25 Jahre in der Mitte Europas: Festivalleiter Thomas Thomaschke blickt zurück
Am Anfang stand eine Meisterklasse für Sänger, die 1990 im sächsischen Mißlareuth zusammenkam. Daraus entwickelte sich zunächst ein Verein und schließlich das grenzüberschreitende Festival Mitte Europa. Der Anspruch war von Beginn an, die Menschen im Grenzraum mit Konzerten, Ausstellungen und Lesungen zusammenzubringen. Heute ist das Festival eine feste Größe im kulturellen Leben zwischen Bayern, Böhmen und Sachsen. Nach fast 25 Jahren gibt der Gründer des Festivals, Prof. Thomas Thomaschke nun die künstlerische Leitung ab. Im Gespräch mit Radio Prag blickt er zurück, und gibt ein letztes Mal einen Ausblick: Auf das diesjährige Festivalprogramm.
„Man könnte sagen, dass wir uns mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschieden. 25 Jahre sind wirklich eine lange Zeit. Es hat sehr viel Spaß gemacht und viel Freude. Wir denken, wir konnten auch einiges bewegen. Aber in einem bestimmten Alter muss man einen Schlussstrich ziehen. Und für die Weiterentwicklung ist es auch gut, wenn jemand jüngeres das Festival fortführt.“
Können Sie schon etwas über Ihren Nachfolger verraten?„Es gab eine deutsch-tschechische Findungskommission für den Nachfolger. Es gab weit über 50 Bewerber, darunter viele interessante. Die Findungs-kommission hat sich auf den 40-jährigen Konzertpianisten Manfred Schmidt geeinigt. Er ist mit dem Festival bereits vertraut. Er hat über zwölf Jahre in meiner Meisterklasse für Gesang als Pianist mitgewirkt und war auch schon einmal als Begleiter des Festivalprogramms dabei. Aber er ist es nicht geworden, weil er schon das Festival kannte, sondern weil er die beste Konzeption vorgelegt hat. Es war ein einstimmiger Beschluss und ich freue mich für ihn. Ich hoffe, dass er eine gute Wahl ist. Wenn er meine Hilfe braucht, werde ich ihn natürlich auch unterstützen.“
Sie sprechen von Konzeptionen. Heißt das, dass es auch Neuerungen im Festival geben wird?„Es geht eigentlich darum, dass die Grundkonzeption des Festivals fortgeführt wird. Dieser Grundgedanke geht auf das Jahr 1990 zurück, als der Eiserne Vorhang fiel. Wir als Bürgerinitiative waren uns einig, dass wir diese Zusammenarbeit haben möchten. Sie sollte sowohl innerdeutsch als auch deutsch-tschechisch sein, also zwischen Sachsen und Bayern genauso wie zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik. Aus dieser Situation ist das Festival entstanden. Man muss in der Weiterführung wissen, wo man sich bewegt. Es ist ja ein ländlicher Raum, eine Grenzregion. Dabei muss man ein bisschen anders denken. Das Festival zielte ja auf die Bevölkerung. Es sollte die Möglichkeit schaffen, sich über die Grenze hinweg zu treffen und Freundschaften zu schließen. Das würde nicht funktionieren, wenn man beispielsweise ein Festival in Prag oder in München organisieren würde. Aus diesem Grund hat das Festival auch so viele Facetten. Es gibt nicht nur Musik, sondern auch bildende Kunst und Theater. Außerdem sollte das Festival ein Motor für die Entwicklung der Grenzregion sein. Dass diese Region belastet ist, wissen wir aus der Historie, deswegen muss man bei der Planung mit feiner Hand vorgehen. Die Möglichkeit, künstlerisch neue Ideen einzubringen, ist jedem künstlerischen Leiter vorbehalten – aber die Grundphilosophie muss stimmen.“
Sie haben nicht nur Musik in abgelegene Orte gebracht, sondern versucht, auch Begegnungen zu schaffen – zwischen Bayern, Böhmen und Sachsen. An welche Begegnungen erinnern Sie sich besonders? Ist daraus auch etwas Dauerhaftes entstanden?