Das Ende von Klaps und Ohrfeige? Neues Gesetz soll körperliche Strafen bei Kindern verbieten
Kinder zu erziehen ist nicht nur eine Lebensaufgabe, sondern auch schwer. So manch einem rutscht da mal die Hand aus. Andere lehnen jegliche Form von körperlicher Züchtigung ab. Und dann gibt es auch noch Leute, die schlicht überfordert sind und sogar das Verprügeln als tagtägliches Erziehungsritual in Anspruch nehmen. Ein neues Gesetz soll in Tschechien die körperliche Bestrafung von Kindern nun verbieten. In der Bevölkerung stößt es bei den meisten auf Ablehung. Christian Rühmkorf mit einer neuen Folge von „Forum Gesellschaft“ und zwar über ein Thema, das emotionaler kaum sein könnte.
In Tschechien ist eine heiße Diskussion an den Bushaltestellen und in den Medien entbrannt. Die Ministerin für Menschenrechte und Minderheiten, Džamila Stehlíková, hat ein Gesetz angekündigt, dass körperliche Bestrafung von Kindern durch die Eltern verbieten soll. Das Ende von Klaps und Ohrfeige? Das ist noch unklar. So weit ist der Gesetzesentwurf wohl noch nicht gediehen. Eine Diskussionslawine hat die Ankündigung trotzdem schon losgetreten. Eltern befürchten eine Welle von Anzeigen. Eine schnell in Auftrag gegebene Umfrage in einer Tageszeitung ergab: Nahezu 70 Prozent aller Befragten sind gegen ein solches Gesetz. Kurz zuvor spielte sich in Tschechien Folgendes ab: Ein Schüler der Sekundarstufe I beschimpft seine 60 Jahre alte Lehrerin und gibt ihr eine Ohrfeige. Öl ins Feuer der Debatte. Die Soziologin Hana Maříková von der tschechischen Akademie der Wissenschaften spricht sich dennoch für das Gesetz aus:
„Ich meine, dass unsere Gesellschaft nicht ganz erwachsen ist. Es gehört zu einer Art Folklore in der Tschechischen Republik, dass wir da tolerant sind, wo wir nicht tolerant sein sollten und umgekehrt da intolerant, wo Intoleranz nicht angebracht ist.“
Sagt die Soziologin Hana Maříková und fällt ein hartes Urteil über die tschechische Gesellschaft:„Das hängt meiner Ansicht auch damit zusammen, dass wir in diesem Sinne keine besonders demokratische Gesellschaft sind. Denn der Gesetzesentwurf – so wie er in den Medien präsentiert wurde – entspricht den Gesetzen in anderen europäischen Demokratien. Ziel ist der Schutz der Kinder, die eine schwächere Position haben als wir, die aber trotzdem Menschenrechte haben.“
Beispiele für Quasi-Toleranz, wie Hana Maříková es nennt, gebe es in diesem Lande genug: Sexuelle Belästigung, unangemessenes Verhalten der Politiker, das Verhalten der Ehemänner gegenüber ihren Frauen usw. Es gebe keine dramatische Verschärfung im Falle von Kindesmisshandlung. Aber die Zahlen seien auch so alarmierend:
„Es werden jährlich 2000 Fälle von Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung registriert und dass – so nimmt man an – ist nur die Spitze des Eisberges. Bis zu 50 Kinder sterben aufgrund von Misshandlung oder schlechter bzw. unterlassener Fürsorge. Und das ist eine alarmierende Zahl.“
Sind die Befürchtungen der Eltern, was das Gesetz betrifft, nicht berechtigt? Die Anwendung von Gewalt und körperlichen Strafen, sagt Hana Maříková, sei Ausdruck einer bestimmten Ratlosigkeit der Eltern. Sie seien oft nicht imstande, mit dem jungen Menschen auf partnerschaftlicher Eben zu kommunizieren, sich zu einigen, sagt sie. Aber was ist nun mit Klaps und Backpfeife? Gehören sie verboten?
