Backpfeife, Schelle, Kopfnuss: Tschechien diskutiert über körperliche Maßregelungen
Eine Backpfeife hätte auch ihm als Kind nicht geschadet. Deswegen will Marian Jurečka Körperstrafen als Erziehungsmaßnahme in Tschechien nicht verbieten lassen. Der Minister für Arbeit und Soziales, Vorsitzender der Christdemokratischen Partei und Vater von fünf Söhnen sprach sich in einem viel beachteten Interview für das Nachrichtenportal Aktualne.cz gegen die Einführung eines entsprechenden Gesetzes aus. Tschechien bleibt damit eines der wenigen EU-Länder, in denen körperliche Maßregelungen nicht nur legal sind, sondern allgemein praktiziert und legitimiert werden. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks führten zwei Psychologen dazu ein Streitgespräch.
Martin Galbavý ist Psychotherapeut und engagiert sich in der Liga otevřených mužů (Liga der offenen Männer), die Männern zu einer aktiven und bewussten Lebenseinstellung verhelfen will. Seiner Meinung nach fehlt in Tschechien ein Gesetz, das Körperstrafen bei der Kindererziehung verbietet:
„Wir glauben natürlich nicht, dass ein Verbot alle Probleme lösen würde. Es wäre aber ein klares Signal an die Öffentlichkeit und alle Menschen, dass wir ein fortschrittliches Land sind und der bisherige Weg nirgendwo hinführt. Zudem würde das Verbot vielen Kindern helfen.“
Der Psychologe und bekennende Katholik Jeroným Klimeš hält ein solches Gesetz für kontraproduktiv:
„Dies wäre ein Instrument, als wenn man eine Armbanduhr mit einem Hammer reparieren wollte. Immer, wenn wir so etwas versuchen, richten wir mehr Schaden als Nutzen an. Wir müssen uns darüber klar sein, dass dann Richter, die psychologische Amateure sind, über solche Fälle entscheiden werden.“
Diese Einschätzung belegt Klimeš mit umfangreichen Erfahrungen in Sorgerechtsstreits. In diesen Fällen seien die Richter oft ratlos, weil ihnen der Einblick in die praktische Sozialarbeit fehle. Sein Kollege Galbavý meint dagegen, dass ein Verbot von Körperstrafen nur in Ausnahmefällen von Richtern durchgesetzt werden müsse:
„Dies ist ein Argument, das häufig angeführt wird. Aber es ist längst überkommen. Wir brauchen uns nur in den umliegenden Staaten umzuschauen – in Schweden oder Österreich –, in denen es solche Gesetze gibt. Diese sind nicht so formuliert, dass die Fälle vor einem Gericht verhandelt werden müssten. Vor Weihnachten gab es im tschechischen Justizministerium eine Diskussion zu dem Thema mit Richtern und Vertretern aus den Bereichen Bildung und Soziales. Dort herrschte Einigkeit darüber, dass ein Verbot von körperlichen Maßregelungen eingeführt werden sollte, aber ohne Strafen festzulegen.“
In Schweden sei das Gesetz auch ohne Gerichtsverfahren oder eventuelle Gefängnisstrafen wirksam, führt Galbaný aus. Er verweist auf Jugendämter und andere soziale Einrichtungen, die hierbei wirksam werden.
Mit diesen staatlichen Behörden arbeitet Klimeš beim Thema Kinderschutz seit langem und eng zusammen. Womöglich stützt er seine Argumentation auf einen gewissen institutionellen Rückhalt, wenn er sagt, dass der Debatte eine falsche Annahme zugrunde liege:
„Das Hauptproblem ist immer noch die Behauptung, dass die Wirkung physischen Schmerzes etwas vom Prinzip her Schlechtes ist. Dem ist aber keinesfalls so. Wenn dem Kind ein Klapps gegeben wird, tut es daraufhin, was von ihm verlangt wird. Den Eltern gegenüber betone ich allerdings immer, dass sie in diesem Moment – wenn sie also erreichen, was sie wollen – augenblicklich die angespannte Atmosphäre beenden und mit dem Kind wieder reden müssen, als sei nichts passiert.“
Auch Sozialminister Marian Jurečka hält es für legitim, wenn Eltern ihren Kindern in Ausnahmesituationen durch eine Ohrfeige oder einen Schlag aufs Gesäß Grenzen aufzeigen. Dabei müsse man solche Maßnahmen aber klar von häuslicher Gewalt unterscheiden, mahnt er in dem Interview für Aktualne.cz. Der Europäische Rat hat allerdings noch 2015 bemängelt, dass es in Tschechien keine klare Regelung für diese Unterscheidung gebe. Und auch die beiden Psychologen gestehen in ihrem Streitgespräch ein, dass eine Definition dieser Sachverhalte schwierig sei.
