Angriffe der USA auf afghanische Ziele

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Am vergangenen Sonntag wurde auch die tschechische Öffentlichkeit beim Abendessen durch die Nachricht hochgerissen, die Vergeltungsschläge der Vereinigten Staaten auf Einrichtungen der mutmaßlichen Terroristen sowie der Taliban in Afghanistan seien angelaufen. Wie die Reaktionen der tschechischen Politiker und Bürger aussahen und welche weiteren Folgen diese Militäraktion für die Republik bisher hatte, erfahren Sie in diesem Schauplatz von und mit Olaf Barth.

Staatspräsident Vaclav Havel wandte sich bereits unmittelbar nach Eröffnung der Angriffe an die tschechische Bevölkerung:

"Es handelt sich nicht um einen Angriff auf den Islam, und nicht um einen Angriff gegen ein Volk oder eine Religion. Es ist ein Schutz der Werte der Zivilisation, die viele Religionen, viele Länder, viele Kulturen, die die ganze Welt verbinden.

Wenn wir das Recht auf ein würdevolles Leben genießen wollen, müssen wir damit rechnen, dass es notwendig ist, diese Werte und Rechte gelegentlich zu verteidigen - auch mit der Waffe in der Hand. Ich glaube, dass jetzt Ruhe und Geduld gefragt sind und kein Grund zur Panik besteht. Gleichzeitig glaube ich aber, dass alle wissen sollten, dass es Momente gibt, in denen unsere Freiheiten gewisse Opfer oder zumindest Einschränkungen erfordern."

An diesem Abend entfielen die planmäßigen Fernsehsendungen im ersten tschechischen Programm und eine Expertendiskussionsrunde wurde einberufen - so wie man das in den vergangenen Wochen schon mehrfach erlebt hatte.

Politiker, Arabistik- bzw. Islam-Experten und Journalisten waren dort vertreten, unter ihnen auch der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses Vaclav Klaus. Wie bereits Präsident Havel und andere tschechische Spitzenpolitiker warnte auch er vor einer möglichen Verwechslung verschiedener Begriffe bei der Einschätzung der aktuellen Situation:

"Am Freitag habe ich eine Delegation arabischer Vertreter empfangen, die Botschafter von Palästina, Ägypten und Algerien, und die kamen als Vertreter der arabischen Welt hierzulande. Ich habe ihnen versichert, dass wir das Wort Terrorismus keineswegs mit der arabischen Welt verbinden, auch nicht mit dem Islam. Ich möchte nachdrücklich davor warnen, sich bei uns solcher "Verkürzungen" zu bedienen. Dies wäre ein großer Fehler und kein gutes Zeichen für die Reife unserer Nation."

Eine der Fragen, die in der Fernsehdebatte aufgeworfen wurde, bezog sich auf die auch in Tschechien nach dem 11. September erwogene Möglichkeit, die Kompetenzen der Nachrichtendienste zu erweitern:

"Ich glaube, wir müssen sehr darauf aufpassen, dass das aktuelle Geschehen nicht als Grund dafür dient, die elementaren Menschenrechte zu beschneiden und den Nachrichtendiensten, auch bei uns, noch mehr Kompetenzen im Bereich ihrer möglichen Eingriffe in die Aktivitäten freier Menschen zu übertragen. Dies ist ein Thema, zu dem ich mich heute gar nicht äußern will."

Die tschechische Regierung arbeitet jedoch zur Zeit an einem Gesetzesentwurf, der die Kompetenzen der Geheimdienste erweitern soll.

Das Gebot der Stunde sei es, so Klaus weiter, die aktuelle Situation zu analysieren und über mögliche Hilfeleistungen von Seiten der Tschechischen Republik nachzudenken und auf der anderen Seite die Öffentlichkeit zu beruhigen.

