Ackerboden sei höchstes Gut der Nation – Appell von Präsident Hácha im Sommer 1939

Am 15. März 1939 hörte die Tschechoslowakei auf zu existieren. Zuerst hatte Hitler-Deutschland im Herbst 1938 die Sudetengebiete besetzt, dann verkündete die Slowakei am 14. März 1939 den Austritt aus dem gemeinsamen Staat und nun wurde das restliche Gebiet zum so genannten Protektorat Böhmen und Mähren ausgerufen. Im Sommer stand in dem amputierten Land die erste Getreideernte an. Protektoratspräsident Emil Hácha hielt am 16. Juli eine Rundfunkansprache, die Jitka Mládková in unserem Archiv gefunden hat:

„Teure Bürger, ich halte es für meine Pflicht, jede Gelegenheit zu nutzen und an die Bedeutung und den hohen Wert jedweder täglicher Kleinarbeit der menschlichen Hände zu erinnern.“

Gleich nach diesen einleitenden Worten spricht Hácha von einer allgemeinen Tendenz jener Zeit, die geistige Tätigkeit über die manuelle Arbeit zu stellen. Das gesunde Gleichgewicht zwischen den beiden Arbeitsgebieten sei abhanden gekommen. Hácha führt dies auf die so genannte „Angestellten-Mentalität“ breiter Schichten der Gesellschaft zurück:

„Diese Mentalität hat ihre Wurzeln im Vorurteil, dass die Arbeit der menschlichen Hände weniger erhebende Gefühle als der so genannte höhere Dienst bietet. In wenigen Tagen werden unsere Landwirte ihre alljährliche Bilanz mit der Natur ziehen. Es ist bekannt, dass gerade der Bereich der landwirtschaftlichen Arbeit in höchstem Maße durch die Flucht von Arbeitskräften gefährdet ist. An dieser Stelle möchte ich jeden arbeitsfähigen Menschen aufrufen, nicht zu zögern und sich bei der anstehenden Ernte ans Werk zu machen.“

Angesichts der kritischen Situation richtete Hácha seinen Aufruf in der Tat an alle –von den Verwaltungsorganen angefangen bis zu Turnvereinen und ähnlichen Institutionen. Die Dringlichkeit der Aufgabe untermauert er mit einer euphemistisch formulierten Anspielung auf das zum Protektorat Böhmen und Mähren geschrumpfte Land. Nicht die politischen Ursachen werden in den Vordergrund gestellt, sondern der Einfluss der Naturgewalten:

Emil Hácha und Adolf Hitler
„Das kleiner gewordene Gebiet muss jetzt mehr Mitglieder unserer Nation ernähren. In den vergangenen Wochen mussten wir machtlos und mit Entsetzen zusehen, wie die Früchte der ganzjährigen Mühe unserer Brüder von den Naturkräften zerstört wurden. Sie nahmen der gesamten Nation ihr Brot.“

Die Ernte müsse möglichst schnell vollbracht sein, appelliert Präsident Hácha an seine Mitbürger. Seine Ansprache vom 16. Juli 1939 ist ein Plädoyer für die Arbeit in der Landwirtschaft:

„In solchen Momenten kommt die altehrwürdige feste und absolut beständige Substanz der Ackerarbeit zur Geltung. Niemand soll die Bindung an den Boden unserer Heimat ohne ernsten Grund abbrechen und etwas scheinbar Glitzerndes suchen. Bereits in der Vergangenheit - und so wird es auch in Zukunft sein - hat sich die Verbundenheit unserer Nation mit dem Boden als beste Garantie für die Erhaltung unserer nationalen Hoheit bewährt.“

Mit diesen Worten pocht Emil Hácha auf das Gewissen und das nationale Bewusstsein der dezimierten Protektoratstschechen, um nach der politischen Katastrophe nun drohende Engpässe bei der Versorgung zu verhindern.