15 Jahre danach: Gibt es eine kommunistische Bedrohung?

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Mehr als 15 Jahre nach dem Sturz des kommunistischen Regimes ist auch das junge EU-Mitglied Tschechien voll und ganz eingebunden in den politischen Diskurs Europas. Es wird über die EU-Verfassung diskutiert, über das Budget der Europäischen Union, über Strategien gegen die globale Erwärmung oder über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen. Und dennoch: Immer wieder blitzt in den Debatten auch die kommunistische Vergangenheit des Landes auf, und mit ihr einige bis heute spürbare Facetten des einstigen Machtapparats. Hören Sie dazu die neue Ausgabe unserer Sendereihe "Schauplatz" von Gerald Schubert:

Bedrohung Kommunismus? So lautete das Motto einer öffentlichen Anhörung, die kürzlich im Senat, der Oberen Kammer des tschechischen Parlaments, über die Bühne ging. In seiner Eröffnungsansprache meinte Senatsvorsitzender Premysl Sobotka, das Fragezeichen am Ende des Veranstaltungstitels sei eigentlich fehl am Platz. Für ihn existiere sie sehr real, die Bedrohung Kommunismus. Und er fügte hinzu:

"Es liegt an uns, an den Politikern, an den Lehrern und an den Eltern, die Zeit der kommunistischen Diktatur in der Erinnerung wach zu halten, damit wir nie wieder etwas so furchtbares erleben, wie ein totalitäres System, das sich gegen das eigene Volk richtet."

Inwieweit aber besteht diese Gefahr wirklich? Sind die Worte Sobotkas, eines der ranghöchsten Politiker Tschechiens, einfach ein Ausdruck der politischen Hygiene, wie sie allen demokratischen Gesellschaften gut ansteht? Oder verweisen sie auf ein realistisches Bedrohungsszenario, das die demokratische Entwicklung des Landes jäh unterbrechen könnte? Prinzipiell gilt natürlich: Tschechien ist heute fest eingebunden in die Strukturen von EU und NATO. Die weltpolitische Situation hat mit der unmittelbaren Nachkriegszeit, die im Jahr 1948 zur kommunistischen Machtübernahme in der ehemaligen Tschechoslowakei und zur Eingliederung in sowjetischen Machtblock geführt hatte, kaum mehr etwas gemeinsam. Dennoch aber ist, nur anderthalb Jahrzehnte nach dem Ende dieser Diktatur, hierzulande eine gewisse Vorsicht zu spüren, wenn es darum geht, die Stabilität der demokratischen Entwicklung zu bewerten. Denn dass Demokratie nichts Selbstverständliches ist, sondern stets aufs Neue erarbeitet werden muss, das gehört auch zu den politischen Standardformulierungen der westeuropäischen Staaten, von denen die meisten schon vor 60 Jahren die Tyrannei abschütteln konnten.

Jan Sinagl
Wie also lautet die Diagnose, wenn man die tschechische Gesellschaft auf jene "Bedrohung Kommunismus" untersucht? Für Jan Sinagl, einen ehemaligen tschechischen Emigranten, der sich nach seiner Rückkehr in die Heimat als antikommunistischer Aktivist einen Namen gemacht hat, ist die Antwort klar:

"Die Kommunisten werden immer frecher. Sie versuchen jetzt, die Macht, die sie nie verloren haben, auch de jure zu bestätigen", meint Sinagl, der jahrelang im Schweizer Exil verbracht hat.

Dass die Kommunisten "die Macht nie verloren haben", wie er sagt, ist eine Ansicht, die sich in einem bestimmten Kreis ehemaliger Dissidenten hartnäckig hält. Damit soll aber freilich nicht die Existenz der demokratischen Institutionen geleugnet werden. Vielmehr stoßen sich die Anhänger dieser Version daran, dass manche Leute, die bereits in der kommunistischen Nomenklatura oder in ihrem Umfeld eine privilegierte Stellung innehatten, auch heute noch einen Platz in der gesellschaftlichen Elite einnehmen - sei es in der Politik, in der Wirtschaft oder in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens. Die Radikalität, mit der diese These vorgetragen wird, ist sehr unterschiedlich. Manchmal erinnern die Aussagen in diesem Zusammenhang an recht abstruse Verschwörungstheorien und versteigen sich bis zu der Behauptung, dass selbst die Samtene Revolution des Jahres 1989 ein trickreicher Putsch der Kommunisten war, um auch nach der Auflösung des sowjetischen Machtblocks am Ruder zu bleiben. Derlei Töne kommen jedoch nur von einer kleinen Minderheit. Gemäßigte Stimmen weisen einfach darauf hin, dass einige Menschen es verstehen, in so gut wie jedem System obenauf zu schwimmen. Und das wiederum ist bestimmt kein tschechisches Spezifikum.


