, sie durfte nur noch als Dolmetscherin und Übersetzerin arbeiten. Seit den 1980er Jahren konnte sie ihre Bücher in der DDR herausgeben. Dem tschechischen Publikum blieb sie aber bis zur Wende von 1989 unbekannt. Seit 1989 erschienen zahlreiche Erinnerungsbücher und Erzählungen. „Das Traumcafé einer Pragerin“ ist ihr bekanntester Erzählband mit Rückblicken auf ihr Leben und zahlreiche Begegnungen, unter anderem mit den Prager deutschen Schriftstellern, mit denen sie einst befreundet war.

František Černý  | Foto: Archiv des Prager Literaturhauses
2004 gründete Lenka Reinerová zusammen mit František Černý und Kurt Krolop das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren. Černý erinnert sich an die Entstehung:

„Natürlich hatte jeder eine etwas andere Vorstellung. Lenka Reinerová hatte ihr Traumcafé parat, wo sich die verschiedenen, ihr noch lebendig in Erinnerung gebliebenen Autoren wie Kisch und weitere in Prager Caféhäusern trafen. Sie hat sich vor allem auf die Prager deutsche Literatur konzentrieren wollen. Ich wollte aber das Literaturhaus breiter fassen, also auch die sogenannte Provinzliteratur Beispiel aus Nordböhmen oder aus Mähren miteinbeziehen. Und Kurt Krolop war der Garant für die wissenschaftliche Ausrichtung dieser Einrichtung.“

David Stecher  (Foto: ČT24)
Die Einrichtung besteht bis heute und bekennt sich zum Vermächtnis ihrer Gründerin. An ihrem 100. Geburtstag lädt das Literaturhaus zu einem Gedenkabend ein. David Stecher:

„Der Abend ist sehr bunt konzipiert. Wir zeigen zum Beispiel zum ersten Mal einen Film nach einer Erzählung von Lenka Reinerová. Ich denke, er lief nur einmal im Fernsehen. Es ist ein Erinnerungsabend. Die Tochter von Lenka Reinerová wird aus London kommen, dann ihre Lektorin vom Aufbau-Verlag, Angela Dröscher, Viera Glosíková aus Prag, die mit Frau Reinerová befreundet war, ihr tschechischer Verleger aus dem Labyrint-Verlag, Joachim Dvořák. Und natürlich der ehemalige Botschafter und enge Freund von Lenka Reinerová, František Černý.“

Alle diese Gäste werden sich an Lenka Reinerová erinnern. Auch David Stecher war mit ihr eng befreundet:

„Sie war ein wunderbarer Mensch. Ich will nicht pathetisch sein, aber ich habe mich manchmal gefühlt wie ein Enkelkind bei seiner Großmutter. Sie war unglaublich emphatisch und hat viel Geduld gehabt. Sie hat immer zugehört aber auch erzählt: Ihr Leben war ein unvergessliches Erlebnis und Abenteuer. Sie hat ein ganzes Jahrhundert erlebt, und ihre Erzählungen waren immer wunderbar.“