Aufregender Fund im Rundfunkarchiv: die letzte Ansprache von General Eliáš
Fast zweieinhalb Jahre lang war General Alois Eliáš Regierungschef im Protektorat Böhmen und Mähren, also dem von Hitler besetzten tschechischen Staat. Dann kam ihm die Gestapo auf die Schliche, er hatte den Widerstand unterstützt. Eliáš wurde am 1. Oktober 1941 in Prag zum Tode verurteilt und später auch hingerichtet. Im vergangenen Jahr ist im Archiv des Tschechischen Rundfunks eine Originalaufnahme des Generals aufgetaucht, die nach seiner Verhaftung gemacht wurde. Sie enthält eine erzwungene öffentliche Erklärung von Alois Eliáš. Aber das ist nicht alles. Zudem wurden rund 20 Minuten eines lockeren Gesprächs mitgeschnitten, das wohl in der Prager Gestapo-Zentrale stattfand.
Nicht einfach zu klären ist indes, wem die Stimmen der deutschen Muttersprachler gehören. Klar ist nur, dass mindestens ein Kommissar darunter ist. Eliáš war nach seiner Verhaftung zwei Tage am Stück verhört worden, er wurde angeschrien, wie seine Frau vor einigen Jahren in ihren Erinnerungen geschrieben hat. Sie glaubt zudem, dass ihr Mann auch gequält wurde. Mit diesem Wissen muss man die folgende Bemerkung des Kommissars mit dem pfälzischen Akzent hören:
„Ich habe den Eindruck, wir haben uns sehr gut unterhalten, immer…“
Eliáš antwortet mit einem Scherz:
„So den ersten Tag, dann haben Sie solche Augen gemacht… Da habe ich dann ein bisschen Angst gehabt.“
Auf Eliášs Antwort bricht die ganze Runde in Gelächter aus.
Wer ist dieser Mann, der im Wissen um seinen sicheren Tod auch noch gute Laune vorschützen kann?
Alois Eliáš wird am 29. September 1890, also vor fast genau 120 Jahren, in Prag geboren. Im Ersten Weltkrieg kämpft er in den tschechoslowakischen Legionen gegen die Habsburger-Monarchie. In der Zwischenkriegszeit steigt er bis in den Generalstab der Armee auf. Nach dem Münchner Abkommen 1938 übernimmt Eliáš erstmals politische Funktionen. Beim Einmarsch der Wehrmacht in Prag am 15. März 1939 ist er Verkehrsminister. Als die Regierung stürzt, wird er zum Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Das Amt nimmt er an, doch zugleich engagiert er sich im Widerstand. Er hilft die Widerstandsgruppe Obrana národa, zu Deutsch „Volksabwehr“ aufzubauen, er hat Kontakt zur Exilregierung von Edvard Beneš. Die Gestapo aber kommt ihm auf die Schliche.„Es gab ziemlich ausreichend Beweise gegen Eliáš, mindestens seit 1940, als wegen sozusagen des Leichtsinns eines Vertreters des Nationalausschusses in Paris der Gestapo einige Schriftstücke in die Hände fielen. Aus den Schriftstücken ging hervor, dass Eliáš mit dem Widerstand im Ausland im Kontakt steht und mit den Nazis ein doppeltes Spiel spielt“, so der Militärhistoriker Eduard Stehlík gegenüber dem Tschechischen Rundfunk.Warum General Eliáš das doppelte Spiel riskierte, wird unter anderem aus einer schriftlichen Mitteilung vom September 1941 klar:
„Wir versuchen wenigstens die heutige Form der Regierung aufrecht zu erhalten, da wir dies für günstiger für das Volk halten, als wenn wir durch eine germanophile oder rein deutsche Regierung ersetzt würden.“
Am 27. September 1941 jedoch wird Alois Eliáš von der Gestapo verhaftet. Dies geschieht zeitgleich mit der Ausrufung des Standrechts im Protektorat Böhmen und Mähren und der Ankunft des neuen stellvertretenden Reichsprotektors Reinhard Heydrich in Prag. Der tschechische Regierungschef wird in das Palais Petschek gebracht, die Gestapo-Zentrale in Prag. Zwei Tage lang dauert das Verhör. Aus den Quellen wird ersichtlich, dass Eliáš den Ermittlern im Grunde nur das gestanden hat, was die Deutschen ohnehin schon wussten. Konkrete Namen von Widerstandskämpfern soll er nicht verraten haben. Bereits am 1. Oktober kommt es zum Prozess, der allein von der Gestapo, aber nicht von strafrechtlichen Organen geführt wird – und das komplett auf Deutsch. Der damals 51-jährige Angeklagte trägt eine Erklärung vor, eine verstümmelte Verteidigungsrede. Dazu Historiker Stehlík:
