Musikfestival Mitte Europa erinnert an verfolgte jüdische Komponisten

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Bereits zum 22. Mal werden dieser Tage sehr kleine Orte wie auch größere Städte im Dreiländereck zwischen Bayern, Böhmen und Sachsen durch das Musikfestival „Mitte Europa“ belebt. Im Festivalprogramm wird unter anderem an das reiche künstlerische Schaffen der Deutschböhmen und an die durch das Naziregime verfolgten jüdischen Komponisten erinnert. In engem Bezug zur Festivalregion steht auch ein Abend zu Ehren des Schriftstellers Jean Paul anlässlich seines 250. Geburtstags.

Ivana Thomaschke-Vondráková  (Foto: Pirna TV)
Das deutsch-tschechische Festival „Mitte Europa, Bayern – Böhmen – Sachsen“ hat seine Wurzeln im Jahre 1990. Zu dem Vorhaben trugen einerseits der Fall des Eisernen Vorhangs bei und andererseits die persönlichen Biographien der Festivalinitiatoren. Das Ehepaar Thomaschke, der deutsche Konzert- und Opernsänger Thomas Thomaschke und die Prager Kunsthistorikerin Ivana Thomaschke-Vondráková, emigrierte 1976 aus der DDR in die Bundesrepublik. In der Wendezeit entwickelten die Thomaschkes gemeinsam mit Freunden den Plan, aktiv das Zusammentreffen und die Zusammenarbeit der Menschen vor allem in den Grenzgebieten zwischen dem damals noch geteilten Deutschland und der Tschechoslowakei zu fördern. Das mündete 1992 im ersten Jahrgang des Festivals Mitte Europa, seitdem haben viele namhafte Künstler aus aller Welt das Programm bereichert. Beim 22. Jahrgang finden rund 60 Veranstaltungen an fast ebenso vielen Orten in der Grenzregion statt. Dabei besteht ein gemeinsames Motto, wie Thomas Thomaschke sagt:

„Das Motto ist diesmal die Violine. Es gibt sehr viele junge Violinenkünstler, tschechische, aber auch internationale, die schon berühmt sind und beim Festival auftreten. Unsere Schwerpunkte sind sehr unterschiedlich, aber in diesem Jahr haben wir dieses Instrument ausgewählt. Es hat einen ganz bestimmten Charakter und erreicht die Menschen sicherlich auf eine ganz bestimmte Art und Weise.“

Das Hauptanliegen des Festivals ist allerdings, dass die Menschen in der Grenzregion zusammentreffen. Tschechische Musiker geben Konzerte auf der deutschen Seite und deutsche Musiker in Böhmen, dies alles im Zeichen des deutsch-tschechischen Kulturaustausches. Aber auch deutsch-tschechische Gemeinsamkeiten und Bindungen aus der Musikgeschichte werden im Programm des Festivals festgemacht. So etwa beim Liederabend am 1. Juli in Cheb / Eger, an dem unter anderem Lieder des böhmischen Komponisten Johann Wenzel Tomaschek, beziehungsweise Jan Václav Tomášek erklingen:

„Wir haben hier Lieder, die von Tomaschek komponiert worden sind, auf Goethe-Texte. Sie wurden in Eger, wo wir auch das Konzert haben, zum ersten Mal Goethe vorgespielt. Das weiß man historisch. Deshalb gehen wir speziell an diesen Ort, weil offensichtlich dort zum ersten Mal diese Lieder zu hören waren.“

Die erste Aufführung der Lieder fand im August 1822 statt. Goethe soll den 25 Jahre jüngeren Komponisten für seine Vertonungen gelobt haben. Danach sind sie allerdings in Vergessenheit geraten.

„Die Lieder sind seit einigen Jahren bekannt. Ich habe selbst, da ich ja Sänger von Beruf bin, einmal sie in der Hand gehabt, und wollte sie schon mit einem tschechischen Pianisten aufführen. Aber es ist leider nicht dazu gekommen. Eine Kollegin von mir, Frau Raimondi von der Wiener Staatsoper, hat diese Lieder vor drei oder vier Jahren auf einer CD eingespielt. Also habe ich gesagt, ich muss die Lieder jetzt nicht lernen, sondern sie sind schon vorhanden, ein Sopran kann sie auch singen, sie sind, glaube ich, auch original für eine hohe Stimme.“

Ildikó Raimondi  (Foto: YouTube)
lldikó Raimondi ist eine gefeierte Sängerin auf der Opernbühne, aber auch eine gesuchte Liedinterpretin und Konzertsängerin. Beim Festivalkonzert singt sie am kommenden Montag in der Kirche der Hl. Klara in Cheb.

