Tschechen und Österreicher können auch über andere Dinge reden, als über das Atomkraftwerk Temelin. So geschehen im Kloster Louka bei Znojmo / Znaim, wo am 14. und 15. Juni Historiker und Diplomaten aus beiden Ländern konferiert haben. Ihr Thema: "Das Jahr 1968 im europäischen Kontext". Damals, beim Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag, flohen 160.000 Tschechoslowaken über die Grenze nach Österreich. Von der Konferenz meldet sich Gerald Schubert.
1968 ist ein Schlüsseljahr in der europäischen Geschichte. Ein Schlüsseljahr aber, das nicht mit einem einzelnen Ereignis an einem bestimmten Ort verbunden ist, sondern mit vielen Ereignissen und Entwicklungen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Die tschechisch-österreichische Konferenz im südmährischen Znojmo beschäftigte sich mit genau dieser Vielschichtigkeit des Symboljahres.
Außenminister Karel Schwarzenberg
Zum Auftakt sprachen am Donnerstag der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg und seine österreichische Amtskollegin Ursula Plassnik - beide sozusagen aus der österreichischen Perspektive. Denn Karel Schwarzenberg hat die Zeit des kommunistischen Regimes der ehemaligen Tschechoslowakei im österreichischen Exil verbracht. Wie viele andere Zeitzeugen erinnerte er sich an die Welle der Solidarität, die es unter der österreichischen Bevölkerung für die tschechoslowakischen Flüchtlinge gegeben hat, während die Panzer der Warschauer-Pakt-Truppen den Prager Frühling und damit die Reformträume vieler Tschechen niederwalzten. Und er erinnerte unter anderem an die Rolle des Österreichischen Rundfunks, der in diesen stürmischen Tagen Sendungen in tschechischer und slowakischer Sprache ausgestrahlt hatte.
August 1968 in Prag
Die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik ging in ihrer Wortmeldung auf die aktuelle Entwicklung der Europäischen Union ein: auf die Notwendigkeit eines neuen EU-Vertrags und die Beitrittsperspektive für Staaten des Balkans, die Österreich unterstützt. Europa müsse ein Kontinent der Zuversicht bleiben, sagte sie. Auch das sei ein Auftrag des Jahres 1968.
1968 steht aber auch für die Studentenrevolte in Westeuropa - in Paris, Berlin, Frankfurt und vielen anderen Städten. Es ist das Aufbegehren gegen das so genannte Establishment, das die Reformbewegungen auf beiden Seiten am ehesten verbindet.
Die meisten Konferenzteilnehmer wiesen am zweiten Tag der Konferenz aber eher auf die Unterschiede östlich und westlich des Eisernen Vorhangs hin. Mehr zu diesem Thema bringen wir am Montag in unserer Sendereihe Schauplatz.