Zeman sucht den Hitler-Artikel: Bizarre Debatte um Journalist Peroutka beschäftigt Tschechien

Ferdinand Peroutka (Foto: Tschechischer Rundfunk, Archiv von Slávka Peroutková)

Ferdinand Peroutka gilt als Übervater des tschechischen Journalismus. Vor 37 Jahren starb er im Exil in New York, nun steht er im Mittelpunkt einer Auseinandersetzung in Tschechien. Die Opponenten sind, wie so oft, Staatspräsident Milos Zeman auf der einen und ein Großteil der tschechischen Medien auf der anderen Seite. Weil Zeman behauptet, Peroutka sei vor dem Zweiten Weltkrieg von Hitler fasziniert gewesen, möchte dessen Enkelin nun Tschechien verklagen. Der absurde Streit beschäftigt vor allem den Sprecher des Präsidenten schon seit Monaten.

Ferdinand Peroutka  (Foto: Tschechischer Rundfunk,  Archiv von Slávka Peroutková)
Der Journalist Ferdinand Peroutka gehörte zu den prägenden Gestalten der Ersten Republik. Als Anti-Kommunist musste er 1948 emigrieren, lange Jahre leitete er die tschechische Redaktion von Radio Free Europe. Nach der Samtenen Revolution wurde er in seiner Heimat rehabilitiert, einer der renommiertesten Journalistenpreise trägt seit 1996 seinen Namen. Miloš Zeman bezichtigte im Januar in einer Gedenkrede zum Holocaust ausgerechnet das Idol Peroutka des Antisemitismus. Dieser sei ein Beispiel für das Versagen der Intellektuellen in der Vorkriegs-Tschechoslowakei:

„Einer der größten tschechischen Journalisten, Ferdinand Peroutka, veröffentlichte in der angesehenen Zeitschrift Přítomnost einen Artikel mit dem Titel ‚Hitler ist ein Gentleman‘. Nach dem Münchner Abkommen schrieb dieser Journalist: ‚Wenn wir nicht mit den Engeln singen können, müssen wir mit den Wölfen heulen‘.“

Martin Groman  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Danach erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Relativ schnell war klar, dass sich Zeman schlicht und einfach geirrt hatte, was die zitierten Quellen angeht. Der Konflikt, der seither weiterköchelt, dreht sich um die Auslegung eines komplexen Werks, mit dem wohl nur wenige wirklich vertraut sind. Martin Groman ist Leiter der Ferdinand-Peroutka-Gesellschaft.

„Ich kenne Peroutka und seine Veröffentlichungen, und auch seine Meinungen über den Nationalsozialismus und Hitler. Wenn er wirklich einen Artikel mit dem Titel ‚Hitler ist ein Gentlemen‘ tatsächlich geschrieben hätte, dann hätte ihn sich Hitler wahrscheinlich nicht gerade einrahmen lassen. Denn Peroutka war ein großer Ironiker, ein Skeptiker.“

Konzentrationslager Buchenwald  (Foto: Archiv United States Holocaust Memorial Museum,  Public Domain)
Von 1939 bis 1945 war Peroutka Häftling in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald. Das Angebot, für die Besatzer zu schreiben, lehnte der Journalist ab. Zeman aber geht es nun ums Detail – und das obwohl er, wie er sagt, ein Bewunderer Peroutkas sei. Sein Sprecher werde beweisen, dass die beiden Artikel existieren, kündigte der Staatspräsident im Februar an, und zwar nicht nur mit Hilfe des Internets. Nein, man wolle die Sache wissenschaftlich angehen und intensiv nachforschen. Seither sucht Präsidentensprecher Jiří Ovčáček. In dieser Woche trat er erneut vor die Presse. Besagter Artikel sei noch nicht aufgetaucht, dafür „Dinge, die noch weitaus schlimmer sind“. Veröffentlicht werden sollen sie in den nächsten Wochen. Auch Zeman legte nochmals nach.

Jiří Ovčáček  (links) und Miloš Zeman  (rechts). Foto: ČTK
„Ich werde mich natürlich entschuldigen, falls sich herausstellen sollte, dass die Artikel nicht existieren sollten. Doch weil ich sie mit eigenen Augen gesehen habe, rechne ich nicht damit. Jiří Ovčáček hat mir gesagt, dass er seine Suche bis Juni ausdehnt.“

Weil Zeman nicht von Peroutka ablässt, haben sich inzwischen auch dessen Nachkommen zu Wort gemeldet. Ferdinand Peroutkas Enkelin Terezie Kaslová will den tschechischen Staat verklagen.

„Der Präsident hat meinen Großvater beschuldigt, er sei vom Nationalsozialismus fasziniert gewesen. Belegt hat er diese angebliche Faszination mit zwei Artikeln. Einen dieser Artikel, hat nachweislich ein anderer Journalist verfasst, der zweite existiert nicht. Ich verlange daher eine Entschuldigung, vor allem weil damit eine Person verunglimpft und beleidigt wird, die sich selbst nicht verteidigen kann.“

Martin Jan Stránský  (Foto: Public Domain)
Mit einer Klage dürfte sie wenig Erfolg haben, denn der tschechische Staat haftet nicht für die Äußerungen seines Präsidenten. Der Publizist Martin Jan Stránský, heutiger Herausgeber der Zeitschrift Přitomnost schrieb in dieser Woche in einem Kommentar, genauso peinlich wie Zemans kindische Rechthaberei sei in der gesamten Angelegenheit das Verhalten der Journalisten. Schließlich müsse niemand über derartige Belanglosigkeiten berichten. Ferdinand Peroutka würde sich wohl im Grab umdrehen.