Bohuslav Martinů: zurück in Europa

Bohuslav Martinů

Die Martinů-Jahre 2009 und 2010 brachten den tschechischen Komponisten zurück auf die Bühnen Europas. Unter der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft galt Bohuslav Martinů als Aushängeschild der tschechischen Kultur in Europa. Bohuslav Martinů – also der Vorzeige-Europäer? Der Komponist lebte von 1890 bis 1959. Er war besonders in den USA gefeiert. Den Kommunisten in seinem Heimatland war er jedoch zu individuell. Warum er jetzt, 50 Jahre nach seinem Tod zum Europäer par excellence bestimmt wird, erklärt dieser Kultursalon.

Tomáš Jamník  (Foto: www.tomasjamnik.cz
„Wahrscheinlich spiele ich die ‚Variationen eines Slowakischen Volkslieds’ am meisten und am liebsten, weil das Martinůs letztes Werk ist und man damit immer einen großen Erfolg hat“,

sagt Cellist Tomáš Jamník, der 2003 den Preis der Bohuslav Martinů Stiftung gewann. Er widmet seine Musik ganz dem Komponisten. Dabei weiß er aber, dass er sich mit Martinů ein ungewöhnliches Idol ausgesucht hat:

„Ich habe das Gefühl, dass er so ein spezifischer Komponist ist, dass es einen ebenso spezifischen Zugang zu ihm erfordert, also, man muss sich auf ihn einlassen um ihn wirklich authentisch zu interpretieren.“

Bohuslav Martinů
Martinů war überzeugter Klassizist. In seinen 400 Werken, bediente er sich vieler Stile. Er blieb dabei trotzdem immer einem Prinzip treu: Der Suche nach der reinen Musik. Martinů wollte mit seiner Musik keine Botschaft vermitteln, es ging ihm um Form, um Technik. Er wollte Musik für die Musik schaffen. L’art pour l’art. Nach seinen Lehrjahren in Tschechien, kam Martinů damit in der Künstlermetropole Paris der 30er Jahre gut an. Von dort flüchtete er als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Schutz bot ihm die USA, wo er als gefeierter Komponist aufgenommen wurde. Seine Kritiker in Europa mehrten sich jedoch. Vor allem in Tschechien, wo seine Musik unter dem Kommunismus verpönt war. So sagte der tschechische Kritiker Bohumíl Karásek 1950: „Bohuslav Martinů ist ein Komponist, der zweifellos viel kann, jedoch die ganze große technische Kunst hilft ihm nichts, denn er hat uns nichts zu sagen. Es ist eine Musik, die völlig unbeteiligt daran bleibt, was in der Welt geschieht, (…) eine ideenlose und zwecklose Musik.“ Als Martinů 1959 starb, wurde es in Europa still um ihn. Ivana Rentsch, Martinů-Expertin der Uni Zürich erklärt:

Ivana Rentsch
„Man kann von einer kompositorischen Martinů-Rezeption tatsächlich nicht sprechen. Was zweifellos damit zusammenhängt, dass er keine Schule gegründet hat. Er hat sich als praktizierender Komponist verstanden. Und er hatte nicht dieses Sendungsbewusstsein, das ihn dazu getragen hätte, seine Ästhetik zu verankern, zu verwurzeln. Das ist Teil seines Musikverständnisses, also quasi diese Freiheit auch im Unterricht so zu bewahren, dass man von einer stilistischen Beeinflussung eigentlich nicht reden kann.“

Obwohl Martinů als einer der meistgespielten Komponisten des 20. Jahrhunderts gilt, sieht auch Aleš Březina, Leiter des Bohuslav Martinů Instituts, keine große Ausstrahlung.

„Er hat wesentliche Komponisten mit seiner technischen Meisterschaft beeindruckt. Er hat einmal gesagt, man spreche viel von der Krise des Komponierens. Aber er glaube in den meisten Fällen sei das nur eine Krise des technischen Apparats, dass die Komponisten nicht im Stande seien Gedanken richtig umzusetzen im technischen Medium der Musik. Direkt hat er sicher keinen wesentlichen Komponisten Europas beeinflusst, indirekt einige.“

Foto: ww.tomasjamnik.cz
Ganz direkt, nicht als Komponist, sondern als Musiker beschäftigt sich Tomáš Jamník mit Martinů. Auf seinen Konzerten bringt er den Komponisten zurück nach Europa. Wohin führt ihn die Reise? Wo kommt die Musik am besten an?

„Am häufigsten in der Tschechischen Republik, wo die Leute Martinů schon kennen. Wir hatten erst kürzlich einen schönen Erfolg mit einem Konzert in Frankfurt, wo die Leute den Martinů-Teil des Repertoires am liebsten mochten und wirklich bedauerten, dass sie seine Musik nicht öfters hören. Ich habe erst vorgestern seine Komposition für ein Kammerorchester einem Veranstalter angeboten. Und der war ein wenig skeptisch weil dieses Konzert für Spanien geplant ist und er sagte zuerst, dass die Leute dort nicht so an Martinů gewöhnt sind.“

In der Cello-Welt steht Martinů hoch im Kurs. Schließlich habe er das größte und vielfältigste Repertoire für das Instrument geschaffen, so Jamník. Neben den Interpreten, gibt es eine Gruppe von Musikwissenschaftlern, die ein Ziel verfolgen: Martinů ins europäische Gedächtnis zurückrufen. 2009 und 2010 wurden als Martinů-Jahre bestimmt, weltweit, aber vor allem eben in Europa finden Konzerte statt. Dazu der Initiator, Aleš Březina:

„Die vorläufige Bilanz ist: Es hat sich gelohnt ein zweijähriges Projekt in die Wege zu leiten, weil die wiederholte Erwähnung oder Zurkenntnisnahme der Musik Martinus doch deutlich bessere Resultate erzielt als ein gigantisches einwöchiges oder zweiwöchiges Festival.“

Auch Ivana Rentsch ist überzeugt, dass die europäische Integration Martinůs gelungen ist.

„Aber es ist sicher durch dieses Jahr manches im Repertoire der Veranstalter angekommen. Und das war letztlich ja auch das Ziel dieser Aktion: Martinů im Repertoire bekannt zu machen, zu verankern. Und deswegen sind nach wie vor Opern und Konzerte geplant. Einfach nicht mehr nur unter einem Stichwort. Martinů ist quasi im Konzert angekommen.“

Ist die neue, europäische Bedeutung Martinůs nur von einer Handvoll Liebhabern initiiert? Ob die Europäer Martinů annehmen, wird sich zeigen. Fakt ist, der Komponist passt hervorragend in das Bild des bunten Europas. Da ist zum einen die Biographie eines rastlosen Künstlers, der sowohl in Tschechien, als auch in Frankreich, Italien, der Schweiz und Österreich zu Hause war. Zudem gilt auch seine Musik als weltoffen:

Illustrationsfoto
„Er hatte musikalische Ziele, aber die waren nicht eingegrenzt durch irgendwelche nationalen Ideale.“

Bohuslav Martinů zieht als kulturpolitisches Argument. Besonders für Tschechien ist er ein Aushängeschild. So warb die tschechische EU-Ratspräsidentschaft 2009 mit Martinů für ihr Land. Was Cellist Tomáš Jamník gut verstehen kann:

„Es ist ein Vorteil für uns Tschechen, dass wir einen Komponisten haben, der sich in der Weltspitze einreiht.“