Bevölkerungsentwicklung in Tschechien

Foto: Jana Sustova

Wenn es so weiter geht, dürfte das Durchschnittsalter der Tschechen in 50 Jahren über 54 Jahre betragen. Mit dieser Prognose werde der Rahmen aller bisher weltweit gemachten Erfahrungen in diesem Bereich gesprengt, warnte schon vor einiger Zeit das Tschechische Statistikamt. Grund: Die Geburtenraten zeichnen sich seit etwa zehn Jahren durch ein sehr niedriges Niveau aus - auf eine Frau entfallen mittlerweile nur noch 1,2 Kinder. Jitka Mladkova hat sich mit dem Thema befasst:

Dass es Anfang der 90er Jahre, also nach dem Wendejahr 1989, zu einem rapiden Geburtenrückgang kam, führen einige Experten auf eine gewisse wirtschaftliche und soziale Unsicherheit zurück, die die radikale politische Wende mit sich brachte. Soziologieprofessor Ladislav Rabusic, Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften in Brno/Brünn, teilt diese Meinung nicht:

"Meine Sichtweise basiert in der so genannten kulturellen bzw. kulturologischen Betrachtung. Die Ursache dafür, dass die Zahl von Eheschließungen und Geburten dermaßen rasant zurückging, sehe ich darin, dass sich die Prioritäten junger Leute wesentlich verändert haben. Ich sehe das auch als eine logische Folge der Tatsache, dass sich bei uns nach 1989 ein Raum der Freiheit geöffnet hat. Mit diesem boten sich den Jugendlichen viele nie da gewesene Möglichkeiten, die Zeit zwischen ihrem 20. und 30. Lebensjahr zu füllen, die sie einfach umsetzen wollen."

Dies müsse man als Trend zur Kenntnis nehmen, anstatt Panik zu machen, sagt Professor Rabusic. Das herkömmliche Modell, schon mit 20, 21 oder 22 Jahren in den Hafen der Ehe zu eilen, habe sich bereits überlebt. Der Soziologe sieht sich auch als Gegner verschiedener finanzieller Begünstigungen für junge Familien, wie sie neulich vom Kabinett beschlossen wurden - sei es z.B. in Form von speziellen Darlehen für die Wohnungsanschaffung oder in Form von einmaligen Zuschüssen bei der Geburt eines Kindes bzw. bei dessen Einschulung. Seiner Meinung nach können diese Maßnahmen die erwünschte Steigerung der Kinderzahl nicht herbeiführen. Für eine mögliche Trendwende erblickt der Brünner Soziologieprofessor eigentlich nur eine Chance:

"Eine vernünftige Sozialpolitik, die ihren Schwerpunkt darin sieht, die Voraussetzungen zur Etablierung von Frauen bzw. beider Elternteile auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen, und die es gleichzeitig durch entsprechende Strukturen ermöglicht, sich gut um die Kinder zu kümmern."

Tja, von einer - wie es in der Fachsprache heißt - Harmonisierung der beiden Werte Arbeit und Familie werden tschechische Frauen und Männer wahrscheinlich noch lange nur träumen können. Einstweilen versucht das tschechische Arbeitsministerium das Problem auf andere Art in den Griff zu bekommen: Vor einem Jahr hat es ein langfristiges Projekt angekündigt, das Ausländer aus Bulgarien, Kroatien, Kasachstan und weiteren Ländern nach Tschechien locken sollte. Die erwartete Resonanz blieb jedoch aus. Nun haben offizielle Stellen kürzlich an 14 000 ausländische Hochschulstundenten in Tschechien das Angebot gerichtet, sie könnten unter erleichterten Bedingungen eine Daueraufenthaltsgenehmigung erlangen. So etwas befürwortet Prof. Rabusic voll und ganz. Tschechien sei nicht normal, sagt er unter Verweis auf die Tatsache, dass die hierzulande lebenden Immigranten nur zwei Prozent der gesamten tschechischen Bevölkerung ausmachen. Außerdem:

"Allgemein gesagt bin ich auch dafür, dass sich die Gene mischen, deshalb werde ich sehr froh sein, wenn sich der tschechische Genpool mit Einflüssen von außen ein bisschen bereichert bzw. auffrischt. Ich sehe ein Problem darin, dass die tschechische Gesellschaft jahrzehntelang nicht multikulturell, sondern hinsichtlich der Nationalität sehr homogen war. Sie ist nicht daran gewöhnt, dass es da auch Menschen gibt, die eine andere Hautfarbe haben, einer anderen Kultur angehören, usw. Doch angesichts der Probleme der alternden Gesellschaften in ganz Europa wird es Tschechien genauso wie andere Länder nicht vermeiden können, ihre Grenzen für Immigranten zu öffnen."

Und wenn nicht? Die Prognosen zeichnen für die Tschechen eine düstere Zukunft: Wenn der heutige Trend anhält, schrumpft ihre Anzahl in 31 Jahren von den derzeitigen 10 000 000 auf die Hälfte. In 300 Jahren würden hierzulande nur noch 64 000 Menschen leben. Wie in der Urzeit!