Alena Čihánková: „Operngesang hat mich vor vielen Jahren nach Köln gezogen“
Sie hat Klavier und Operngesang studiert und danach ihr Glück auf internationalen Podien gesucht: Alena Čihánková. Sie ist Tschechin, aber ihre zweite Heimat hat sie in Deutschland gefunden, wo sie seit über 40 Jahren in Köln lebt. Trotz fortgeschrittenen Alters hat sie die Bretter, die die Welt bedeuten, nicht verlassen.
„Mein Vater war großartiger Musiker. Er hat Musik unterrichtet und auch gespielt. Er war Organist in der Kirche in Radvanice. Von meiner Kindheit an hat er mit mir gesungen oder Gehörbildung gemacht. Auch meine Mutter hat immer beim Bügeln gesungen. Ich bin praktisch mit der Musik groß geworden. Als ich drei Jahre alt war, hat mir mein Vater ein Weihnachtslied beigebracht. Zu Weihnachten hat er mich an die Orgel gesetzt, an der ich dieses Weihnachtslied trällerte. Von da an war ich immer wieder auf dem Podium“.
Ich weiß, dass Sie schon als kleines Mädchen öffentlich Orgel gespielt haben. Wo genau war das?
„Wie gesagt, mein Vater war Organist, aber später wurde er Chorleiter und Korrepetitor im Jiří-Myron-Theater in Ostrava. Später hat er dort die Dirigentenstelle angetreten. Er hatte also nicht so viel Zeit in der Kirche zu spielen. Deswegen hat er mir alles aufgeschrieben, wie die Messen nacheinander folgen, ich habe es gelernt und mit zehn Jahren wurde ich Organistin in der Kirche.“
Sie haben also bei Messen gespielt?
„Ja, bei Messen, bei Begräbnissen, Taufen oder Hochzeiten. Das waren für mich großartige Erlebnise.“
Von Anfang an war es für Sie und Ihre Eltern offenbar klar, dass Sie Musik studieren werden. Oder wollten Sie etwas anderes als Musikerin werden?
„Mit der Musik war es eigentlich klar. Ich war ziemlich begabt. Es war also klar, dass ich ans Konservatorium gehen werde.“
Wie lange waren Sie am Konservatorium in Ostrava?
„Mit 15 habe ich die Aufnahmeprüfung gemacht und blieb dort sechs Jahre bis zu meinem 21. Lebensjahr.“
Danach sind Sie gleich auf die Musikhochschule in Brünn / Brno gegangen.
„Jawohl. Dort war ich Schülerin von Professor Ludvík Kundera, dem Vater des bekannten Schriftstellers Milan Kundera.“
Das war aber immer noch nicht genug. Nach Ihrem Abschluss nach fünf Jahren wollten Sie noch weiter studieren.
„Ja. Das Studium war zu Ende und ich fragte mich, was ich machen soll. Ich habe mich schon immer als Pianistin gefühlt. Dann fiel mir ein: Mensch, ich möchte noch Gesang studieren, ich gehe nach Prag. So habe ich meine Koffer gepackt und bin nach Prag gefahren. Mit wenig Geld übrigens. Und Prag kannte ich überhaupt nicht. Auf dem Bahnhof habe ich mir das Telefonbuch zur Hand genommen …“
Entschuldigen Sie, ich nehme an, Sie haben wohl gewusst, bei wem Sie anrufen werden, oder?
„Ja, bei Professor Zdeněk Otava. Er war damals eine Koryphäe des Prager Nationaltheaters. Außerdem war er auch Kammersänger und zugleich auch Professor an der Musikhochschule. Ich rief ihn an, stotterte etwas ins Telefon und auch wenn er kaum verstehen konnte, was ich von ihm will, lud er mich zu sich ein. Ich sang ihm etwas vor und hatte Glück. Otava sagte, ich nehme Sie auf. Dann hatte ich aber große Probleme mit der Genehmigung, ein zweites Hochschulstudium aufnehmen zu dürfen.“Das war ja damals nicht üblich, an zwei Hochschulen zu studieren!
„Und dann fing ich an, Gesang zu studieren.“
Nach dem Abschluss sind Sie sehr bald ins Ausland gegangen. Wie kam es dazu?
„Der damalige Dirigent des Nationaltheaters, Přemysl Charvát, hat mich gefragt, ob ich in Bayreuth singen möchte.“ Und das war damals normal, nach Bayreuth singen zu gehen?
„Nein, so einfach war es nicht. Er hat im Jahr 1967 das Angebot bekommen, in Bayreuth zu dirigieren. Seine Vorstellung war, mich dort als Sängerin zu haben. Es mussten viele Sängerinnen vorsingen, letztlich habe ich die Hauptrolle bekommen.“
In welcher Oper haben Sie in Bayreuth gesungen?
