„Brutales Land“ – ehemaliger Fernsehkorrespondent zieht Bilanz über seine Zeit in China

Dokumentarfilm „Nebe“

Tomáš Etzler ist der einzige tschechische Journalist, der bisher mit dem US-amerikanischen TV-Preis Emmy geehrt wurde. Er arbeitete und arbeitet nach einer Pause auch wieder für den TV-Sender CNN. Etzler berichtete als Kriegsreporter aus dem Irak und aus Afghanistan. Als Berichterstatter des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens war er unter anderem in China. Dort drehte er einen Dokumentarfilm, der seit Juli in den Kinos hierzulande gezeigt wird. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks hat Tomáš Etzler vor kurzem über seine Erfahrungen mit dem kommunistischen Regime in China erzählt und auch über seinen Film.

Tomáš Etzler | Foto: Elena Horálková,  Tschechischer Rundfunk

Tomáš Etzler hat sieben Jahre lang als Fernsehreporter in China verbracht. Vor einigen Jahren drehte er dort einen Dokumentarfilm. Dessen Thema sollte ursprünglich nur ein Heim für Kinder mit Behinderung sein. Mit der Zeit ist daraus jedoch eine Doku darüber geworden, wie das Leben in China aussieht. Auf Tschechisch heißt der Streifen „Nebe“ – „Der Himmel“. Dies hat mehrere Gründe: Alle Kinder im Waisenhaus tragen den Familiennamen Tian – also chinesisch der „Himmel“. Zudem ist der Himmel in China nur selten zu sehen, denn wie im Film gezeigt wird, ist alles ständig in Smog gehüllt.

„China ist wirklich ein brutales Land. Es ist ein rücksichtsloses Land. Mich hat daher interessiert, wie sich der Staat um seine verletzlichsten Bürger kümmert.“

Dokumentarfilm „Nebe“ | Foto: Pilot Film

Das sagt der Reporter in seinem Film. Dieser bietet eine Aussage des Journalisten über seine Beziehung zu China. Sie hat sich von einer Begeisterung zu Anfang über die Architektur, Küche und Dynamik des Lebens bis zur Entrüstung darüber entwickelt, wie grausam und unbarmherzig das Land ist. In China sind Menschen mit Behinderung, wie der Film zeigt, ein Tabu-Thema. Der Staat verhält sich ihnen gegenüber brutal. In den staatlichen Anstalten sterben massenweise behinderte Kinder. Das Heim, das Etzler beschreibt, wird von katholischen Ordensschwestern geleitet. Die Behinderten bleiben meist auch im Erwachsenenalter dort. In diesem Heim entdeckte der Reporter seinen Worten zufolge etwas, das er nirgendwo in China zuvor erlebt hatte: dass sich die Menschen umeinander kümmern, sich gegenseitig unterstützen. Die Oase der Menschlichkeit steht im Film im Widerspruch zu einigen erschütternden Alltagsbildern. Diese zeigen beispielsweise eine Frau, die auf einem Zebrastreifen hinfällt. Da aber alle an ihr vorbeihasten und ihr niemand aufzustehen hilft, wird sie letztlich von einem Auto überfahren…

Dokumentarfilm „Nebe“ | Foto:  Pilot Film

Tomáš Etzler hat anlässlich der Premiere des Dokumentarfilms im Tschechischen Rundfunk seine Erfahrungen aus China geschildert. Seinen Worten nach dürfte seine Doku auch für das Regime in Peking nicht unbemerkt bleiben.

„Sie werden sich den Film früher oder später anschauen, um zu wissen, worum es geht. Denn China kontrolliert sehr genau, was über das Land hierzulande gesagt und geschrieben wird. Als ich für das Tschechische Fernsehen gearbeitet habe, erfuhr ich, dass auf der chinesischen Botschaft 24 Stunden lang alles aufgezeichnet wird, was unser Nachrichtensender ,ČT 24‘ sendet.“

Westliche Journalisten im Visier der Polizei

Der Reporter war bis 2017 in China tätig. Mehrfach wurde er in dieser Zeit verhört, wie er auch in seinem Film beschreibt. Mittlerweile zweifelt Etzler daran, dass er irgendwann noch einmal von den Chinesen ein Visum bekommen könnte.

Dokumentarfilm „Nebe“ | Foto: Pilot Film

„Auch wenn ich das Visum bekommen würde, was unwahrscheinlich ist, würde ich nicht hinfahren. In China wurde ein neues Sicherheitsgesetz erlassen, das in Hongkong angewendet wird. Kaum bekannt ist, dass es sich auf alle, auch auf Ausländer bezieht. Egal aus welchem Land man kommt, kann man für kritische Worte an die Adresse der kommunistischen Partei während einer China-Reise verhaftet werden. Dies betrifft ebenso Reporter aus dem Westen. Zwei Journalisten mussten bereits flüchten. Ein Australier fand in der Botschaft seines Landes Zuflucht. Er sollte wegen seiner Reportagen aus Xinjiang über die Uiguren verhaftet werden. Das australische Außenministerium handelte dann mit den Chinesen aus, dass der Journalist aus China ausreisen durfte. Vor kurzem gelang es einem Mann, der für die BBC arbeitete, nach Taiwan zu fliehen. Die Lage in China hat sich deutlich verschlechtert.“

An seinem Film über abgeschobene chinesische Kinder, um die sich die Ordensschwestern in einem Heim kümmern, hat Etzler acht Jahre lang gearbeitet.

