1100 Jahre seit Märtyrertod der heiligen Ludmila – ein Thema, das auch heutige Generationen inspiriert

Heilige Ludmila in der Hl. Kyrill- und Method-Kirche in Olmütz

Kaum eine andere Persönlichkeit hat sich bereits so früh und so eindrucksvoll in die Geschichte Böhmens eingetragen wie die Fürstin Ludmila aus der Dynastie der Přemysliden. Sie war die Gemahlin des Fürsten Bořivoj, die Mitgründerin des entstehenden böhmischen Staates, und sie ist zusammen mit ihrem Mann um das Jahr 883 vom mährischen Erzbischof Method getauft worden. Ludmila hat sich um die Weiterverbreitung des christlichen Glaubens bemüht, sie war die Großmutter und Erzieherin des Fürsten Václav (Wenzeslaus), und sie wurde im 12. Jahrhundert heiliggesprochen. Bereits früh entstand ein Kult um sie, der bis heute hierzulande zu spüren ist und auch turbulente Zeiten überstanden hat. Ludmila ist vor 1100 Jahren gestorben.

Erfolgreiches Projekt sorgt für besseres Verständnis der tschechischen Geschichte

Miroslava Janičatová bei der Ausstellungstafel im Prager Waldstein-Garten | Foto: Lucie Horníková

Das Leben und Wirken der heiligen Ludmila an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert interessiert führende tschechische Experten der verschiedensten Fachgebiete noch heute. Ebenso die Umstände, die mit ihrer Ermordung auf der Burg Tetín in der Nacht vom 15. bis 16. September 921 verbunden sind. Über die Jahrhunderte inspirierte Ludmila auch zahlreiche Künstler – von Bildhauern über Maler und Komponisten bis zu Schriftstellern. Umso erfreulicher ist, dass sogar heute noch breite Teile der tschechischen Öffentlichkeit sich für die frühere Herrscherin interessieren. An die erste böhmische Heilige zu erinnern und dafür zu sorgen, dass ihr Vermächtnis auch für künftige Generationen bewahrt bleibt – das hat sich der Verein ‚Heilige Ludmila – 1100 Jahre‘ zur Aufgabe gemacht. Vor einigen Jahren hat der Verein bereits die Schirmherrschaft übernommen über die Feierlichkeiten und Veranstaltungen, die an das Erbe der heiligen Ludmila erinnern sollen. Miroslava Janičatová ist Managerin des Projekts. Gegenüber Radio Prag International verrät sie mehr über die Aktivitäten, die in diesem Jahr ihren Höhepunkt finden.

Das Logo des Vereins „Hl. Ludmila – 1100 Jahre“ | Quelle:  Archiv des Vereins

„Der Verein ‚Heilige Ludmila – 1100 Jahre‘ ist im Jahr 2015 aus einer Initiative der Gemeinde Tetín entstanden. Zunächst ging es um die Aktivitäten in der Gegend der Stadt Beroun in Mittelböhmen. Aber bald zeigte sich, dass das Thema der heiligen Ludmila weit über diese Region hinausreicht – und so hat das Projekt landesweite Bedeutung erlangt. Heute kann man sogar sagen, dass es sogar internationale Ausmaße hat. Die Grundzüge der Vereinstätigkeit basierten anfangs auf dem historisch-kulturellen Kontext. So fanden Tagungen, Vorlesungen und Ausstellungen statt, bei denen Interessenten mit der mittelalterlichen Geschichte Böhmens bekanntgemacht werden sollten. In diesem Geist setzen wir unsere Arbeit bis heute fort, aber mittlerweile eben auf staatlicher Ebene. Wir arbeiten zum Beispiel viel mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Senats, Jiří Oberfalzer, zusammen. Am 5. August dieses Jahres haben wir die Ausstellung ‚Die Fürstin heilige Ludmila 2021‘ im Mythologischen Gang des Waldstein-Palais eröffnet, in dem der Senat seinen Sitz hat. Man kann die Schau bis Ende Oktober besuchen. Sie ist das Resultat der Zusammenarbeit von zehn gemeinnützigen Organisationen des Kreises Mittelböhmen, die uns mehrere Exponate aus ihren Sammlungen geliehen haben. Und da es Kopien dieser Ausstellung gibt, kann man sie an vielen Orten in Tschechien besuchen, und zwar seit Januar. Sie wird vor allem im Freien gezeigt.“