Zweifel an empirischen Studien
Eine Studie der Liga otevřených mužů hat festgestellt, dass 20 Prozent der tschechischen Bevölkerung eine Ohrfeige nicht als körperliche Maßregelung ansieht. Und in etwa 65 Prozent der Familien werden Körperstrafen als Erziehungsmittel angewendet. Martin Galbavý erläutert:
„Es gibt zahlreiche Studien über die negativen Folgen von Körperstrafen. Demnach schaden sie der Integrität des Kindes. Wir wollen schließlich, dass das Kind nein sagen kann, wenn ihm gegenüber etwa ein Lehrer übergriffig wird. Stattdessen wird ihm aber in der Erziehung suggeriert, dass über seinen Körper jemand anderes entscheidet.“
Jeroným Klimeš hingegen zweifelt die Aussagekraft von empirischen Untersuchungen an:
„Wissen Sie, was das Problem der Mainstream-Psychologie ist? Es werden tausende von Studien durchgeführt, die sich gegenseitig widerlegen. Viele Forscher gehen Untersuchungen an, ohne dass sie verifizierbar wären. Je nach politischer Lage im Land tauchen dann tendenziöse Studien auf und bestätigen die eine oder die andere Behauptung.“
Danach gefragt, mit welchen Daten er seinen Standpunkt belegen könne, lenkt Klimeš ein, dass er keine vertiefte Recherche in dieser Richtung betrieben habe:
„Aber man kann die Klassiker der tschechischen Psychologie lesen. Zdeněk Matějček und weitere waren alles Leute, die Kinder mochten und sehr viel für sie getan haben. Niemand von ihnen hat behauptet, dass Körperstrafen den Kindern schaden würden.“
Galbaný wirft daraufhin ein, dass aber auch niemand der Genannten physische Strafen ausdrücklich gerühmt hätte. Darum gehe es nicht, wehrt Klimeš ab:
„Ich bin ja nicht dafür, dass Körperstrafen tagtäglich angewendet werden. Ich bin nur dagegen, dass Eltern kriminalisiert werden. Wenn jemand seinem Kind einen Klapps auf den Hintern gibt, ist das ein absolut legitimes Erziehungsmittel. Und ich will nicht, dass jemand daherkommt und ihnen sagt, sie seien schlechte Eltern.“
Praxis der Eltern wird fortgerführt
Offenbar liegt hier der Kern der Debatte, wie sie in Tschechien geführt wird. Er habe viel darüber nachgedacht, ob die Legitimierung von Körperstrafen eine spezielle Eigenheit der hiesigen Gesellschaft sei, sagt Martin Galbaný. Vielmehr verweise die Diskussion aber auf den hohen Grad an Individualismus, der hierzulande herrsche. Sollte ein Gesetz das Verbot von körperlichen Maßregelungen einführen, müssten viele Menschen ihre eigenen Familienverhältnisse neu bewerten, so der Psychotherapeut:
„Es würde also dazu führen, das Verhältnis zu den eigenen Eltern überdenken zu müssen sowie das eigene Handeln, wenn man die gleichen Mittel anwendet. Es ist nicht einfach, sich einzugestehen, dass man vielleicht etwas nicht richtig gemacht hat. Hier liegt die Wurzel des Problems – und nicht darin, dass die tschechische Gesellschaft es irgendwie in den Genen und eine Vorliebe dafür hätte, ihre Kinder zu verprügeln.“
Aus den Seminaren zu gewaltloser Erziehung, die seine Organisation anbietet, wisse er, dass viele Eltern körperliche Strafen eher aus Verzweiflung anwenden würden, so Galbaný weiter. Und sie sähen dies durchaus als ein Versagen ihrerseits an. Laut dem Psychotherapeuten knüpft die Liga otevřených mužů an dieser langsam stattfindenden Verlagerung der öffentlichen Wahrnehmung an. Denn Bildungs- und Aufklärungsarbeit sei begleitend zu der Forderung nach einem entsprechenden Gesetz unabdingbar, betont Galbavý:
„Sicher gibt es Leute, die ihr Kind niemals schlagen würden, sowie Leute, die dies tun und die auch ein Gesetz daran nicht hindern würde. Der größere Teil der Bevölkerung würde aber anfangen, darüber nachzudenken, wenn eben ein klarer Impuls ausgesendet wird. Und ich kann mir keinen deutlicheren Impuls vorstellen, als wenn der Staat sagt, dass etwas verboten ist.“