Besser leben in Prag: Nachhaltige Stadtplanung ist noch Zukunftsmusik
Ressourcenkreislauf, Verkehrsberuhigung, öffentlicher Raum für Bewegung und aktives Leben: Prag ist in vielen Punkten bisher wenig nachhaltig. Und aktuelle Planungskonzepte sind noch zu konservativ, um dies möglichst bald zu ändern. Junge Architekten wie auch etablierte Stadtplaner rufen daher zu mehr Mut auf und dem Aufgreifen globaler Trends.
Prag ist keine Insel. Eine moderne Stadtplanung muss diese Erkenntnis berücksichtigen und das Umfeld mit einbeziehen. Nur so kann ein nachhaltiges Konzept einer Großstadt entstehen und umgesetzt werden. Dies war der Tenor der Online-Konferenz „Praha udržitelná?“ (Nachhaltiges Prag?), die die Umweltschutz-Organisation Arnika im Juni veranstaltet hat.
Die Frage, was Nachhaltigkeit in Sachen Urbanismus eigentlich ist, wurde zum Auftakt von Karel Maier geklärt. Der Architekt und Gebietsplaner lehrt an der Technischen Universität sowie an der Agraruniversität in Prag:
„Ein nachhaltiges Leben verbindet wirtschaftlichen Fortschritt, gesellschaftlichen Einklang und einen vollwertigen Umweltschutz. Das gängige Schema besteht aus einer ökologischen, einer ökonomischen und einer sozialen Säule. Wo diese drei sich überlappen, dort herrscht Nachhaltigkeit. Gut bekannt ist bereits die Definition, dass diese Art der Entwicklung die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation erfüllt, ohne die Chancen der kommenden Generationen auf eine gleiche Lebensweise einzuschränken.“
In Bezug auf die Stadtplanung bedeutet dies, dass eine Gemeinde oder Metropole ihren Verbrauch an Ressourcen wie Wasser oder Treibstoff in möglichst geschlossenen Systemen mit maximaler Recycling-Leistung organisieren sollte. Das macht sie zum einen weniger abhängig von externen Quellen. Zum anderen bedeutet dies eine geringere Belastung für das Umfeld oder auch entferntere Regionen, in denen die verbrauchten Ressourcen dann oft gelagert werden. Sofern Prag derzeit als nachhaltig bezeichnet werden könne, sei dies lediglich erkauft auf Kosten seines Umfeldes, analysiert Maier:
„Ist Prag also eine nachhaltige Stadt? Meine Antwort lautet: Ja, aber nur so lange sie die Ressourcen – Wasser, Lebensmittel, Energie, aber auch Arbeitskräfte – aus ihrem Hinterland abschöpfen kann. Und das Hinterland Prags ist vor allem die Tschechische Republik.“
In ökonomischer Hinsicht muss für eine nachhaltige Stadt eine diverse Wirtschaftsstruktur geschaffen werden ebenso wie eine ausgeglichene Ansiedlung von Bevölkerung und Bereitstellung von Arbeitsplätzen. Auch hier spielt die enge Verbindung zum Umfeld, über die Stadtgrenzen hinaus, eine wichtige Rolle. Der soziale Aspekt der Nachhaltigkeit wiederum schafft Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und sorgt dafür, dass alle einen möglichst gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen und Dienstleistungen haben. Und genau in diesem Punkt hapere es bei den derzeitigen Planungskonzepten, so Maier:
„In ökonomischer Hinsicht verstärkt Prag systematisch seine Position innerhalb Tschechiens, was ein Plus ist. Der Vergleich zu anderen europäischen Metropolen ergibt allerdings einen Minuspunkt, da das vorhandene Potential nicht ausgenutzt wird. In sozialer Hinsicht sehe ich gar kein Plus. Die Ungleichheiten zwischen der Qualität des öffentlichen Raumes und den Dienstleistungen wachsen in den einzelnen Stadtteilen an. Zudem ist der Zugang zu Wohnraum ein großes Thema. Dieser verschlechtert sich zunehmend.“
Grund dafür sind laut Maier konservative Konzepte, die seit Jahrzehnten in Prag umgesetzt werden:
„Die Stadtplanung Prags befasst sich mit einer Reihe alter, aber etablierter Probleme, an deren Entstehung sie selbst beteiligt war. Auf die Frage nach dem größten Problem in Prag wird meist der Verkehr angeführt. Was ist aber der Grund für diese Überlastung? Es ist die chaotische Verkehrsführung, die wiederum das Ergebnis ist eines unkoordinierten Planens der Stadt und ihres Umfeldes.“
Prager gehen zu selten zu Fuß
Das Verkehrskonzept Prags habe bisher immer eine große Infrastruktur wie etwa die Metro bevorzugt, fügt Maier hinzu. Hier fand im Verlaufe der Konferenz Ladislava Fialka Sobková einen Anknüpfungspunkt. Die Architektur-Doktorandin der Technischen Universität in Prag mahnte, dass die Debatte über den öffentlichen Raum, über Verkehrsfragen und anstehende Investitionen um einen Aspekt erweitert werden müsse: die gesundheitlichen Vorteile nämlich der Fortbewegung zu Fuß und anderer physischer Aktivitäten in der Stadt:
„Der öffentliche Raum von Städten ist eine Plattform für soziale Interaktion, sei es aktiv oder passiv. Wichtig ist, dass in ihm Raum für aktive Bewegung ist – für Menschen, die zu Fuß gehen, mit dem Rad fahren oder laufen. Dies ist das Blut, das in den Adern der Stadt fließt. Zurzeit gibt es aber eine Pandemie der Inaktivität.“
