Biodiversität in Prag : Wälder, Weiden, Teiche und Obstgärten der Stadt

Prag

Wiesen voller blühender Gräser, Weiden mit Schafen, Ziegen und Kühen, Obstgärten voller Kirsch-, Birnen- und Apfelbäume, Felder, saubere Teiche und farbenfrohe Wälder – das alles findet man in der tschechischen Hauptstadt. Prag ist in Bezug auf die biologische Vielfalt im europäischen und weltweiten Kontext eine Ausnahmeerscheinung.

Obstgarten Na Čihadlech | Foto: Pražská příroda

Auf dem Gebiet Prags befinden sich 93 kleinflächige Schutzgebiete. Um diese, aber auch um weitere, nicht geschützte Obstgärten, Felder, Wiesen, Teiche und Wälder kümmert sich die Abteilung für Umweltschutz des Prager Magistrats. Ihr Mitarbeiter Jiří Rom führt uns im Folgenden zu einigen der interessantesten Orte, die man in einer Metropole mit 1,3 Millionen Einwohnern kaum erwartet hätte. Die Erkundungsreise beginnt im Nordosten Prags, konkret in einem Obstgarten im Stadtteil Hostavice / Hostawitz:

„Wir kümmern uns um insgesamt 75 Obstgärten. Diesen Obstgarten in Hostavice erwarb die Stadt vor einigen Jahren in einem sehr verwahrlosten Zustand. Wir haben ihn von invasiven Gehölzen gereinigt und schrittweise damit begonnen, neue Obstbäume anzupflanzen. Zudem haben wir den Garten um eine ganz neue Apfelbaumanlage erweitert.“

Allee Za Luhem | Foto: Pražská příroda

93 kleinflächige Schutzgebiete in Prag

Bei den Neupflanzungen greifen die Experten auf ursprüngliche Baumarten zurück, die heute kaum mehr bekannt sind.

Obstgarten U Stacha | Foto: Pražská příroda

„Wir wollen das Kulturerbe erhalten, das diese alten Sorten in sich tragen, egal ob es um Apfel- oder etwa Kirschbäume geht. Wir nehmen Pfropfreiser von alten Bäumen und stecken sie auf neue Bäume. Durch diese Art der Veredelung können regionale Arten bewahrt werden, die größtenteils aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen. Auf dem Gebiet Prags finden sich aktuell etwa 350 verschiedene Obstbaumarten, das ist ein umfangreicher Genpool“, so der Biologe.

Die meisten dieser Arten werden heute nicht mehr gepflanzt. Es handelt sich um solche, deren Früchte nicht schön aussehen. Beziehungsweise solche, die nicht gleich nach dem Pflücken verzehrt werden können, sondern zunächst etwa einen Monat lang gelagert werden müssen, sagt Jiří Rom weiter. Und er unterstreicht:

„Die Obstgärten der Hauptstadt sind frei zugänglich. Jeder, der da im Juni Kirschen und im Oktober Äpfel für sich pflückt, ist willkommen. Die Früchte sind umsonst.“

Petřín | Foto: Štěpánka Budková,  Radio Prague International

Ungewöhnliche Bewohner

Die Biodiversität Prags ist relativ einzigartig. Dies betrifft nicht nur Pflanzen, sondern auch Tiere. In Dolní Počernice – Čihadla macht Jiří Rom auf Spuren eines ungewöhnlichen Bewohners aufmerksam:

Foto: Pražská příroda

„Wir sehen hier die Arbeit eines Bibers. Sie haben sich vor einigen Jahren an der Moldau angesiedelt, wo nun mehrere Familien leben. Junge Biber haben dort keinen Raum mehr, um Familien zu gründen. Sie sind gezwungen, entlang der Zuflüsse stromaufwärts zu wandern. Das Flüsschen Rokytka ist bereits von mehreren jüngeren Bibern mit ihren Familien besiedelt. Sie bauen hier ihre Burgen und Deiche.“

In Folge dessen verwandelt sich das Ufer in ein Moorgebiet. Die Biber sind aber nicht die einzigen seltenen Tiere in der Stadt. Im Winter 2022 wurde sogar ein Wolf in Prag gesichtet. Er stammte ursprünglich aus Polen und kehrte kurz nach seinem Besuch im Wald von Klánovice / Klanowitz am Rand der Hauptstadt in sein Wohngebiet in den Žďárské vrchy / Saarer Berge zurück.

Ein weiteres Biotop, das in Prag nicht fehlen darf, bilden die Felder:

„Wir bemühen uns, die Felder im Besitz der Stadt durch Raine und Baumalleen in kleinere Einheiten zu teilen. Hier in Dolní Počernice haben wir einen großen Acker durch zehn Baumreihen geteilt. Auf jedem der schmalen, langen Feldstreifen wird eine andere Pflanze angebaut.“

Dabei handelt es sich sowohl um Gemüse als auch um Kräuter. Ein paar Schritte weiter zeigt sich ein ganz anderes Landschaftsbild: Wiesen mit Gräsern, neue Bäume, Wege, die zu Spaziergängen auffordern, und eine seltsame Anhöhe…