Humanitäre Hilfe wurde schnell bewilligt: Am Montag kündigte Außenministeriumssprecher Ales Pospisil die Bereitstellung von 5 Millionen Kronen für Flüchtlinge aus dem Norden Afghanistans an. Und betonte zudem, dieser Betrag müsse nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten. Die Hilfslieferungen sollen hauptsächlich aus Medikamenten bestehen.

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Eine weitere Stiftung, Mensch in Not, beschloss, eine permanente Mission in Tadschikistan und Nordafghanistan zu eröffnen.

Die Öffentlichkeit zu beruhigen, darum war zunächst vor allem Innenminister Stanislav Gross bemüht. Er erklärte noch in der Nacht zu Montag, die bereits zuvor getroffenen Sicherheitsmaßnahmen seien ausreichend und würden daher nur verschärft, wenn ein konkretes Risiko vorliege. Ob es nun an solchen beruhigenden Äußerungen der Spitzenpolitiker, an den ohnehin erhöhten Sicherheitsvorkehrungen oder an ganz anderen Zusammenhängen gelegen hat, muss dahingestellt bleiben. Jedoch äußerten sich die tschechischen Bürger nicht nur deutlich zustimmend zu den Militärschlägen der USA, sondern zeigten sich auch bezüglich ihrer Sicherheit ziemlich zufrieden: In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes STEM befürworteten zwei Drittel aller Befragten das Vorgehen der USA. Stellvertretend für die Antworten der Zweidrittelmehrheit der tschechsichen Bürger könnte die, eines etwa 70 jährigen Mannes stehen, der gegenüber Radio Prag erklärte:

"Ich denke, die Angriffe sind notwendig. Wir müssen das als eine Verteidigung der Zivilisation betrachten. Deshalb sollten diese Aktionen ausschließlich gegen die Taliban gerichtet sein und keinesfalls gegen den Islam oder gegen das afghanische Volk. Und ob ich Angst habe? Ich kann mich noch an den 2. Weltkrieg erinnern, ich weiß also, was passieren könnte - aber Angst habe ich nicht."

Die Sicherheitsmaßnahmen wurden dann im Laufe der Woche doch noch leicht angezogen. Außerdem beschäftigte sich das Kabinett mit dem Szenario eines Anschlags mittels eines entführten Zivilflugzeuges und kam dabei am Mittwoch zu folgender Entscheidung: Der Verteidigungsminister hat ab sofort das Recht, den Befehl zum Abschuss eines Zivilflugzeuges zu geben für den Fall, dass die Maschine in die Gewalt von Terroristen gelangt ist und als fliegende Waffe missbraucht werden könnte. Zu diesem Schluss kam die Regierung nach einer Analyse internationaler Vereinbarungen und der innerstaatlichen Rechtsordnung. Verteidigungschef Tvrdík erklärte dazu:

"Gegenwärtig lässt sich ableiten, dass ein für terroristische Zwecke missbrauchtes Zivilflugzeug den vollen Status eines Zivilflugzeugs verliert. Daraus ergibt sich, dass die Handlungen der Entführer, die ein Flugzeug in ihren Besitz gebracht haben mit dem Ziel, Objekte zu vernichten oder beträchtlich zu beschädigen, vom Charakter her als bedrohlicher oder anhaltender Angriff laut Paragraf 13 des Strafgesetzes eingestuft werden können. Der Paragraf, der von einer notwendigen Verteidigung spricht, besagt, dass eine Tat, die sonst eine Straftat wäre, im Falle der Abwendung eines drohenden Angriffs keine Straftat mehr ist."

Nur 37 Prozent sprachen sich hingegen bei den Umfragen für eine Beteiligung tschechischer Militärs an diesen Aktionen aus, 43 Prozent waren strikt dagegen.

