Begegnung in Schweden

Ein kleines Jubiläum wird dieser Tage in Tschechien begangen: 100 Tage in der EU. Blicken wir jedoch noch einmal zurück auf die Zeit vor dem Beitritt: Einen der umstrittensten Aspekte der EU-Erweiterung bildeten stets die Übergangsregelungen für den Arbeitsmarkt, die schließlich von fast allen alten EU-Staaten eingeführt wurden. Nur in Irland, Großbritannien und Schweden können sich Bürger der neuen Länder derzeit frei um einen Job bewerben. Die Bilanz nach 100 Tagen zeigt: Die Ängste vor einer Invasion von Arbeitssuchenden aus den neuen Ländern, oder zumindest aus Tschechien, haben sich nicht bestätigt. Aber: Auch Schweden hätte beinahe nicht zu den wenigen Ländern mit offenem Arbeitsmarkt gehört. Jitka Mladkova war kürzlich in Stockholm und hat dort mit Dieter Weihand von Radio Schweden International über dieses Thema gesprochen. Mehr erfahren Sie jetzt gleich, in unserer Sendereihe Begegnungen.

Soviel ich weiß, war Schweden eines der ersten Länder, die den damaligen Beitrittskandidaten versprochen haben, keine Übergangsfristen für den freien Personenverkehr auf dem Arbeitsmarkt einzuführen. Dann haben der schwedische Premier bzw. seine Regierung offensichtlich ihre Meinung geändert, indem sie im Januar dieses Jahres den Vorschlag machten, doch eine zweijährige Übergangsfrist einzuführen. Warum kam es zu diesem Meinungsumschwung?

"Das ganze ist so entstanden: Während der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft 2001, am Gipfel von Göteborg, wo die Erweiterung beschlossen wurde, wurde über die deutschen und österreichischen Forderungen, die so genannten Übergangsregelungen, noch gelächelt. Man hat damals noch im Visier gehabt, solche Regelungen nicht einzuführen. Es wurden dann Verhandlungen zwischen der sozialdemokratischen Minderheitsregierung und vor allem den Gewerkschaften abgehalten. Die Gewerkschaften haben gesagt: Ihr könnt das in der EU leicht zusagen! Aber wir wollen, dass der Arbeitsmarkt noch streng arbeitsrechtlich reguliert und auch kontrolliert wird. Wenn neue Leute kommen, dann sollte alles seine Ordnung haben. Die Verhandlungen zwischen dem Dachverband der Arbeitergewerkschaften (LO) und der Regierung sind nicht richtig vorangekommen. Man hat sich über Detailfragen nicht einigen können, und zum Schluss ist es tatsächlich so weit gekommen, dass Ministerpräsident Jöran Persson gesagt hat, wir werden vielleicht doch Übergangsregelungen einführen."

Wollte man sich damit den anderen EU-Ländern anpassen, oder gab es hier irgendwelche Signale auf dem Arbeitsmarkt, oder wollte man mit der vorgeschlagenen Regelung gar der öffentlichen Meinung entgegenkommen?

"Also es gab keine dezidierte öffentliche Meinung zu diesem Thema. In Deutschland war der Druck wesentlich höher. Dieses Thema war in der Öffentlichkeit gar nicht so sehr präsent, bis die Regierung es dann wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt hat. Was konkret der Auslöser gewesen ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht so genau. Es kam dann sehr überraschend, dass Jöran Persson gesagt hat, wir wollen den Sozialtourismus verhindern. Das bezieht sich auf Leute, die nur wenige Arbeitsstunden hier in Schweden arbeiten, aber dann das schwedische Wohlfahrtssystem in vollen Zügen genießen. Mit dieser These war er aber auch bei den Experten ziemlich alleine gestanden. Die meisten sagten, dass das nicht der Fall sein wird, und dass eine entsprechende Regelung rechtlich nur sehr schwer durchführbar wäre. Die politische Entwicklung des Falles war aber eine ganz andere. Die Sozialdemokraten sind im Januar ins Parlament gegangen, haben dort aber keine eigene Mehrheit. Es gab zwei Parteien, die den Übergangsregeln zugestimmt hätten: Die Liberalen und die Konservativen. Diese hätten aber gerne andere Regelungen gehabt, die nicht so streng waren, wie es sich die Sozialdemokraten vorgestellt haben. Die Parteien konnten sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen, und deswegen sind diese Regeln auch gescheitert. Schweden hat nun keine Übergangsfristen für die Bürger aus den neuen EU-Ländern. Das Sozialministerium ist aber angewiesen worden, die Sache im Auge zu behalten, und zu überlegen, wie neue Regelungen für die Sozialhilfe getroffen werden können, um eventuelle Missbräuche zu verhindern. Das steht natürlich im unmittelbaren Zusammenhang mit der EU-Erweiterung, aber es wird auch Schweden treffen. Denn solche Regelungen können nicht für EU-Ausländer allein getroffen werden, sondern müssen für sämtliche EU-Bürger gelten."