Die aktive Fortbewegung nimmt laut Sobková vor allem bei jüngeren Bevölkerungsgruppen rapide ab. In einer Studie hat sie mit ihren Kollegen umfassende Datensätze über den Arbeitsweg der 21- bis 56-Jährigen in Prag ausgewertet:
„Den Ergebnissen nach betrug 2017 das tägliche Gehpensum eines durchschnittlichen Pragers 3106 Meter. 85,4 Prozent dieser Gesamtstrecke bestehen aus Routinewegen. Die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation, täglich 10.000 Schritte zu gehen, erfüllen nur 2,4 Prozent der Prager Bevölkerung – zwei Prozent der Frauen und 2,7 Prozent der Männer.“
Aufgrund dieser niedrigen Werte nehme die Zahl der Übergewichtigen in Tschechien zu, so die Architektin. Die finanziellen Auswirkungen ließen sich anhand der Kosten zur Behandlung der betreffenden Patienten beziffern. Diese belaufen sich auf 700 Millionen Kronen (27,6 Millionen Euro) jährlich, was 0,4 Prozent aller Gesamtausgaben der Krankenkassen ausmache. Laut Sobková verfügen Architekten und Stadtplaner durchaus über Möglichkeiten, zu einer positiven Trendwende beizutragen:
„Die städtische Struktur hat Einfluss auf die Bewegungsmuster der Teilnehmer. Jede Stunde, die wir zusätzlich im Auto verbringen, erhöht das Risiko zum Übergewicht um sechs Prozent. Hingegen senkt jeder Kilometer, den wir täglich zu Fuß zurücklegen, dieses Risiko um 4,8 Prozent. Investitionen in die aktivere Nutzung des öffentlichen Raums sind ein wichtiger Akt sozioökonomischen Ausgleichs. Denn 25 Prozent der Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen treiben keinen Sport. Bei Familien mit hohem sozioökonomischem Status betrifft dies hingegen nur fünf Prozent der Kinder.“
Beruhigung der Stadtautobahn nötig
Um die Einwohner einer Stadt zu mehr Bewegung und Fußwegen zu motivieren, brauche es häufig nur ein konstruktives Konzept zur Verkehrsberuhigung, merkt Sobková an. Sie verweist auf aktuelle Diskussionen zur Prager Magistrale:
„Die Planungen zur Beruhigung der Stadtautobahn habe ich als großen Antrieb in der Debatte zu Fußgängern und zur Entspannung des öffentlichen Raums empfunden. Es geht darum, den Verkehr einzudämmen und das Sicherheitsgefühl der Fußgänger zu erhöhen. Dabei ist es gar nicht so wichtig, ob ein Fußweg zwei oder vier Meter breit ist. Denn wenn sich der Verkehr beruhigt und mehr Grünflächen entstehen, dann steigt die Attraktivität für Fußgänger schon von ganz allein.“
Aktiv an der Debatte um eine nachhaltigere Zukunft der Prager Stadtautobahn beteiligt ist Ivan Gogolák vom Architektenbüro gogolák + grasse. In seinem Konferenzbeitrag resümierte er, dass Konzepte zur Verkehrsberuhigung oder auch für Grünanlagen und interaktive Verbindungen von Stadt und Land heutzutage schon Standard sein sollten bei der Stadtplanung. Allerdings sei dies in Tschechien noch nicht der Fall. Bisher gelinge es den hiesigen Architekten nur in einzelnen Punkten, sich auf die neuen Herausforderungen und globalen Trends einzustellen, so Gogolák:
„Positiv ist, dass auf diese Dinge endlich ein Licht fällt. Wir erkennen die Probleme und können auf sie reagieren. Langsam entstehen dazu passende Landschaftspläne. Das Problem ist aber, dass wir dafür kaum ausgebildete Experten haben. Wir sind zwar in der Lage, gewisse Details zu klären. Aber bisher gelingt es nicht, umfassende Konzepte zu erstellen und das große Ganze zu überdenken.“
Dieser Aufgabe müsse man sich aber annehmen – und das sofort. Denn, so Gogolák, den Problemen wie Wasserknappheit, Hitze, Erosionen oder auch Materialmangel könnten sich die Stadtplaner nicht entziehen:
„Unser Hang zum Beton wird zum großen Problem werden, denn der Sand wird knapp. Wir müssen nach Alternativen suchen, denn wir haben keine andere Möglichkeit. Und das gilt für alle Bereiche. Dies spiegelt sich darin wieder, dass sich jetzt allseits auf die Landschaftsplaner verlassen wird. Das ist aber trügerisch, denn das Gesamtbild müssen wir alle gemeinsam gestalten. Ein paar Bäume, die auf dem Marktplatz gepflanzt werden, verändern den Platz nicht grundlegend genug. Also muss das Problem gemeinsam und systematisch angegangen werden.“
Zur Bestätigung dessen verwies Karel Maier auf eine Art „generation gap“ in der Architektenzunft. Selbst Jahrgang 1951, unterstützte er die jüngeren Kollegen wie Gogolák und Sobková mit einem allgemeinen Appell:
„Summa summarum: Meine und die Generationen nach mir sind noch ausgebildet worden, um eine schöne Stadt zu planen. Es scheint aber, dass das aktuelle Thema der Entwurf einer robusten Region ist. Unser Beruf ist also noch auf einem anderen Level, als es heute nötig wäre.“