Bretislav I.
Im heutigen Kapitel aus der tschechischen Geschichte führen Sie Menno von Riesen und Katrin Bock in das frühe Mittelalter, genauer gesagt in das 11. Jahrhundert, als in Böhmen ein gewisser Fürst Bretislav regierte.
Cosmas, der erste böhmische Chronist, der im frühen 12. Jahrhundert seine Geschichte Böhmens verfasste, war begeistert von Bretislav und schilderte ihn als romantischen Helden. Aber nicht nur sein Privatleben ist faszinierend, auch als böhmischer Herrscher schlug sich Bretislav recht gut. Ende des 18. Jahrhundert diente die Liebesgeschichte zwischen Bretislav und Judith als Vorlage für das erste tschechische historische Theaterstück und auch Bedrich Smetana widmete Bretislav in seiner Oper Libuse eine Passage.
Seit dem 10. Jahrhundert herrschte das Geschlecht der Premysliden in Böhmen, das sich in einigen Kämpfen mit anderen führenden Geschlechtern durchgesetzt hatte. Neben Prag, das Sitz der Premysliden war, existierten einige kleinere Burgstädte, in denen so genannte Kastellane für die Anerkennung der Macht der Premysliden sorgten. Immer wieder kam es aber zu Auseinandersetzungen zwischen männlichen Angehörigen der Premysliden um die Nachfolge auf dem Thron. So stritt sich auch Bretislavs Vater Oldrich mit seinen Brüdern um die Macht im Lande, was der Entwicklung Böhmens nicht gerade förderlich war. Der polnische König Boleslav Chraby nutzte den Brüderzwist zu einem Überfall auf Mähren aus, das er eroberte. Immer wieder kam es auch zu Machtproben zwischen den böhmischen Fürsten, den polnischen Königen und den Herrschern im deutschen Reich. Noch war die Staatenbildung in Mitteleuropa nicht abgeschlossen. Jeder wollte mitreden und sein eigenes Herrschaftsgebiet auf Kosten der anderen vergrößern.Auch wenn der Beginn seines Lebens nicht gerade viel versprechend war - als illegitimer Sohn eines Fürsten und einer Bauerntochter - stand das Glück zunächst auf Seiten Bretislavs. Noch bevor er den böhmischen Fürstenthron bestieg, zeigte Bretislav sein Kampfgeschick und eroberte Mähren von den Polen zurück. Dieses blieb von nun an in der Hand der Premysliden. 1034 folgte Bretislav seinem Onkel Jaromir auf dem böhmischen Thron. Die internationale Lage versprach einiges für einen beherzten Herrscher, dem es an Mut und Kampfeslust nicht mangelte. 1039 nutzte Bretislav innerpolnische Machtkämpfe für einen Überfall auf den nördlichen Nachbarn aus. Dabei eroberte er nicht nur Krakau und Posen, sondern stieß mit seinen Männern bis nach Gnesen vor, wo die Gebeine des heiligen Adalbert aufbewahrt wurden.
Der heilige Adalbert, tschechisch Vojtech, war im Jahre 982 zum zweiten Prager Bischof ernannt worden. Während einer Missionsreise wurde er 997 von den heidnischen Preußen getötet. Im Jahre 1000 wurden die Gebeine des Adalbert feierlich in die Kathedrale von Gnesen überführt, wo der böhmische Geistliche heilig gesprochen wurde, Gnesen wurde zum Erzbistum erhöht. 55 Jahre später kam nun der böhmische Fürst Bretislav und stahl die Reliquie. Der Beutezug des Tschechen war erfolgreich: über 100 voll beladene Wagen sollen in Prag eingetroffen sein. Auf einem befanden sich die Gebeine des heiligen Adalbert-Vojtech, die bis heute im Veitsdom aufbewahrt werden.
Die Rechnung Bretislavs ging jedoch nicht ganz auf. Der böhmische Fürst hatte gehofft, dass Prag dank der Gebeine des Heiligen zum Erzbistum erhöht werden würde. Der Papst reagierte jedoch erzürnt auf den Beutezug des Tschechen und wollte ihn mit strengen Kirchenstrafen belegen. Doch auch damals kannte man Bestechung und Korruption. Eine böhmische Delegation, beladen mit einigen aus Polen stammenden Schätzen, machte sich auf den Weg nach Rom und die angedrohte Strafe des Papstes fiel gleich viel milder aus.