„Uns geht es darum, ein buntes Mosaik unterschiedlicher Biotope auf einem Gebiet zu schaffen. Dabei handelt es sich auch um sehr spezifische Mikrobiotope. Hier befindet sich eine Sanddüne. Sie ist eine Anhöhe aus nährstoffarmem Substrat. Diese wird von spezifischen Insektenarten besiedelt, die Sand zum Leben brauchen. In Prag gibt es drei solcher Dünen und außerdem noch viele weitere flache Sandbiotope.“

Landschaftspark Lítožnice | Foto: Pražská příroda

Landschaftspark Lítožnice

Die Erkundungsreise mit Jiří Rom geht in einer Gegend namens Lítožnice weiter. Auf mehreren Hektar Fläche wird dort ein gleichnamiger Landschaftspark aufgebaut:

Landschaftspark Lítožnice | Foto: Pražská příroda

„Er besteht aus kleineren Waldstücken und Wiesen, die von mehreren Wasserläufen durchquert werden. Das Ganze wird von einem der größten Teiche Prags dominiert. Der Teich hat ein sehr gegliedertes Ufer und mehrere Inseln. Es gibt hier sehr mannigfaltige Pflanzen- und Tiergemeinschaften.“

In den Mäandern eines Baches befinden sich Wiesen. Sie wurden auf einem Ackerboden neu angelegt und mit der sogenannten Prager Regionalmischung besät:

„Dieses Saatgut lässt sich nicht auf dem Markt kaufen. Dort sind den Mischungen oft Arten beigefügt, die die Landschaft verunkrauten und die ursprünglichen Pflanzenarten genetisch bedrohen. Das ist gefährlich. Wir müssen daher hier in Tschechien eigene Regionalmischungen herstellen. Damit wurde zuerst in den Weißen Karpaten begonnen. Aber 20 bis 25 Jahre lang gab es keine vergleichbaren Nachfolger, bis wir in Prag begonnen haben, auch eigenes Saatgut zu produzieren.“

Und wo es Wiesen gibt, dort lassen sich auch Haustiere halten:

„Prag beweidet seine Kulturlandschaft schon seit dem Jahr 2000. Derzeit haben wir vier bis fünf Herden Schafe und Ziegen, 2012 kamen noch zwei Rinderherden hinzu. Die Tiere bleiben nicht an einem Ort, sondern wandern im Laufe des Jahres. Auf diese Weise weiden sie an etwa 70 Orten in der Stadt.“

Landschaftspark Lítožnice | Foto: Pražská příroda

„Obstgarten Republik“ – Tschechiens Mittelgebirge im Kleinen

Zum Schluss stellt Jiří Rom ein ganz einzigartiges Stück Landschaft vor, das derzeit zwischen den Prager Stadtteilen Dubeč und Běchovice / Biechowitz entsteht. Auf insgesamt 14 Hektar befinden sich Hügel und Anhöhen aus Erde in unterschiedlichen Formen. Das Gebiet nennt sich „Obstgarten Republik“:

Obstgarten Lítožnice | Foto: Pražská příroda

„Wir bilden hier schrittweise die tschechischen Mittelgebirge wie Riesengebirge, Altvatergebirge, Adlergebirge oder Böhmerwald nach – aber alles in einem kleinen Maßstab. Sie sind aber genau wie auf der Landkarte angeordnet. Wenn man von oben auf den Obstgarten schaut, sieht man praktisch eine Karte der Tschechischen Republik.“

Als Material für die Modellierung der Hügellandschaft dient jene Erde, die bei der Revitalisierung von Wasserläufen übriggeblieben ist. Neben den Erhebungen prägen aber auch noch Obstbäume das Bild dieses Landschaftsmodells. Im Moment sind es etwa 100 Bäume, letztlich sollen aber mehrere hundert von ihnen im Obstgarten Republik wachsen:

Obstgarten Lítožnice | Foto: Pražská příroda

„Jeder der Obstbäume vertritt eine Art, die aus einem konkreten Teil unseres Landes oder einer konkreten Gemeinde stammt. Wenn man etwa durch den Böhmerwald den Garten betritt, kommt man zu einem Kirschbaum, der aus der Gemeinde Libějovice am Fuß des Böhmerwaldes stammt. Geht man nordwärts, passiert man nach gewisser Zeit etwa einen speziellen Pflaumenbaum aus der Gemeinde Černošice bei Prag. Und noch weiter im Norden steht etwa der Solaner Birnbaum für das Böhmische Mittelgebirge. Man kann die Früchte all dieser Bäume verkosten.“

Jiří Rom sieht aber auch viele Möglichkeiten, wie die einzigartige Gartenanlage in Unterricht und Bildung genutzt werden kann:

„Das Modell hilft bei der Orientierung in Tschechien. Man kann anschaulich machen, in welchem Teil des Landes man sich gerade befindet. So lässt sich etwa verdeutlichen, dass man vom Erzgebirge aus ostwärts gehen muss, um ins Riesengebirge zu kommen, und dass der Böhmerwald vom Altvatergebirge aus in Richtung Südwesten liegt. Zudem kann ein Lehrer den Kindern hier beibringen, in welche Richtungen etwa das hussitische Heer vorgedrungen ist, wo sich Schlachten abgespielt haben oder wie das Königreich Böhmen einst gegliedert war. Denn alles ist hier in Sicht- und Reichweite.“

Autoren: Markéta Kachlíková , Markéta Ševčíková | Quelle: Český rozhlas
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