Die Regierung bot der NATO zwar verschiedene Spezial- und Sanitätseinheiten an, dennoch betonte Verteidigungsminister Jaroslav Tvrdik am Dienstag, er habe von Anfang an vorausgesetzt, dass nur amerikanische und britische Militärs an einem Kampfeinsatz teilnehmen werden. Und er fügte an: "Einen Kampfeinsatz unserer Truppen kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen". Die offizielle Erklärung lautete dann wie folgt:

"Wir können die 4. Brigade der schnellen Eingreiftruppe anbieten. Diese kommt dann in Frage, wenn man die US-amerikanischen und britischen Einheiten in der Balkanregion ersetzen würde. Was die militärischen Einheiten betrifft, so sind wir - ich wiederhole es - dazu bereit, all jene Hilfe zu gewährleisten, um die wir ersucht werden. Wir sind in der Lage, die Vorbereitung und Ausrüstung der Einheiten in kürzester Zeit abzuschließen."

Außerdem wurde man seitens der USA um die Bereitstellung eines Transportflugzeuges gebeten, dazu der Verteidigungsminister am Montag:

"Wir wurden bisher gebeten, Verkehrs- oder Frachtflugzeuge zur Verfügung zu stellen, und zwar zur Unterstützung der AWACS-Flugzeuge. Wir haben darauf reagiert und der Allianz die TU 154 mit einer zehnköpfigen Besatzung angeboten. Diese Maschine wird besonders zum Personen- und zum Gütertransport genutzt, sie kann aber auch zu medizinischen Zwecken eingesetzt werden. Dieses Flugzeug steht bei entsprechendem Bedarf jederzeit zur Verfügung."

Am Donnerstag gab Außenminister Jan Kavan dann bekannt, die NATO habe ein tschechisches Transportflugzeug des Typs TU-154 offiziell angefordert:

"Sie haben ihr Interesse für einen 30 tägigen Einsatz bekundet, wobei dieser Einsatz innerhalb des Zeitraums vom 15. Oktober bis zum 13. Dezember zu jedem beliebigen Zeitpunkt beginnen kann. Meine persönliche Meinung ist allerdings, dass sie die Maschine eher früher als später miteinbeziehen werden. Das bedeutet, dass unser Flugzeug theoretisch schon nächste Woche eingesetzt werden könnte."

Zur ablehnenden Haltung der Bevölkerung bezüglich des Einsatzes tschechischer Militärs in diesem Konflikt, erklärte Vaclav Havel:

"Ich habe den Eindruck, dass es ein Fehler war, ständig zu wiederholen, dass es ein Angriff gegen die USA oder dass es ein Konflikt mit den USA war. Ich würde es als einen Konflikt zwischen dem Recht der Menschen auf das Leben, auf die Menschenwürde, auf eine sinnvolle Koexistenz, auf eine gerechte Welt mit den Feinden, den Kräften des Bösen, dem Fanatismus, der Frustration und vollständiger Missachtung des Lebens der anderen Menschen bezeichnen. Es ist ein allgemeiner Zivilisationskonflikt, der sowohl uns, als auch die Vereinigten Staaten, Japan und jeden anderen betrifft. Dies sollte meiner Meinung nach unseren Mitbürgern erläutert werden. Der Widerspruch besteht darin, dass sie ein Einschreiten gegen die Terroristen unterstützen und gleichzeitig der Meinung sind, dass wir daran nicht teilzunehmen brauchen."

Der Präsident lobte aber das entschlossene Auftreten der Regierung und bemerkte, es sehe so aus, als ob in Tschechien jetzt alle an einem Strang ziehen würden. Ein so einheitliches Auftreten der politischen Kräfte habe es nie gegeben, meinte Vaclav Havel.

Kritik ertntete der Präsident jedoch von Seiten des tschechischen Kommunistenführers Miroslav Grebenicek. Jener bezeichnete die US-Angriffe auf Afghanistan als den schlechtesten aller möglichen Lösungsversuche. Seine Partei, die KSCM, erklärte die USA griffen Afghanistan nicht wegen bin Laden an, sondern um ihren Einfluss in der Welt auszubauen.

Autor: Olaf Barth
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