Achtung Acht! Tschechien und die Achter-Jahre (2)

Bei Radio Prag heißt es heute erneut „Achtung Acht!“ Seit zwei Wochen zeigt der Kalender wieder eine Acht am Ende der Jahreszahl. Für Tschechien ist das keine Ziffer wie jede andere. In dem nun folgenden Geschichtskapitel laden wir Sie daher ein zum zweiten Teil unseres Streifzuges durch die schicksalsträchtigen Achter-Jahre in der tschechischen Geschichte.

In der christlichen Mystik symbolisiert sie geistige Wiedergeburt und glücklichen Neuanfang - die Zahl Acht. Am achten Tag beginnt die neue Woche. Mit Neuanfängen und Umbrüchen ist die Acht auch in der tschechischen Geschichte verbunden – allerdings nicht immer mit glücklichen.

„Die tschechische Geschichte hat etwa vierzig schicksalsträchtige Achter-Jahre“,

so hat es der Prager Historiker Petr Čornej quer durch die Jahrhunderte gezählt. Der tschechische Mythos der Achter-Jahre ist aber erst im vergangenen Jahrhundert entstanden:

„Vor allem im 20. Jahrhundert ist es so, dass die für Tschechien besonders bedeutenden Ereignisse in Jahren mit einer Acht am Ende stattgefunden haben. 1918, 38, 48, 68 – nur das kommunistische Regime hat es noch ein Jahr länger geschafft, da hat es mit der Acht nicht geklappt. Aber ansonsten ist die Acht über jedes statistisch-wahrscheinliche Maß hinaus häufig vertreten“,

erklärt der Leiter des Prager Institutes für Zeitgeschichte Oldřich Tůma. Die erste Schicksals-Acht des jungen Jahrhunderts bringt dem Land Glück. Aus den Trümmern der Habsburgermonarchie ersteht 1918 die unabhängige Tschechoslowakei. Zwanzig Jahre später haben sich bereits die dunklen Wolken der Diktatur über Europa zusammengezogen. Aber so wie Präsident Edvard Beneš hoffen am Neujahrstag des Jahres 1938 noch viele Menschen, dass sich die Schreckensvisionen nicht erfüllen:

„Allen Menschen, die guten Willens sind, wünsche ich Ruhe und Frieden, und unserem Staat ein schönes Jubiläumsjahr.“

Ein schönes Jubiläumsjahr, das war 1938 für die Tschechoslowakei nun wahrlich nicht. Das Münchener Abkommen und die Abtrennung der Sudetengebiete markieren den Anfang vom Ende der Ersten Republik. Edvard Beneš tritt als Präsident zurück und geht ins Exil nach London.

Das Münchener Abkommen | Foto: Bundesarchiv,  Bild 183-R69173/Wikimedia Commons,  CC BY-SA 1.0
Am 30. November 1938 legt der Jurist Emil Hácha als Beneš´ Nachfolger den Präsidenteneid ab. Er bleibt bis 1945 im Amt. Recht und Verfassung, auf die Hácha geschworen hat, werden jedoch schon wenige Monate später zur Farce. Hitler gibt den Befehl zur Zerschlagung der so genannten „Resttschechoslowakei“ – das allerdings geht schon auf das Konto des Jahres 1939.

"Hier ist der volksdeutsche Sender Prag 2 - das Mikrophon auf der Galerie des Museums am Wenzelsplatz. Der historische Augenblick hat seine Erfüllung gefunden. 15. März 1939, 10.40 Uhr: Die Truppen Adolf Hitlers sind auf dem Wenzelsplatz im Herzen der Stadt angelangt!"

Nach dem Krieg kehrt noch einmal die bürgerliche, demokratische Tschechoslowakei auf die europäische Landkarte zurück. Allerdings nur für kurze Zeit. Die Kommunisten erstarken und bauen planmäßig ihre Macht aus. Auseinandersetzungen zwischen ihnen und dem demokratischen Lager bringen das Land an den Rand des Zerreißens. Da treten die bürgerlichen Minister der Koalitionsregierung zurück, um damit bei dem erneut ins Präsidentenamt zurückgekehrten Edvard Beneš stärkere Unterstützung einzufordern. Ihr Kalkül: Beneš wird den Rücktritt nicht annehmen. Die Kommunisten wittern ihre Chance.