„Das war die wunderbare Oper ‚Die Fee’ von Richard Wagner. Ich habe die Ada gesungen. Bei solchen Gelegenheiten hören sich immer auch eine Reihe Musikmanager um; und so war es auch damals. Einer ist zu mir gekommen – ich hatte natürlich einen Dolmetscher, weil ich kein Wort Deutsch sprach außer ‚Danke schön’, ‚Guten Tag’, ‚Guten Morgen’ und ‚Auf Wiedersehen’. Der Manager sagte mir: ‚Frau Čihánková, in Köln ist eine Stelle frei, möchten Sie nicht nach Köln?’ Ich, junges Mädchen, um Gottes willen! Natürlich! Und so bin ich nach Köln gegangen. Dort waren in der Oper schon so viele Frauen. Was willst du denn hier, das kannst du nicht gewinnen, sagte ich mir. Sie kamen mir alle wie Maria Callas vor. Sie sangen phantastisch. Später standen wir in einem Raum und ich verstand immer wieder nur: Blablabla, ‚Danke schön’,’Auf Wiedersehen’. Bis zu dem Moment, als ich die letzte war und der Chefdirigent zu mir sagte: ‚Gratuliere!’ Dann habe ich verstanden, dass ich ausgewählt worden war.“
Seitdem sind Sie dann in Köln geblieben? Sie sind auch Hochschulpädagogin geworden.
„Also wohnen geblieben bin ich dort, ja. Aber natürlich bin ich auch herumgereist. In Hamburg, Recklinghausen, in Kapstadt in Südafrika, im Covent Garden in London, in Rom und anderswo. Später habe ich auch an der Musikhochschule und an der Rheinischen Musikschule in Köln unterrichtet. Ich habe auch einige gute Pianisten ausgebildet. Ich hatte so viele praktische Erfahrungen und viele Kenntnisse gehabt - hoffentlich klingt das jetzt nicht eingebildet – und ich wollte das alles weiter geben. Außerdem habe ich auch Jazz-Unterricht gegeben. Es ging sogar so weit, dass ich das Schauspiel unterrichtete. Ich hatte Schülerinnen in Wien, in Zürich und in Hannover.“
Welche Rollen haben Sie am liebsten gesungen?
„Wagner. Als ich Nach Köln kam, sang ich gleich die Rolle der Rheintochter in Wagners ‚Götterdämmerung’ und im ‚Rheingold’. Das war schon der Einstieg in die deutsche Sprache für mich. Das war weiß Gott genug Text, denn in diesen Rollen gibt es ziemlich viel zu singen. Natürlich habe ich zum Beispiel Verdis ‚Traviata’, die Mimi in ‚Bohème’, also viele Rollen des klassischen Repertoires.“
Haben Sie auch Deutsch-Unterricht genommen?
„Nein. Das war mein großer Fehler. Weil ich soviel Text auswendig lernen musste, hatte ich in meiner Freizeit überhaupt keine Lust mehr gehabt, ein Lehrbuch in die Hand zu nehmen und ordentlich ‚der, die, das’ zu lernen. Damit habe ich bis heute meine Probleme. Zum Beispiel heißt es auf Deutsch ‚das Gehirn’, im Tschechischen ist es aber ‚der Gehirn’, und so hat sich das auch in meinem Kopf festgeschrieben. Ich musste ja im Opernhaus viel mit anderen Menschen kommunizieren, deswegen versuchte ich so schnell zu sprechen wie es nur ging. Dabei habe ich nicht auf die Grammatik aufgepasst. Und das ist mir leider bis heute geblieben.“
Sie haben die Musik sozusagen nie an den Nagel gehängt. Was machen Sie jetzt?
„Ich unterrichte und gebe viele Konzerte. Heute mache ich es aber anders als früher, etwas kunterbunt. Ich spiele Jazz, klassische Musik, singe Evergreens, Opernarien, schöne romantische Lieder, kurzum alles Mögliche. Das macht mir Spaß und dem Publikum gefällt es.“Kann man sagen, dass Sie auch in Deutschland ein Heimatland gefunden haben?
„Wissen Sie, das fängt so allmählich an. Man findet seinen Arzt, einen Bekannten, kurz das und jenes, ich habe hier auch meine Tochter, meinen Lebensgefährten und so weiter. Es gab Zeiten, da war das irgendwie komisch. Wenn ich von Prag weggefahren bin, war mir immer schwer am Herzen. Wenn ich hier in Köln ankam und den Kölner Dom sah, dann war ich wieder glücklich.“
Glücklich ist Alena Čihánková allerdings auch in Baška, einem kleinen Dorf in den Beskiden, wo sie jedes Jahr drei Sommermonate verbringt. Aber auch dort lässt sie nicht die Seele baumeln. Ohne Konzerte mit Gesang, Klavier- und Orgelspiel geht es auch dort nicht.
Radio Prag bedankt sich für das Gespräch.