Die Wallfahrtausstellung auf dem Friedensplatz in Prag 2 | Foto:  Archiv des Vereins „Hl. Ludmila – 1100 Jahre

Bis 15. September läuft auch eine weitere Freiluftausstellung. Sie heißt „Die heilige Ludmila – Fürstin, Mutter, Großmutter“ und ist symbolisch vor der Ludmila-Kirche auf dem náměstí Míru (Friedensplatz) im Prager Stadtteil Vinohrady installiert. Neben Informationen über das Leben der Fürstin werden dort auch Beispiele gezeigt, wie diese Heilige in der Kunst dargestellt wurde. Zu der Präsentation gehören des Weiteren Videos über jene Orte, an denen Ludmila lebte, starb und begraben ist. Die fachliche Gestaltung des Projekts wurde von der Prager Karlsuniversität überwacht. Projektmanagerin Janičatová:

Cover des Buches,  das im Jahr 2021 vom Verlag „Lidové noviny“ herausgegeben wurde

„Die Experten beteiligen sich gerne an unseren Aktivitäten, weil sie mit unserem Verein von Anfang an gute Erfahrungen gemacht haben. Wir sind für sie ein gleichberechtigter Partner. In Zusammenarbeit mit dem Historiker Jakub Izdný von der Karlsuniversität veranstalten wir zum Beispiel landesweit Vorlesungen. Auf unsere Initiative hin kam es auch zu einer zweitägigen internationalen Konferenz an der Prager Universität, inspiriert vom runden Jahrestag des Märtyrertods der Heiligen. Sie wurde im Mai dieses Jahres online abgehalten und trug den Titel ‚Heilige Ludmila – Frauen in der Christianisierung Mitteleuropas‘. An ihr nahm eine ganze Reihe führender tschechischer und ausländischer Historiker teil. Weiter würde ich gern erwähnen, dass unser Verein gemeinsam mit dem Verlag Lidové noviny über ein Jahr lang auf die Herausausgabe der Monographie ‚Ludmila – Fürstin und Heilige’ hingearbeitet hat. An ihr haben sich zahlreiche tschechische Historiker und Archäologen beteiligt. Diese wissenschaftliche Abhandlung ist ein bedeutsames Werk, das dazu beiträgt zu erklären, wer die heilige Ludmila eigentlich war.“

Feierliche Einführung der Monographie „Ludmila – Fürstin und Heilige“ in der St. Georgs-Basilika auf der Prager Burg | Foto: Anička Guthrie

Das Buch wurde im Februar feierlich in der St.-Georgs-Basilika auf der Prager Burg vorgestellt und von Weihbischof Zdenek Wasserbauer während des Gottesdienstes gesegnet. Bei diesem Anlass wurde auch die Ikone der heiligen Ludmila gesegnet, die im Laufe dieses Jahres durch alle Pfarrbezirke in Tschechien pilgert. Auf den Spuren von Ludmila wandern aber nicht nur Ausstellungen oder Ikonen, sondern auch die Menschen im ganzen Land.

Die Teilnehmer der Wallfahrt von Velehrad bis Tetín zu Ehren der Hl. Ludmila | Foto: Martin Peterka

Wallfahrten und Pilgerorte in der modernen Zeit

Kostbare Reliquie – die Schädel der Hl. Ludmila erstmals in Levý Hradec,  September 2019 | Foto: Anička Guthrie

„In der Corona-Zeit haben wir überlegt, welche Aktivitäten wir starten können, die ohne Innenräume auskommen. Dabei sind uns Wallfahrten eingefallen. Die längste Wallfahrt führt von Velehrad nach Tetín. Symbolisch gesehen ist es die Strecke, mit der die Taufe von Ludmila und Bořivoj in Erinnerung gerufen werden soll. Die Strecke wird in drei Etappen bewältigt, wobei die abschließende dritte am 18. September zusammen mit der nationalen Ludmila-Wallfahrt in Tetín endet. Zudem kann man eine individuelle Pilgerfahrt von Mělník nach Tetín unternehmen, sie verbindet die Plätze des gewaltsamen Todes und der Geburt der heiligen Ludmila. Ich will des Weiteren unsere App Loxper erwähnen, anhand der man die interaktive Strecke durch den historischen Teil Tetíns kostenlos herunterladen kann. Eine zweite Strecke führt durch Prag und die Orte, die mit der heiligen Ludmila verknüpft sind. Eine dritte ist vor allem für Radfahrer bestimmt, sie führt von Zákolany beziehungsweise von Budeč nach Levý Hradec. Diese Wallfahrten sind universell, gleichzeitig aber sehr kirchlich. Man hat Zeit für Kontemplation, kann innere Ruhe finden –und das auch noch in einer Gruppe. Mich freuen diese Aktivitäten.“