Es scheint, dass Bretislav angesichts des Raubzuges doch das schlechte Gewissen gedrückt haben muss. Noch in Gnesen verkündete er die so genannten Bretislaver Dekrete. Diese sind gegen heidnische Traditionen gerichtet und mahnen zur Einhaltung göttlicher Gebote. Vielweiberei, Völlerei, Sonntagsarbeit und die Überhandnahme von Wirtshäusern wurden verurteilt, Strafen für Mord und Ehebruch festgelegt. Diese Bestimmungen von Bretislav aus dem Jahre 1039 stellen die ältesten schriftlichen Gesetze im slawischen Sprachraum dar. Ob sie stets eingehalten wurden, ist eine andere Frage.
Im deutschen Reich regierte inzwischen Heinrich III., dem die zunehmende Macht seines östlichen Nachbarn überhaupt nicht gefiel. 1040 unternahm er deshalb einen Eroberungszug gegen Böhmen - doch Bretislav konnte so leicht nichts überraschen. Der geübte Kriegsherr besiegte zunächst Heinrich und seine Mannen im Böhmerwald und kurz darauf Heinrichs Verbündeten, den Meisener Markgraf Ekkehard im Erzgebirge - für dieses Mal hatte Bretislav die Oberhand behalten, doch sein Rivale Heinrich ließ die Schmach einer Niederlage nicht lange auf sich ruhen.
Bereits im folgenden Jahr 1041 griff Heinrich III. erneut an. Mit der Unterstützung ungarischer Truppen und dank dem Verrat eines Anhängers von Bretislav gelang es dem deutschen Herrscher, Bretislav auf der Prager Burg zu belagern. Dieser musste sich schließlich ergeben. Auf dem folgenden Reichstag in Regensburg sah sich Bretsialv gezwungen, sich mit einem Kniefall Heinrich zu unterwerfen. Bretislav erhielt vom deutschen Herrscher sowohl Böhmen und Mähren als Lehen zurück, sowie das zuvor eroberte Schlesien. Von nun an schienen sich die beiden Herrscher zu verstehen. Bretislav respektierte die Macht des Deutschen und gab seine einige Außenpolitik auf. In den folgenden Jahren kämpfte er auf Seiten Heinrichs III. gegen die Ungarn.
Als 1050 der polnische König Kazimierz Schlesien besetzte, das bisher zum böhmischen Fürstentum gehört hatte, musste Bretislav auf Drängen des deutschen Königs einem Kompromiss zustimmen. Für einen Jahreszins von 500 Mark Silber sollte Schlesien als Lehen bei Polen bleiben - der Zins wurde oftmals nicht gezahlt und Schlesien blieb bis 1335 polnisch, dann kam es nach der Unterzeichnung eines weiteren Kompromiss -Vertrags zwischen dem polnischen und dem böhmischen König wieder zum böhmischen Königreich.
Nach seiner Niederlage gegen Heinrich III. im Jahre 1041 betrieb Bretislav keine eigenständige Außenpolitik mehr - umso mehr widmete er sich der Innenpolitik. Er sorgte für den Ausbau einer funktionierten Landesverwaltung, stärkte im Lande die Macht und das Ansehen der Premysliden und ordnete das Münzwesen durch die Einführung der Prager Mark. Diese blieb immerhin bis ins 17. Jahrhundert gültig. Ende 1054 zog Bretislav mit seinen Soldaten nach Mähren, um sich erneut an einem Kriegszug gegen die Ungarn zu beteiligen. In der Burg Chrudim erkrankte der Herrscher jedoch. Kurz vor seinem Tode führte Bretislav eine für Böhmen folgenschwere Entscheidung durch: Bretislav bestimmte, das von nun an stets der jeweils Älteste des Geschlechts der Premysliden die Herrschaft übernehmen sollte und nicht der älteste Sohn des Herrschers. Die Einführung des so genannten Seniorats hat später zu zahlreichen Konflikten im böhmischen Herrscherhaus der Premysliden geführt.
Bretislav selbst bestimmte seinen ältesten Sohn Spytihnev zu seinem Nachfolger, drei Söhne sollten mährische Teilfürstentümer übernehmen, der jüngste eine kirchliche Karriere anstreben. Der zweitälteste Sohn, Vratislav, kam von den fünf Söhnen des Bretislav zu größten Ruhm und Ansehen. 1085 wurde er zum ersten böhmischen König gekrönt. Noch war diese Ehre an seine Person gebunden. Erst sein Enkel Vladislav II. erhielt im Jahre 1158 von Friedrich Barbarossa die erbliche Königswürde.
Sollten Sie das nächste Mal den Prager Veitsdom besuchen und vor den Reliquien des heiligen Adalbert- Vojtech in der Johann von Nepomuk- Seitenkapelle stehen, dann wissen Sie nun, wie diese aus dem polnischen Gnesen auf die Prager Burg gekommen sind. Zwei Seitenkapellen weiter befindet sich die letzte Ruhestätte von Bretislav I., der vor 950 Jahren, am 10. Januar 1055, starb.