Edvard Beneš
"Auf Grundlage der breiten Nationalen Front, die alle Schichten des Volkes umfasst, schlagen wir vor, die abtretenden Minister durch neue Leute zu ersetzen, die dem ursprünglichen Geist der Nationalen Front treu bleiben."

Präsident Beneš hält dem Druck der Kommunisten nicht stand. Es ist der 25. Februar 1948 – der Beginn der 41-Jährigen kommunistischen Diktatur in der Tschechoslowakei. Unmittelbar nach der Unterredung mit dem Präsidenten verkündet Kommunistenführer Klement Gottwald seinen Sieg in seiner berühmt gewordenen Ansprache auf dem Altstädter Ring:

„Gerade komme ich von der Burg zurück, vom Präsidenten der Republik. Der Herr Präsident hat alle Vorschläge genauso so, wie wir sie eingereicht haben, angenommen.“

In der Tschechoslowakei beginnt eine Epoche des Stalinismus nach böhmischem Muster – Verfolgungen und Schauprozesse gehören ebenso dazu wie die der pathetische Führerkult. Die treue Nation folgt dem weisen Gottwald – das jedenfalls verkünden die Propagandalieder.

Der Alkoholiker Gottwald stirbt 1953 nur wenige Tage nach seinem Idol Stalin. Langsam lockert sich der Würgegriff des Stalinismus. Die Wahrheit sieht anders aus als die offizielle Propaganda, und allmählich kann das auch gesagt werden – erst zögerlich, dann aber immer offener und nachdrücklicher. In den sechziger Jahren beginnt der Prager Frühling, die Suche nach einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Der Höhepunkt ist im Jahr 1968 erreicht, die Regierung führt Alexandr Dubček:

„Eine demokratische Lösung der schwierigen Fragen der Organisation der Macht muss in der gesamten gesellschaftlichen und politischen Struktur verankert sein. Es wäre ein großer Fehler und auch eine große Gefahr für die gesunde Entwicklung unserer Gesellschaft, zu glauben, dass wir diese Frage schon gelöst haben.“

Und ein weiterer Fehler war es, zu glauben, dass die Führungsmacht Sowjetunion so viel Offenheit zulassen wird.

Alexander Dubček
In der Nacht auf den 21. August 1968 meldet der Rundfunk in Prag das Ende der Hoffnungen einer ganzen Generation. Die Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten haben die Grenzen der Tschechoslowakei überschritten, um das wiederherzustellen, was sich Moskau unter Ruhe und Ordnung vorstellte. Erneut in einem Achter-Jahr. Der neu befestigte Sozialismus hielt noch 21 Jahre, bis in den herbst 1989. Aus Achter-Sicht hat sich die Wende also um ein Jahr verspätet. 1968 bleibt das vorerst letzte große Achter-Jahr der tschechischen Geschichte. Woher kommt die Kraft der Acht in Tschechien? Oldřich Tůma vom Institut für Zeitgeschichte:

August 1968
„Ich glaube, da gibt es keine geheimen Einflüsse. Das ist Zufall, aber in gewissen Maße ist auch das kommunistische Regime dieser Zahlenmystik erlegen und hat wirklich in den Jahren 1978 und ´88 die Sicherheitsmaßnahmen verschärft – in der Furcht davor, dass es gerade aus Anlass dieser Achter-Jubiläen zu irgendwelchen Unruhen kommen könnte. Es sieht aus, also ob in den Achter-Jahren immer alle damit gerechnet haben, dass etwas passieren könnte.“

Und mit welchen Gefühlen sieht Oldřich Tůma dem beginnenden Jahr entgegen? Schließlich gehört ja auch 2008 in die Reihe der schicksalsträchtigen tschechischen Achter-Jahre.

„Fürchten würde ich mich nicht – aber wissen Sie: Etwas ist da schon dran, dass so alle 20 Jahre oder einmal in jeder Generation sich die politische oder gesellschaftliche Situation deutlich ändert. Wenn wir nur zurückschauen: Das Ende der Achtziger, der Sechziger, der Vierziger Jahre und so weiter… Fürchten müssen wir uns in diesem Jahr deshalb nicht, aber dass das Leben immer so vor sich hin plätschert, das war schon in der Vergangenheit nicht so, und das wird es wohl auch in Zukunft nicht geben.“