Vergessen wir bei allen Überlegungen rund um die Residuen des kommunistischen Systems nicht auf die KSCM, die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens. Sie gilt als relativ unreformiert. Im Unterschied zu anderen ehemaligen Ostblockstaaten hat sie sich nicht zu einer Sozialdemokratischen Partei gewandelt. Die Sozialdemokratie nämlich ist in Tschechien aus den Strukturen der Exilpartei sowie aus heimischen Bewegungen, die sich auf die Zwischenkriegszeit beriefen, quasi aus sich selbst hervorgegangen. Die Kommunisten blieben daher eher dort, wo sie waren, und etablierten sich als fest im Sattel sitzende Protestpartei für Modernisierungsverlierer. Ihre Wahlerfolge sind recht beachtlich: Mit etwa 18,5 Prozent der Wählerstimmen wurde sie nach den Wahlen im Jahr 2002 zur drittstärksten Kraft im Abgeordnetenhaus, bei den Europawahlen zwei Jahre später lag sie bei über 20 Prozent, derzeit stellen ihr die Umfragen sogar 25 Prozent in Aussicht. Diese Zahlen werden aber gerade von den Gegnern der Kommunisten gerne relativiert:

"Das ist ein Problem der Wahlbeteiligung. Wenn die Kommunisten - so, wie sie es immer gemacht haben - quasi auf Befehl an den Wahlen teilnehmen, dann haben sie eben die entsprechenden Prozente", sagt Jan Sinagl.

Tatsächlich: Die Wahlbeteiligung ist unter den Anhängern der KSCM traditionell besonders hoch, die Kommunisten schöpfen daher ihr Wählerpotential - im Vergleich zu den übrigen Parteien - stets gut aus. Auf der anderen Seite steht jedoch das hohe Durchschnittsalter der kommunistischen Wähler, das die schärfsten Gegner der Partei dann doch wieder ein wenig ruhiger schlafen lässt.


Aber wie gesagt: Stimmen und Mandate, so meinten mehrere Teilnehmer der eingangs erwähnten Senatsdebatte, sind nicht die einzigen Parameter, an denen sich so etwas wie eine "kommunistische Bedrohung" messen lasse. Petr Vancura von der "Gesellschaft für Freiheit und Demokratie" in seinem Redebeitrag:

"Die heutige bolschewistische Gefahr besteht nicht in einer möglichen Rückkehr der Kommunisten an die Macht - denn an der Macht sind sie ja im Wesentlichen geblieben! Die Gefahr besteht vielmehr im Weiterbestehen und in der Stärkung des heutigen postkommunistischen Regimes."

Vaclav Havel  (Foto: CTK)
Und da ist sie wieder: Die Theorie, dass sich an den Machtverhältnissen im Land eigentlich nichts geändert hat. Der mit Sicherheit prominenteste ehemalige Dissident, Ex-Präsident Václav Havel, ist solchen radikalen Thesen nicht zugeneigt. Er betont lieber mit einer gewissen Genugtuung, dass die junge Generation bereits in einer demokratischen Gesellschaft aufwachsen kann. Die Tatsache, dass Umfragen gerade dieser Generation recht magere Kenntnisse über die noch nicht so weit zurückliegende kommunistische Diktatur attestieren, sieht Havel nicht so dramatisch:

"Die jungen Leute interessiert es vielleicht nicht besonders, was wir erlebt haben, oder was die Samtene Revolution war. Wichtig aber ist, dass sie einige der Werte und Ideale, um die es damals ging, bereits selbstverständlich in sich tragen", meint Václav Havel.

Auf dieser "Selbstverständlichkeit" ausruhen will sich aber gerade Havel nicht, der immer wieder Konferenzen und Diskussionsforen organisiert, um die Reflexion über die demokratische Gesellschaft in Gang zu halten.