85 Jahre Tschechischer Rundfunk: die Jahre im Protektorat
Der Staatsfeiertag am 8. Mai erinnert in Tschechien an den Jahrestag des Kriegsendes. Eine wichtige Rolle besonders in den letzten Kriegstagen in Böhmen hat dabei auch der Tschechische Rundfunk gespielt - das Prager Funkhaus stand im Zentrum des Aufstandes gegen die deutschen Besatzer. In wenigen Tagen, am 18. Mai, begeht der Tschechische Rundfunk sein 85. Jubiläum. Aus Anlass der beiden Jahrestage wollen wir daher an die wohl schwerste Zeit der Geschichte des Rundfunks erinnern - an die dunklen Jahre im Protektorat.
„Erlauben Sie, dass ich noch eine völlig nicht-militärische Kleinigkeit erwähne. Von irgendwoher kommt über Prag gerade ein großer schwarzer Rabe geflogen und er segelt vom Museum über die Truppenparade hinweg zum Mustek herab. Er wird sich wohl wundern über den Anblick und den Krach da unter ihm.“
„Die Reportage ist vom 19. März, von der ersten Parade der Deutschen Wehrmacht auf dem Wenzelsplatz. Mir ist nie der Gedanke gekommen, dass Kocourek sich das Bild ausgedacht haben könnte – dafür war er viel zu sehr Reporter: jemand, der die Realität wahrnimmt und in seinen Reportagen in Bilder umsetzen kann“, so Radiohistoriker Jiří Hraše.Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen und der Errichtung des Protektorates Böhmen und Mähren begann auch im Rundfunk eine neue Ära, weiß Hraše:
„Vor allem hat die Zensur eingesetzt, und zwar die nationalsozialistische Zensur. Die hat vom ersten Moment an funktioniert, so wie auch einige Angestellte des Rundfunks schon am 15. März mit einem Hakenkreuz am Revers in die Arbeit kamen und sich auf einmal als Vorgesetzte und Kontrolleure aufgespielt haben. Alle Skripte wurden also ungewöhnlich scharf kontrolliert und zusammengestrichen.“
Es ist eine zweischneidige Politik: mit dem Anschein einer gewissen Autonomie soll die Ruhe im Land gewahrt werden, zugleich aber halten die deutschen Machthaber die Zügel fest in der Hand - auch gegenüber den Medien. Tschechisches war nur insoweit erlaubt, wie es nicht den Zielen des Dritten Reiches entgegenstand, wie ein Dokument aus dem Jahr 1941 verdeutlicht:
„In historischer Hinsicht ist die Erwähnung aller Ereignisse, bei denen die Tschechen in Opposition zum Deutschen Reich standen, unerwünscht, Das gilt ebenso für die Hussitenzeit, den Panslawismus, die tschechoslowakische Republik und so weiter, ausgenommen, wenn dies von einem entsprechenden Kommentar begleitet wird, der diese Perioden als Irrtum kennzeichnet.“
Während der Rundfunk in Böhmen seine Freiheit verloren hatte, entstanden im Ausland neue tschechische Sendungen. In der BBC sprach der Diplomat und Präsidentensohn Jan Masaryk und über die Stimme Amerikas machte das berühmte Schauspielerduo Werich und Voskovec seinen Landleuten in den so genannten „Schwarzen Viertelstunden“ Mut zum Durchhalten. Hören durfte man solche Sendungen natürlich auch im Protektorat nicht - auf den Empfang ausländischer Sender stand im schlimmsten Falle die Todesstrafe, so Jiří Hraše:
„Nicht nur, dass eine entsprechende Aufschrift an jedem Empfänger angebracht sein musste – aus jedem Empfänger mussten auch die Teile herausgenommen werden, die Kurzwellenempfang ermöglichen. Aber die ausländischen Sendungen wurden natürlich trotzdem gehört - der böhmische Bastlergeist hatte schon bald ein kleines Zusatzteil hervorgebracht, das man schnell in den Empfänger hineinstecken und auch wieder herausnehmen konnte. Das hatte den Spitznamen ´Churchillek´ und hat den Kurzwellenempfang wieder möglich gemacht.“
„Im Rundfunk haben die Mitarbeiter versucht, die volle Breite der Genres aufrechtzuerhalten. Aber es versteht sich von selbst, dass zum Beispiel für historische Sendungen unverfängliche Themen ausgewählt werden mussten. Sehr breit und ambitioniert war das Angebot dagegen bei den Naturwissenschaften. Aus nahe liegenden Gründen haben lokale und folkloristische Sendungen einen großen Aufschwung gehabt. Tschechische Literatur wurde soweit wie möglich, wie es die Zeit eben erlaubt hat, herangezogen. Zu den Neuigkeiten der Kriegszeit gehörten schließlich kurze Reportagen und Interviews, immer nur wenige Minuten lang.“
Frei gesprochene, ungestellte Reportagen, wie sie in den vierziger Jahren etwa von touristischen Sehenswürdigkeiten oder aus Werkstätten und Fabriken gesendet wurden, gab es im Tschechoslowakischen Rundfunk erst wieder in den sechziger Jahren zu hören. Aber das war keine Frage des journalistischen Könnens, weiß Radiohistoriker Jiří Hraše.
„Wir dürfen nicht vergessen, dass dazwischen Jahre lagen, in denen man schlichtweg nicht live ins Mikrophon sprechen durfte. Sogar die Reportage vom Begräbnis von Präsident Gottwald im Jahr 1953 war schon vorher geschrieben – alles war auf die Minute genau geplant. Als sich dann aber doch eine Verzögerung ergeben hat, wurde lange Zeit einfach Stille gesendet, weil sich kein Reporter getraut hat, etwas anderes zu sagen, als das, was da so minutiös geplant war.“
Vor dem erneuten Fall in die neue, diesmal kommunistische Abhängigkeit stand aber noch eine Sternstunde des Prager Rundfunks. Das Signal zum Prager Aufstand vom 5. Mai 1945 kam vom Rundfunk; das Funkhaus stand im Mittelpunkt der Kämpfe zwischen den aufständischen Pragern und den abziehenden deutschen Truppen, über den Rundfunk wurden die alliierten Truppen zur Hilfe gerufen. Jiří Hraše:
„Ich glaube, die Sendungen vom Mai 1945 zeigen deutlich, dass der Rundfunk vorbereitet war. Er war technisch vorbereitet: Es gab Studios außerhalb des Hauptgebäudes, Reportagewagen - aus einem von ihnen wurde am 9. Mai hinter den russischen Panzern die erste Reportage aus dem befreiten Prag gesendet. Und der Rundfunk war auch mit Blick auf das Programm vorbereitet – schon während des Protektorats ging das ganze Streben dahin, den tschechischen Hörern auch ein tschechisches Programm zu bieten. Und so kann man, glaube ich, sagen, dass der Rundfunk seine Prüfung im Protektorat bestanden hat.“