War also die Entscheidung des schwedischen Parlaments einfach das Resultat des üblichen Tauziehens zwischen Regierung und Opposition?

"Auf jeden Fall. Von den bürgerlichen Parteien gab es da wenig Kooperationsbereitschaft. Das Delikate an der ganzen Sache ist, dass es keine Koalition gibt. Es gibt eine Minderheitsregierung, aber die Sozialdemokraten haben stille Partner - die Grünen und die Linkspartei. Die beiden Parteien haben aber solche Regelungen von vornherein abgelehnt. Den Sozialdemokraten wurden hier also ihre Grenzen klar aufgezeigt. Ich glaube, die Bürgerlichen hätten sich mit den Sozialdemokraten einigen können, aber sie haben wohl gedacht, dass die politische Frage als solche nicht so wichtig war. Und es war vielleicht ganz günstig, dem Ministerpräsidenten eine politische Niederlage erteilen zu können."

Wie sieht es in Schweden im realen Leben, konkret auf dem Arbeitsmarkt aus? Gibt es hier vielleicht sogar einen Bedarf an Arbeitskräften, sprich an ausländischen Arbeitskräften?

"In gewissen Bereichen gibt es Bedarf an ausländischen Arbeitskräften. Die Arbeitslosigkeit in Schweden ist relativ gering, obwohl auch sie im Steigen begriffen ist. Sie liegt bei etwa fünf Prozent. Aber die Befürchtungen, die es gab, die sind aus der Baubranche gekommen, von den Bauarbeitergewerkschaften. Hier ist die Arbeitslosigkeit relativ hoch, und eben hier gibt es auch die größten Befürchtungen, dass Leute aus Polen, Lettland oder Tschechien kommen und die Arbeitsplätze wegnehmen."

Einige Tschechen werden schon kommen, denke ich. Welche Chance haben sie hier in Schweden?

"Ich glaube, dass Schweden schon ein relativ guter Arbeitsmarkt ist, wenn man sich gut anpassen kann. Was hier in Schweden auffällt, ist, dass die Strukturen nicht so sehr hierarchisch sind. Aber man muss trotzdem aufpassen, was man sagt und wie man handelt. Für gut ausgebildete Kräfte gibt es aber auch in Schweden Bedarf, und Leute, die bereit sind zu arbeiten, werden auch in Schweden entsprechend aufgenommen werden. Da bin ich mir ganz sicher."

Inwieweit ist Tschechien in Schweden bekannt? Was stellt man sich vor, wenn man den Namen "Tschechien" sagt bzw. hört?

"Ich glaube, es sind zwei Sachen: das Eishockey und das Bier. Dafür ist Tschechien in Schweden am meisten bekannt. Es gibt hier in Stockholm auch einige tschechische Restaurants, wo die Schweden sehr gern hingehen."

In diesen Bereichen können die Tschechen mit den Schweden tatsächlich konkurrieren, denke ich.

Skoda
"Man muss aber auch dazusagen, dass Skoda hier viel Erfolg hatte. Diese Automarke wurde hier - ich weiß nicht genau wann, aber ganz bestimmt nicht vor allzu vielen Jahren - wieder eingeführt und hat sich eigentlich sehr gut auf dem schwedischen Markt etabliert."

Und wenn sich doch zeigen sollte, dass ausgerechnet die Tschechen eine starke Konkurrenz darstellen - wie könnten etwa die Schweden, sagen wir aufgrund ihrer Mentalität, reagieren?

"Von offizieller Seite wurde schon angedeutet, genauer gesagt, Premier Jöran Persson hat es so angedeutet, dass die neuen Mitgliedstaaten sich doch gefälligst anpassen sollten, was das Steuerniveau angeht, oder den Wohlfahrtsstaat usw. usf. Man dachte, auf der einen Seite gehen Arbeitsplätze nach Polen oder nach Tschechien verloren, weil dort billiger produziert werden kann, und auf der anderen Seite zahlt Schweden in die EU ein, um solche Arbeitsplätze in Polen oder Tschechien zu subventionieren. Da ging bei Vielen auch die Schere im Kopf auf, und es etablierte sich bestimmt auch ein Konkurrenzdenken. Viele haben einfach nicht darüber nachgedacht, dass mit den neuen Ländern auch Konkurrenten am europäischen Markt erwacht sind."