Zum Tode von Lenka Reinerová
Am vergangenen Freitag ist in Prag die deutschsprachige Schriftstellerin Lenka Reinerová im Alter von 92 Jahren gestorben. Unser Redakteur Thomas Kirschner hat die Arbeit von Lenka Reinerová und das Wachsen des von ihr mit begründeten Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren in den letzten Jahren mitverfolgt.
Thomas, kann man sagen, dass das Literaturhaus so etwas wie das Vermächtnis von Lenka Reinerová ist?
Ja, das gilt ganz bestimmt. Lenka Reinerova hat zahlreiche der Prager deutschen Schriftsteller noch persönlich gekannt, sie war befreundet mit Egon Erwin Kisch und ist also gewissermaßen aus dem gleichen Humus aufgewachsen, aus dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts hier in Prag eine ganze Literatur hervorgegangen ist. Als Schriftstellerin hat sie stark gefühlt, dass sie als Jüngste der Prager deutschsprachigen Autoren die Aufgabe hat, Zeugnis abzulegen – von der schrecklichen Geschichte des 20. Jahrhunderts, die sich mehr als reichlich auch in Reinerovás Leben selbst gespiegelt hat, aber vor allem eben auch von dieser Prager deutschen und deutsch-jüdischen Literatur. Seit den sechziger Jahren hat Lenka Reinerová diesen Plan mit sich getragen, Museum für die Prager deutsche Literatur einzurichten. Lange hat die politische Lage das verhindert - in der kommunistischen Tschechoslowakei durfte man über die deutsche Literatur aus dem Lande kaum sprechen. Dass es jetzt, nach den vielen Jahrzehnten gelungen ist, diesen Plan zu verwirklichen und unter maßgeblicher Beteiligung von Lenka Reinerová ein Literaturhaus ins Leben zu rufen, das war, glaube ich, auch für Reinerová selbst ein sehr schöner Abschluss dieses bewegten Lebensweges.
Lenka Reinerová hat in den letzten Jahren zahlreiche bedeutende Auszeichnungen in Tschechien wie auch in Deutschland erhalten – die tschechische Verdienstmedaille 1. Klasse, die Goethe-Medaille, das deutsche Bundesverdienstkreuz. Man hatte oft das Gefühl, dass hier neben der Person auch der Mythos geehrt wird. Was war Lenka Reinerová eigentlich für ein Mensch?
Das Stichwort Mythos ist vielleicht nicht ganz falsch – Lenka Reinerová war jemand, der wie aus einer untergegangenen Welt in die Gegenwart hineingeragt hat. Immer wieder konnte man das auch auf ihren Vorträgen und Vorlesungen merken, dass es besonders für das junge Publikum ein ganz besonderes – fast möchte man sagen ein verstörendes Erlebnis war, dieser alten, zierlichen und eleganten Dame zuzuhören, die ein Beleg dafür war, wie nahe diese scheinbar unendlich weit entfernet Vergangenheit doch eigentlich ist. Der Mythos, die letzte Prager deutsche Autorin zu sein, hat Reinerová natürlich auch viele Türen geöffnet, unter anderem zu den tschechischen und deutschen Außenministern Karel Schwarzenberg und Frank Walter Steinmeier, die beide das Literaturhaus stark unterstützt haben. Lenka Reinerova selbst aber hat mit dem Mythos der Vergangenheit nicht gespielt – sie war zuletzt eine fast zerbrechliche Person, mit tiefen Falten im Gesicht, aber ihr Blick war wach und jung und sie hat bis zuletzt in der Gegenwart gelebt, auch wenn sie meist über die Vergangenheit erzählt hat. So etwa in ihren Büchern „Das Traumcafé einer Pragerin“ oder der Band „Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo“ – das sind feinstimmige Rückblicke auf ihr Leben und zahlreiche Begegnungen, unter anderem eben auch mit Prager deutschen Schriftstellern. Noch bis vor wenigen Wochen konnte man Lenka Reinerová gelegentlich hier in Prag selbst von dieser Zeit erzählen hören – mit ihrem Tod ist diese Epoche jetzt endgültig aus dem Leben in die Bücher gesunken.