„Es gibt da einige Fehlinterpretationen. Im Gesetz wird erläutert sein, was man unter körperlichen Strafen zu verstehen hat. Soweit ich weiß, geht es um wiederholtes Bestrafen der Kinder oder um unangemessen häufiges körperliches Bestrafen. Natürlich kann es zum Beispiel passieren, dass ihr kleines Kind auf die Straße laufen will und mit großer Wahrscheinlichkeit geben Sie ihm eins auf den Po. Aber das heißt nicht, dass man das üblicherweise so machen sollte, dass man sein Kind täglich schlagen sollte.“
Eine Anzeigenflut drohe den Eltern, die ihren Kindern eine Ohrfeige geben, nicht, sagt Hana Maříková. Die Fälle von Kindesmisshandlung würden nicht dadurch aufgedeckt, dass die Leute Anzeige erstatten, sondern dadurch, dass die Kinder beim Arzt landen. Die Soziologin Maříková hat selber Kinder und ihre eigenen Erfahrungen gemacht:„Wenn ich behaupten würde, dass mir bei meinen Kindern nie die Hand ausgerutscht ist, dann wäre das nicht wahr und es würde mir auch niemand glauben. Aber man denkt darüber nach und fragt sich, ob diese Art wirklich so sinnvoll und gut ist.“
Der Tschechische Rundfunk hat seine E-Mail-Kanäle und Telefonleitungen geöffnet und gefragt: Was halten Sie von einem Gesetz, dass körperliche Strafen für Kinder verbietet? Gemeldet haben sich hauptsächlich Frauen.
(Frau) „Meine 12-jährige Tochter respektiert zwar noch die Schule, mich aber nicht mehr. Wenn ich sie bitte, etwas wegzuräumen, nachdem sie es benutzt hat, dann antwortet sie: Nach der Menschenrechtscharta dürfen Kinder nicht arbeiten. Wenn sie Computerverbot oder ähnliches bekommt, weil sie etwas angestellt hat, dann antwortet sie: Ich rufe die Notrufnummer an – das ist eine Einschränkung der persönlichen Freiheit. Extreme sind immer schlecht. Man führt hier das amerikansiche System ein, wo man den Kindern alles erlaubt und wo alle ihre Rechte hervorheben. Und im nächsten Moment erschießt so ein Kind eine halbe Klasse oder die halbe Schule. Müssen wir immer alles übernehmen – auch das Schlechte?“(Frau) „Mir ist bei der Erziehung auch ab und zu die Hand ausgerutscht. Ohrfeigen kommen dann, wenn die Argumente ausbleiben. Heute weiß ich, dass man mehr streicheln und loben muss.“
(Frau) „Eine Gesellschaft mit einem hohen moralischen Niveau muss die Bestrafung von Kindern nicht per Gesetz regeln. Ein moralisch handelnder Mensch hat keine Freude an Bestrafungen. Aber eins hinten drauf zu bekommen, dass kann beim kleinen Übeltäter oft mehr bewirken, als ein ausladender Monolog, den das Kind mit mehr oder weniger großem Interesse anhört. Ich bitte doch sehr, nicht die vernünftige Bestrafung mit Misshandlung zu verwechseln.“
(Frau)„Würden man mit dem Gesetz, das verbietet Kinder zu schlagen, auch regeln, dass Kinder die Eltern und die Lehrer nicht schlagen dürfen?“Am Ende noch zwei Stimmen, die sich telefonisch gemeldet haben:
(Mann) „Ich würde aus einer erzieherischen Backpfeife kein Problem machen. Meiner Ansicht nach betrachten alle normalen Eltern ihre Kinder als so etwas wie ihre Visitenkarte und sie bemühen sich, dass ihre Kinder keinen Schaden erleiden.“
(Frau) „Ich habe zwei Kinder, die ich allein erzogen habe – und ich glaube gut. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine gut platzierte Ohrfeige im richtigen Moment, das heißt, nachdem das Kind mehrmals verwarnt worden ist, einem mitunter für den Rest des Lebens eine Menge Arbeit erspart. Und was die Frau betrifft, deren Tochter die Kindernotrufnummer anrufen will, sie sollte ihrer Tochter sagen, dass sie als Mutter ein Recht hat sie zu kontrollieren, wenn sie in die Tochter investiert. Das Problem bei uns ist gerade: Wir reden alle von Rechten, aber niemand möchte irgendwelche Pflichten anerkennen. Wir reden alle von Freiheit. Aber Freiheit kann ja wohl nicht darin bestehen, dass ein Schüler seine Lehrerin ohrfeigt. Das ist der absolute Gipfel und ich warte nur darauf, dass man bald nach amerikanischem Vorbild anfängt zu schießen. Und wenn sie jetzt ein Gesetz machen, dass man Kindern keine Ohrfeige geben darf, dann ist das sinnlos. Diejenigen, die Kinder misshandeln, die hält auch kein Gesetz davon ab.“Ministerin Stehlíková gab übrigens gegenüber der Presse zu, dass auch sie früher ihre Tochter mit Ohrfeigen bestraft hat – und zwar für schlechte Noten. Keine gute Idee meint sie heute. Ihre Tochter habe Angst vor ihr bekommen. Die überwiegenden Stimmen der Bürger legen jedoch den Schluss nahe: Ein Gesetz, dass die körperliche Bestrafung von Kindern verbietet, ist ein überflüssiges Gesetz.