„Zwei Ufer hat der Fluss“ – Junge Komponisten aus Deutschland und Tschechien im Austausch

Unter dem Begriff „Neue Musik“ werden verschiedene Kompositionsrichtungen so genannter „ernster Musik“ im 20. und 21. Jahrhundert zusammengefasst. Für den unerfahrenen Hörer mag solche Musik oft sperrig und anstrengend erscheinen. Für Kenner jedoch stellt sie eine hochwertige Form künstlerischen Ausdrucks dar, die auch offen für andere Gattungen der Kunst ist. Davon konnten sich vor kurzem die Besucher eines Konzertes im Prager Emmaus-Kloster überzeugen. Dabei wurde nicht nur künstlerische Gattungsgrenzen überschritten, sondern auch politische Grenzen. Das Konzert war nämlich das Ergebnis eines tschechisch-deutschen Austauschprojektes.

„Ich meine, wir sind hier alle keine Barrikadenstürmer, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, das Publikum schocken zu wollen“, sagt Sebastian Elikowski-Winkler, ein junger Komponist aus Berlin. Aber, gibt Elikowski-Winkler zu, für einen unbedarften Hörer dürfte seine Musik eine völlig neue Klangwelt eröffnen.

Diese Klangwelt durften kürzlich die Konzertbesucher im Prager Emmaus-Kloster erleben, wo das Programm „Zwei Ufer hat der Fluss“ seine Uraufführung feierte. Dahinter verbirgt sich ein internationales Austauschprojekt dessen Leiter Sebastian Elikowski-Winkler ist. Er entwickelte zusammen mit seinen Freunden und Kollegen von Klangnetz, einer Vereinigung junger Berliner Komponisten, das Konzept zu einem künstlerischen Austausch mit jungen Komponisten aus Osteuropa. Im letzten Jahr fand ein erstes Projekt mit Polen statt. In diesem Jahr ist Tschechien an der Reihe. Die ursprünglich rein musikalische Grundidee wurde dafür um das Element der Literatur erweitert, erklärt Arne Sanders, der Co-Projektleiter von „Zwei Ufer hat der Fluss“:

„Das sah in diesem Fall so aus, dass die deutschen Komponisten Texte eines Tschechischen Lyrikers, nämlich Petr Borkovec vertonen sollten und die tschechischen Komponisten Texte der deutschen jungen Lyrikerin Daniela Danz.“

Als Kooperationspartner konnte auf tschechischer Seite das Ensemble Konvergence gewonnen werden, in dem sich ähnlich wie in Klangnetz junge Komponisten und Musiker zusammengeschlossen haben. „Das ist nicht nur interessant, weil es ein internationales Austauschprojekt ist, sondern auch, weil es sich dabei um eine Annäherung, gewissermaßen eine Verbrüderung der beiden Sprachkulturen handelt“, sagt Michaela Plachká. Die 28-Jährige Komponistin ist Mitglied bei Konvergence. Mit dem Konzept von „Zwei Ufer hat der Fluss“ haben die Berliner Komponisten von Klangnetz bei Konvergence offene Türen eingerannt, fügt ihr Kollege Tomáš Pálka hinzu:

„Es handelt sich dabei um eine Idee, die auch wir schon lange haben, nämlich die Verbindung von Musik mit anderen künstlerischen Ausdruckweisen, wie nun mit der Lyrik. Wir haben schon mehrere Projekte in dieser Richtung gemacht, aber dieses ist das erste in einem internationalen Rahmen.“

Das Arbeiten mit einer fremden Sprache bereichere die kompositorische Arbeit, meint Elikowski-Winkler:

„Für einen Musiker ist es immer wieder interessant, sich mit einer fremden Sprache auseinanderzusetzen, denn jede Sprache hat ihre eigene Melodik, ihren eigenen Rhythmus und so weiter.“

Sein Projektpartner Arne Sanders erzählt, er habe sich die Gedichte von einem in Berlin lebenden Tschechen auf Band sprechen lassen, um sich besser orientieren zu können. Mit dem Autor Petr Borkovec direkt Kontakt aufzunehmen, sei für ihn nicht in Frage gekommen:

„Man nimmt den Text wie eine Katze weg von dem Riesenhaufen mit dem Fressen – Katzen machen das so ja. Die nehmen sich ein Stück und ziehen sich dann in eine kleine Ecke zurück, um das da dann ganz alleine zu fressen. Und so ähnlich machen wir das auch. Aha ein text. Damit ins stille Kämmerlein und sich damit beschäftigen. Wir hätten Kontakt aufnehmen können zu Petr Borkovec, und wir haben natürlich auch den tschechischen Komponisten den Kontakt zu Daniela Danz gegeben. Und keiner hat das genutzt.“

Die Lyriker sind dementsprechend gespannt zur Uraufführung ihrer vertonten Texte gekommen. Daniela Danz war jedenfalls zufrieden mit dem Ergebnis. Sie habe eine völlig neue Möglichkeit erfahren, auf ihre Gedichte zu blicken:

„Eine Interpretation ist schon so etwas wie ein Geschenk, weil man etwas in die Welt gesendet hat und darauf eine Antwort bekommt, aus einer anderen Kunst.“

Für den Herbst sind weitere Aufführungen von „Zwei Ufer hat der Fluss“ in Tschechien und in Deutschland geplant. Doch Klangnetz plant schon jetzt Nachfolgeprojekte mit Russland, Weißrussland und Rumänien.

„In Osteuropa ist eben häufig das Problem – noch immer erstaunlicherweise -, dass die Musiker mit ‚Neuer Musik’ noch nicht solche Erfahrungen haben. Prag ist da wirklich eine Ausnahme“, meint Sebastian Elikowski-Winkler, der die tschechische Hauptstadt – und einige Mitglieder von Konvergence - seit seinem einjährigen Studienaufenthalt vor sechs Jahren gut kennt.

Trotzdem, die Situation junger Komponisten in Tschechien unterscheide sich von der in Deutschland eigentlich kaum, bemängelt er. Schwierigkeiten gebe es vor allem bei der Finanzierung von Projekten, wie „Zwei Ufer hat der Fluss“:

„Mäzene gibt es nicht mehr, Fürsten auch nicht, da haben wir uns gesagt: ‚Da werden wir das wohl selbst in die Hand nehmen müssen. Wir mussten, womit sich ein Komponist normalerweise nicht beschäftigt einen Businessplan, also einen Kosten- und Finanzierungsplan erstellen. Jetzt am Ende ist es also doch eine Low-Budget-Sache.“

Das heißt aber auch, dass die Komponisten auf Honorare verzichten müssen. Gerade staatliche Institutionen verstünden oft, nicht, dass nur ein wenig mehr an Fördergeldern viel bewirken könnten, bedauert Elikowski-Winkler. Schön wäre es, das ein oder andere Konzert mehr spielen zu können oder auch einmal eine CD herauszubringen. Trotzdem ist man bei Klangnetz natürlich für jede Unterstützung dankbar, die meist von Stiftungen kommt. Aber so bescheiden die Geldmittel auch sein mögen: Eine Fortsetzung von „Zwei Ufer hat der Fluss“ stehe außer Frage, sagt Arne Sanders:

„Zum einen gibt es spannende Komponisten in Osteuropa, vor allem junge Komponisten, von denen man im Westen so gut wie gar nichts hört. Die wollen wir entdecken. Natürlich steckt letztendlich auch die Idee dahinter zur Völkerverständigung beizutragen, das natürlich auch ganz schön und das klappt auch ganz gut.“