Dokumentarfilm „Nebe“ | Foto:  Pilot Film

„Von Anfang an gab es viele Probleme mit den Dreharbeiten. Ich bekam den Eindruck, dass der Film irgendwie verflucht ist. Aber das Thema ist stark. Obwohl ich schon viel erlebt habe, haben mir diese Geschichte und die Tatsache, dass sie in China spielt, den Atem geraubt. Das Heim haben wir erst im letzten Jahr meines Aufenthalts in China entdeckt. Nach all den negativen Erfahrungen, die ich gemacht habe, kam auf einmal ein Erlebnis, das sehr positiv war.“

Insel der Empathie: Waisenhaus geleitet von Ordensschwestern

Der Film erzähle jedoch zwei Geschichten, merkt Etzler an: die des Waisenhauses und seine eigene davon, wie er China erlebt habe.

Dokumentarfilm „Nebe“ | Foto:  Pilot Film

„Meine Beziehung hat sich von anfänglicher Begeisterung über Enttäuschung bis zu Verzweiflung gewandelt. Im Film geht es um die Werte, um einen Kontrast zwischen den Werten der kommunistischen Partei und den christlichen Werten. Ich habe China als eines der brutalsten und rücksichtslosesten Länder kennen gelernt. Dort kümmern sich alle nur um sich selbst, und außerhalb des Familienkreises gibt es keine Empathie, keine Liebe, kein Mitleid. Auf einmal aber kam ich an einen Ort, an dem es jede Menge Empathie gab. Ich sah, dass die Menschen in diesem Heim glücklich sind, auch wenn sie gar nichts haben.“

Die Kinder im Waisenhaus wachsen dem Reporter zufolge in einer Welt mit völlig anderen Werten auf als Kinder in den staatlichen Kindergärten, in denen alles auf der kommunistischen Ideologie beruht. Die Ordensschwestern würden sich dort für die Kinder aufopfern, so Etzler. Aufopferung sei aber ansonsten kein Thema in China.

Dokumentarfilm „Nebe“ | Foto: Pilot Film

„China wird aus diesen Werten keine Lehre ziehen, denn die Kommunisten sind unbelehrbar. Aber wir Zuschauer können uns davon inspirieren lassen.“

Etzler fügt hinzu, dass vor kurzem das Heim doch ins Visier der chinesischen Behörden geraten ist. Es sei zu dramatischen Änderungen gekommen, da das Waisenhaus plötzlich populär geworden sei.

„Denn die kommunistische Partei Chinas hat Angst vor jeder Organisation, die populärer ist als sie, selbst wenn diese Organisation ziemlich klein ist. Bereits 2012, als Xi Jinping die Macht ergriff, ist er sehr hart gegen die Untergrundkirche vorgegangen. Viele Kirchenbauten wurden abgerissen, die Priester wurden mit vielen Jahren Gefängnis bestraft.“

Dokumentarfilm „Nebe“ | Foto:  Pilot Film

Die Lage der Menschenrechte hat sich laut Etzler in der letzten Zeit in China rasant verschlechtert. Es sei zu erkennen, dass die Menschen Angst hätten, betont er.

„Ich habe mich schon damals über die Probleme mit den Behörden beschwert, als ich von 2007 bis 2014 in China gearbeitet habe. Mittlerweile ist dort aber jegliche sinnvolle journalistische Arbeit praktisch unmöglich. Die Menschen haben Angst, Fragen zu beantworten. Wissenschaftler, die mit ausländischen Medien sprechen, werden in China bestraft. Vor kurzem wurde in Hongkong eine Frau verhaftet. Der Grund war, dass sie in ausländischen Medien über sensible Themen gesprochen hatte. Als eines dieser sensiblen Themen gilt beispielsweise die Pressefreiheit. In China wurden nicht nur Dissidenten, sondern auch ihre Anwälte verhaftet.“

Begriff „Demokratie“ in China unbekannt

Foto:  Pilot Film

Der Journalist erzählt im Rundfunkgespräch, was ihm einst einer seiner chinesischen Freunde gesagt habe:

„Dieser Jurist sagte mir einmal, China sei eine Gesellschaft von Sklaven und Sklavenbesitzern. Dies wurde nicht von den Kommunisten eingeführt, sie haben das System nur vervollkommnet. Jahrtausende lang gab es dort Herrscher und Leibeigene. Ich bin selbst viel durch China gereist. Vor allem auf dem Lande wollen die Menschen keine Demokratie, denn sie kennen den Begriff gar nicht. Aber sie wollen Gerechtigkeit. Und das kann auch irgendwann einmal explodieren.“

Die Beziehungen des Westens zu China haben sich laut Etzler in letzter Zeit durchaus geändert. Dazu trug seinen Worten nach die Corona-Pandemie bei sowie die Art, wie China Hongkong zugrunde mache.

„Ich denke, dass viele zuvor naive westliche Politiker ernüchtert sind und erkannt haben, was für ein Staat das ist. Ich glaube, dass sich ihre Haltung zu China komplett ändern wird.“

Autoren: Martina Schneibergová , Barbora Tachecí
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