Für ein dramatisches Vorspiel des Festivals sorgte in diesem Jahr das Hochwasser. Man musste aus dem Festivalbüro in dem überschwemmten sächsischen Pirna flüchten. Dennoch gelang es, das Festival am 16. Juni erfolgreich zu eröffnen. Das Hochwasser hat auch einige Veranstaltungsorte heimgesucht, vor allem Terezín, das frühere Theresienstadt, wo einer der Höhepunkte des Festivals stattfindet:

Hochwasser in Theresienstadt  (Foto: YouTube)
„Mit Terezín haben wir natürlich ein bisschen Probleme. Soweit ich informiert bin, war es nicht überschwemmt, aber rings herum stand überall Wasser. Das wird sicherlich ein Problem sein. Aber wir sind schon erprobt, was das Hochwasser betrifft. Denn auch 2002, als es das große Hochwasser gab, mussten wir Künstler aus dem Gebiet holen und zum Teil auch heimlich über gesperrte Brücken mit ihnen fahren, damit sie entsprechend rechtzeitig zu der Veranstaltung gekommen sind. Daher denke ich, dass es in diesem Jahr glimpflich abgehen wird.“

In Theresienstadt wird im Rahmen der Programmreihe Genius Loci am 7. Juli ein Orchesterkonzert gegeben.

Karel Ančerl  (Foto: YouTube)
„Wir haben zu einen für das Konzertprogramm zwei Kompositionen von Suk und Dvořák ausgesucht. Es sind Werke, die der berühmte Dirigent Karel Ančerl, der damals auch in Theresienstadt interniert war, dort aufgeführt hatte. Und es gibt auch zwei Kompositionen von Theresienstädter Komponisten: ‚Die Weise von Liebe und Tod’ von Viktor Ullmann auf einen Text von Rainer Maria Rilke und die Partita für Streicher von Gideon Klein. Die Werke wurden damals in Theresienstadt geschrieben und aufgeführt. Da haben wir eine Kombination, mit der wir versuchen, eine Brücke sichtbar zu machen. Neben der tschechischen Musik gehört auch die von Deutschböhmen hierher. Deutsch-jüdische Elemente und tschechische Elemente sind hier zusammengeflossen, und es ist wichtig, dass sie an einem solchen Ort wieder aufgeführt werden.“

Orchester Jakobsplatz München  (Foto: YouTube)
Gespielt wird das Konzert vom jungen Orchester Jakobsplatz München. Das Orchester wurde im 2005 gegründet, es besteht aus professionellen Musikern aus mehr als 20 Ländern und wird von Dirigent Daniel Grossmann geleitet. Das Orchester konzentriert sich in seinem Programm auf die Gegenüberstellung selten gespielter Werke jüdischer Komponisten mit der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Das Konzert in Theresienstadt findet in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Theresienstadt statt. Für Besucher dieses Konzertes ist es möglich, die Gedenkstätte zu einem ermäßigten Preis zu besuchen. Die Wahl von Theresienstadt als Veranstaltungsort erfolgte aber nicht nur zufällig, betont Thomas Thomaschke:

Thomas Thomaschke  (Foto: Pirna TV)
„Es ist ja eine Grundlage dieses Festivals, bestimmte Gemeinsamkeiten der Geschichte aufzuzeigen oder sie aufzuarbeiten, weil sie wirklich eine Tragödie waren. So ist Terezín, vor allen Dingen für die Leute, die es getan haben, für die Deutschen, ein großes Problem. Für die Menschen, die in Terezín im Ghetto interniert waren und dann nach Auschwitz gebracht wurden, war es aber mehr als nur ein Problem. Es ist einfach unsere Aufgabe, diese Dinge in Erinnerung zu rufen. Fast jedes Jahr haben wir auch ein Requiem auf dem Programm, weil wir generell auf die Leiden und die Opfer, die es im vergangenen Jahrhundert gegeben hat, aufmerksam machen und zur Versöhnung beitragen wollen. Terezín ist ein Ort, an dem man an Versöhnung denken und sie finden muss. Deshalb ist es auch gut, dass wir für dieses Konzert in Terezín ein junges Orchester ausgewählt haben. Es sind junge jüdische Musiker aus 20 Nationen, die dort musizieren werden. Ich denke, es ist wichtig, dass junge Leute an diesen Ort kommen. Ich hoffe, dass auch viel deutsches Publikum kommt. Diese Erlebnisse, die man jetzt durch das Festival zusammen hat, sind sehr wichtig. Wir hoffen, dass dadurch ein bestimmtes Umdenken, Erinnern oder auch eine gemeinsame Zukunft entsteht.“