19 Stunden und kein Ende – Marathonsitzung im Abgeordnetenhaus

Abgeordnetenhaus (Foto: ČTK)

Die Abgeordneten des Tschechischen Parlaments stehen vor einer eigentlich lösbaren Aufgabe: das Reformpaket der Regierung zu verabschieden. Einmal ist ihnen das bereits gelungen, allerdings hat die Opposition im Senat die Gesetze abgelehnt. Nun kann die untere Kammer mit der Regierungsmehrheit die Gesetze endgültig verabschieden, und eigentlich sollte dies auch kein Problem sein – hätte die Opposition nicht beschlossen, auf ein parlamentarisches Mittel zurückzugreifen, dass für Deutsche etwas ungewöhnlich erscheint.

Miroslav Kalousek  (Foto: ČTK)
Nach 19 Stunden Sitzungsmarathon im Parlament wurden am Mittwochmorgen wohlverdiente zwei Stunden Pause für die Abgeordneten angekündigt. Der Grund für die Endlossitzung: Die Sozialdemokraten haben sich zur Obstruktion entschlossen. Indem sie die Abstimmung hinauszögern, wollen sie gegen die Regierungsreformen protestieren. Finanzminister Kalousek gab in der Pause, sichtlich erschöpft, dem Tschechischen Fernsehen ein Interview zur Situation:



Tschechische Abgeordnete musizieren nicht zum Ersten Mal
„Obstruktion als solche ist sicherlich ein legitimes Instrument. Aber das hier ist sicher nicht legitim, das ist schon keine Obstruktion mehr, das ist das Blockieren einer Verfassungsinstitution. Die Abgeordneten wurden gewählt, damit sie arbeiten. Ich würde es ja verstehen, wenn die Abgeordneten der Sozialdemokraten versuchten, eine Verbesserung der Arbeit zu erreichen. Aber sie versuchen nur, uns an der Arbeit zu hindern. Sie versuchen, die Tätigkeit der gesetzgebenden Versammlung zu blockieren, und das verstehe ich nicht als legitime Obstruktion.“

Unter Obstruktion versteht man die Verlängerung oder Verhinderung einer Entscheidung im Parlament durch lange Reden, gehäufte Anträge an das Präsidium, aber auch Störungen der Redner durch Singen, Musik oder Zwischenrufe. Was derzeit im Tschechischen Parlament geschieht, also endlose Redebeiträge zu einem Gesetz, lässt sich aber besser mit dem Begriff „Filibuster“ bezeichnen. Das „Zerreden“ eines Antrages hat im angelsächsischen Raum eine lange Tradition und ist im amerikanischen Senat und im britischen Unterhaus durchaus noch verbreitet. Häufig dient es aber dazu, Zeit zu schaffen für weitere Verhandlungen hinter verschlossenen Türen.

Bohuslav Sobotka  (links). Foto: ČTK
Die Obstruktion hat auch in Tschechien und in Österreich eine Tradition: Im Wiener Reichsrat blockierten die Tschechen die Sitzungen, indem sie zum Beispiel Musik spielten oder endlose Reden hielten, in denen Gedichte vorgetragen wurden. Die Obstruktion der Sozialdemokraten im tschechischen Parlament soll aber eher einen Standpunkt klarmachen, wie der Parteivorsitzende, Bohuslav Sobotka, herausstreicht:

„Wir haben gestern klar gemacht, dass die Obstruktion gegen die Gesetze gerichtet ist, die aus dem Senat zurückgekommen sind. Der Senat hat sie abgelehnt, und wir vertreten die gleiche Meinung wie die Mehrheit im Senat: Diese Reformen schaden der Tschechischen Republik und sie schaden der Mehrheit unserer Bürger.“

Abgeordnetenhaus  (Foto: ČTK)
Ermöglicht wird diese Obstruktion der Parlamentarier durch die Geschäftsordnung des tschechischen Abgeordnetenhauses: Jeder Abgeordnete hat das Recht, nach vorheriger Anmeldung, sich zu jedem Thema zu äußern – und das ohne zeitliche Begrenzung. Nach der nächtlichen Dauersitzung hat die Regierungskoalition am Mittwoch dann beschlossen, die Redebeiträge jedes Abgeordneten auf nur noch zehn Minuten zu beschränken – sollten sich nun alle 54 Abgeordneten der Sozialdemokraten noch einmal zu Wort melden, wäre die Debatte wohl nach weiteren neun Stunden beendet.

Strom Thurmond
Im internationalen Vergleich sind 19 Stunden Sitzung bei 54 Abgeordneten übrigens nichts Besonderes: Die längste Rede hielt der amerikanische Senator Strom Thurmond aus South Carolina im Jahr 1957. Mit seiner 24 Stunden und 18 Minuten langen Rede versuchte er, die Aufhebung der Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen der USA zu verhindern.