Der Prager Erzbischof,  Kardinal Dominik Duka,  im Gebet vor der Reliquie in der Hl. Kliment-Kirche in Levý Hradec,  15. September 2019 | Foto: Anička Guthrie

In dieser Hinsicht sehr aktiv ist auch die Gemeinde Tetín. Diese organisiert zum Beispiel jedes Jahr im September eine Wallfahrt in Gedenken an die Fürstin Ludmila. Dazu gehören ein Gottesdienst sowie Konzerte, Vorlesungen und Märkte. Im Schlepptau der Wallfahrt findet zudem seit mehreren Jahren auch ein weltweites Treffen von Frauen und Männern statt, die Ludmila oder Bořivoj heißen. Jedes Jahr kommen dabei rund einhundert Träger dieser Namen zusammen. Der Name Ludmila ist sehr populär in der Ukraine. Auch dort finden Veranstaltungen statt zum runden Todestag der heiligen Ludmila, an denen der Verein „Heilige Ludmila – 1100 Jahre“ teilhat. Dazu gehören eine Konferenz über die Rolle von weiblichen Heiligen bei der Verbreitung des christlichen Glaubens, die im November an der Orthodoxen Theologischen Akademie in Kiew stattfinden wird, sowie eine Freiluftausstellung auf dem Gelände des St. Michaelsklosters in Kiew. Mit den diesjährigen Veranstaltungen enden die Feiern zum Todestag der Přemyslidenfürstin aber bei weitem nicht.

Die Wallfahrt in Tetín im Jahr 2019 – die Kinder bringen dem apostolischen Nuntius Mons. Charles Daniel Balvo Geschenke | Foto:  Archiv des Vereins 'Hl. Ludmila – 1100 Jahre'

„2015 wurde der Verein ‚Heilige Ludmila – 1100 Jahre‘ vor allem deshalb gegründet, um das Jubiläum gebührend zu würdigen. Das ist uns in hohem Maß gelungen. Die heilige Ludmila ist wieder ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zurückgekehrt und wird zunehmend reflektiert. Und weil die Fürstin nicht nur als böhmische Landespatronin gilt, sondern auch als Patronin der Großmütter und Mütter, könnten wir unsere Tätigkeit ab kommendem Jahr auch auf weitere Bereiche ausdehnen. Das betrifft beispielsweise die Arbeit mit älteren Menschen, die soziale Sphäre oder das Schulwesen. Wir haben eine ganze Reihe an interessanten Kooperationen und Kontakten geknüpft, und es wäre schade, wenn dies verpuffen würde. Ludmila leuchtet wie ein heller Stern am Anfang der böhmischen Geschichte. Und der Umstand, dass wir über sie nur im positiven Sinne reden, könnte wirklich eine große Inspiration sein für die Menschen heute. Sie hat das Geschlecht der Přemysliden selbst dann noch an der Macht gehalten, als ihre beiden Söhne Spytihněv und Vratislav gestorben waren und der Enkel Václav noch nicht volljährig war. Über Ludmila wissen wir vor allem aus mittelalterlichen Legenden. In diesen wird davon berichtet, dass sie sehr tatkräftig und gerecht gewesen sei und besonders den Armen geholfen habe. Als sich die Parteien jeglicher politischer Couleur mit der Rolle der heiligen Ludmila in der damaligen Zeit näher befasst haben, konnten wir feststellen, dass dies mit großen Interesse geschah. Daraus lässt sich schließen: Die Person der heiligen Ludmila schlägt eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart.“

Tetín – links die Katharina-Kirche,  rechts die Ludmila-Kirche | Foto:  Archiv des Vereins 'Hl. Ludmila – 1100 Jahre'
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