„Darüber könnte man ein ganzes Buch schreiben. Es fällt schwer, etwas herauszugreifen, doch ich versuche es. Als die Tschechische Republik der EU beitreten wollte, waren wir in einem kleinen Ort namens Krásná an der Grenze. Der Bürgermeister hatte uns eingeladen, in der Kirche ein Konzert zu veranstalten, um dem Publikum zu zeigen, dass sie frisch renoviert wurde. Dafür haben wir einen Chor aus Brüssel eingeladen, der nur aus EU-Angestellten aus acht Nationen bestand. Das Konzert mit diesem Chor und die anschließende Diskussion über die EU haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Daraus hat sich etwas entwickelt, was man rein theoretisch nicht auf den Weg hätte bringen können. Ich erinnere mich auch an die erstmalige Eröffnung der Kirche in Cheb, die seit 1945 geschlossen war. Sie war innen und außen völlig zerstört. Heute wird sie wieder als Ausstellungs- und Konzertraum genutzt. Dann erinnere ich mich an die kleine Wallfahrtskirche in Pomezí. Um diese Kirche herum war nach der Wende für lange Zeit ein Vietnamesen-Markt. Die Kirche wurde wieder renoviert und dort gibt es heute regelmäßige Veranstaltungen. Die Menschen kommen aus Deutschland und Tschechien und sitzen zusammen. Wir erhalten seit vielen Jahren von Besuchern das Feedback, dass sich in den Pausen Freundschaften entwickeln, obwohl man zu Beginn nur Banknachbar war. Diese Menschen treffen sich auch außerhalb des Festivals wieder. So sind es dann Tschechen, die nach Bayern oder nach Sachsen fahren und umgedreht. Das ist natürlich eine prima Sache, die in Erinnerung bleibt. Es ist schön, wenn das eingetreten ist, was wir uns 1990 als Vision vorgenommen hatten. Ich hoffe, dass es für eine lange Zeit so bleibt, denn die Probleme in den Grenzgebieten sind zwar teilweise abgebaut. Man sollte aber aus der Geschichte lernen, dass diese Grenzgebiete sehr schnell zu einem explosiven Stoff werden können. Das ist auch mein Credo, das ich meinem Nachfolger mitgegeben habe. Man darf nicht aufhören in diesen Räumen etwas zu tun, denn es gibt kein Festival, das vergleichbar wäre.“
Für das Programm der kommenden Saison hatten Sie noch die Federführung. Können Sie schon etwas verraten, wie es genau aussehen wird?„Es gibt schon ein paar Eckdaten. Zum einen gibt es bei uns ja einen Artist in residence. Das war bis zu seinem Tod Lord Yehudi Menuhin, der das Festival als Mensch und Künstler begleitet hat. Danach hatten wir wechselnde Künstler. In diesem Jahr haben wir den Cellisten Jiří Bárta für die tschechische Seite und Matthias Grünert für die deutsche Seite. Er ist Organist der Frauenkirche in Dresden. Außerdem steht bereits fest, dass wir das Festival am 14. Juni in Karlsbad eröffnen werden, und zwar in einem neu restaurierten Gebäude, dem Nationalhaus. Dort spielt das Bachorchester des Gewandhauses Leipzig. Außerdem haben wir einen neuen Festivalort, nämlich Kraslíce. Das ist ein historischer Ort für den Instrumentenbau, wo eine kleine Konzerthalle gebaut wurde. Dort wird einer der besten jungen Schlagzeuger auftreten, der auch den ARD-Wettbewerb gewonnen hat, Alexej Gerassimez. Und das Abschlusskonzert ist im sächsischen Adorf im Vogtland, dort spielt das Janáček-Orchester mit Josef Špaček als Geiger. Grundprinzip des Festivals bleibt es, tschechische Musiker nach Deutschland zu bringen und umgekehrt. Zudem spielt die europäische Komponente hinein. Wir haben etwa zehn weitere Länder, die im Festival mitwirken. Im Augenblick sind wir dabei, das richtig zu planen. Es ist eine Kunst für sich, so ein großflächiges Festival zu koordinieren. Denn wir haben ja keine eigenen Spielorte. Unser Prinzip ist es, das immer gemeinsam mit den Kommunen und Kirchen zu koordinieren, was natürlich oft lange dauert – wenn man vom Bürgermeister bis zum Organisten alle fragen muss, ob sie mit dem Termin und dem Programm einverstanden sind. Außerdem muss man aufpassen, dass in einer Region nicht zu viele Veranstaltungen hintereinander sind. So ein flächendeckendes Festival hat also seine ganz spezielle Planung, aber das macht auch den Reiz aus.“
Wie lange geht es für Sie konkret nun noch weiter?„Ich beende nun dieses Programm, bis es Mitte März gedruckt vorliegt. Dann wird mein Nachfolger die praktische Durchführung und Planung übernehmen. Aber als Künstler werde ich die internationale Meisterklasse für Gesang fortsetzen, die wir schon vor der Wiedervereinigung initiiert haben. Daraus hat sich diese Initiative mit Studenten und Bürgern entwickelt, aus der das Festival entstanden ist.“