„Die Aussagen, die Eliáš in schriftlicher Form oder während der Gerichtsverhandlung erlaubt waren und später aufgezeichnet wurden, wurden äußerst sorgfältig geprüft und - ich würde sagen - auch sorgfältig redigiert. Das bezieht sich sowohl auf den Inhalt, als auch auf die Form. Denn es gab ein ausgeprägtes Interesse, dass er seine Schuld zugab und zeigte, dass jeder hart bestraft wird, der sich gegen Deutschland wendet. Und auf der anderen Seite, damit es so aussah, dass er nicht an der Spitze einer Widerstandsorganisation gestanden habe. Dass es also das persönliche Versagen einer Person war, die sich gegenüber dem Reich schuldig gemacht hat.“Von der öffentlichen Erklärung des damals bereits ehemaligen Ministerpräsidenten gibt es mehrere Versionen, die sich in Details, in bestimmten Formulierungen unterscheiden. Die Aufnahme, die sich im Archiv des Tschechischen Rundfunks befindet, enthält zwei fast identische Versionen in deutscher und tschechischer Sprache. Der Radiotechniker im Archiv, Miloslav Turek, hat die Aufnahme gefunden. Sie befindet sich auf einer Platte aus Schellack mit einem Kern aus Zink, was auf eine Entstehung nach 1938 schließen lasse, so Turek. Er erläutert:
„Zudem sind auf der Folie drei Rillen, das entspricht heute drei Tracks auf einer CD. Und auf den einen Track, der die Erklärung von Eliáš auf Tschechisch enthält, weisen auf der ganzen Platte mehrere Pfeile hin, damit der Techniker nicht etwa die Tracks verwechselt und etwas anderes sendet. Das sehe ich persönlich als Beweis, dass die Platte wirklich in der Rundfunkpraxis verwendet und gesendet wurde.“
Allerdings existiert im Rundfunk kein Sendenachweis für die Erklärung von General Eliáš im Oktober 1941. Die Ansprache in der deutschen Version ist keine fünf Minuten lang und war schwerlich für den Äther bestimmt. Sie enthält unter anderem ein wohl erzwungenes Schuldbekenntnis von Eliáš:
„Ich habe mich stets als nationalbewusster Tscheche gefühlt und als solcher sogar Handlungen gedeckt, die mit meiner persönlichen politischen Überzeugung nicht übereinstimmen. Ich hoffte jedoch, dass auch diese Landsleute noch den Weg zur loyalen Zusammenarbeit mit den Deutschen finden würden und konnte es nicht über mein Herz bringen, diese Landsleute und ihre wahnwitzigen Pläne den deutschen Stellen zu melden. Ich weiß, dass ich hierdurch gegen die Gesetze und die mir obliegenden Pflichten verstoßen habe und auch als Ministerpräsident dafür einstehen muss, dass sich während meiner Amtsführung Dinge ereignet haben, die meiner wahren politischen Überzeugung nicht entsprechen und die ich nicht tatkräftig genug zu verhindern verstanden habe. Ich bringe dieses Opfer aber gerne für mein Volk, wenn es ihm als letzte Warnung zur Besinnung dient, und es doch noch den Weg zur ehrlichen und aufrichtigen Zusammenarbeit mit dem deutschen Volke finden lässt.“
Das Opfer, das Eliáš für sein Volk bringt, kann man im Übrigen auch in einem konkreten Kontext verstehen: Angeblich hat der Staatssekretär beim Reichsprotektor, Karl Herrmann Frank, gedroht, er lasse 20.000 Tschechen umbringen, wenn Eliáš die Erklärung nicht abgebe.
Auf das Urteil hatte dies alles keinen Einfluss, es stand schon im Vorhinein fest: die Todesstrafe. Doch Hitler selbst wohl ließ die Vollstreckung der Strafe aussetzen. Gefangen gehalten wurde Alois Eliáš während dieser Zeit im berüchtigten Prager Gefängnis Pankrác. Doch das erfolgreiche Attentat auf Heydrich durch tschechische Fallschirmjäger wurde dem ehemaligen Ministerpräsidenten zum Verhängnis. In seiner Folge wurde General Alois Eliáš am 19. Juni 1942 wurde auf dem Richtplatz in Prag-Kobylisy erschossen.
Dieser Beitrag wurde am 23. Oktober 2010 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.