Bücherfahrten über die tschechisch-slowakische Grenze

Slowakisches Buch von Dominik Tatarka

Fünf volle Lieferwagen mit tschechischen Büchern machen sich jede Woche auf den Weg zur slowakischen Grenze. Auch zehn Jahre nach dem Zerfall des gemeinsamen Staates sind sie in der Slowakei gefragt. Das scheint logisch und selbstverständlich: Tschechen und Slowaken verbinden eine ähnliche Sprache, eine langjährige gemeinsame Kulturtradition, häufige Kontakte. Doch etwas stimmt da nicht: auf der anderen Seite sieht die Lage völlig anders aus. Die Tschechen lesen keine Bücher auf Slowakisch. Markéta Maurová erörtert diese Erscheinung in einer weiteren Folge unserer Serie zum 10. Jahrestag der Teilung der Tschechoslowakei.

Versuchen Sie einen Tschechen zu bitten, einige slowakische Schriftsteller der Gegenwart zu nennen. Kaum werden sie eine Antwort bekommen, und zwar nicht einmal von literarisch interessierten Leuten. Die slowakische Literatur existiert hierzulande nicht. Dass die tschechische Literatur in der Slowakei besser dran ist, bestätigte mir Tomas Weiss, der sich mit der Ausfuhr tschechischer Bücher ins Nachbarland beschäftigt:

"Die Ausfuhr von tschechischen Büchern in die Slowakei geht tiefer in die Vergangenheit, in die Zeit vor dem Zerfall der Föderation zurück. Die slowakische Firma Artforum, für die ich arbeite, begann damit gleich in dem Augenblick, als man hier anfing, gute Bücher herauszugeben, d.h. Anfang 1990. Man lud die Bücher damals in alte schäbige Skodas und brachte sie in slowakische Buchläden."

Nicht immer verkehrten jedoch die Bücher über die tschechisch-slowakische Grenze nur in eine Richtung. Zu totalitären Zeiten galt nämlich, als Folge der undurchsichtigen und kaum verständlichen kommunistischen Kulturpolitik, dass bedeutende Werke der Weltliteratur ins Slowakische, aber nicht ins Tschechische übersetzt wurden. Wollte sich der Leser etwa mit Styrons "Sophies Entscheidung", Vonneguts "Galapagos" oder Pasternaks "Doktor Schiwago" bekannt machen, griff er gerne nach der slowakischen Übersetzung. Heute gilt dies nicht mehr, und zwar nicht einmal bei einem solchen Bestseller wie "Harry Potter". Seit dem dritten Band sind die Slowaken beim Übersetzen schneller. Als man jedoch versuchte, ein paar Teile des vierten Bandes "Harry Potter und der Feuerkelch" auf Slowakisch in Tschechien anzubieten, wo das Buch erst zwei Monate später erscheinen sollte, fand sich kaum ein gespannter Leser, der es gekauft hätte.

"Ich glaube, dass das Problem wirklich in der Sprache beruht. Als die jeweils andere Sprache für beide Republiken immer fremder wurde, bewahrten sich die Slowaken, wohl als die zahlenmäßig kleinere Nation, bessere Ohren für das Tschechische. Man hört dort viel tschechisches Fernsehen, es ist kein Problem, tschechische Zeitungen zu kaufen, aber umgekehrt, entsteht bei uns wirklich schon ein Generationsproblem: Wenn ein Slowake einen jungen Tschechen anspricht, versteht der Tscheche nicht und sucht jemanden, der ihm helfen könnte."

Doch Tomas Weiss sieht auch andere Ursachen für die unerfreuliche Apathie im tschechischen Teil des ehemals gemeinsamen Staates:

"Leider ist zweifelsohne einer der Gründe, dass man auf der tschechischen Seite die Nase gewissermaßen hoch trägt - aus verschiedenen historischen Ursachen oder auch auf Grund dessen, wie sich die politische Lage in der Slowakei nach der Trennung entwickelte. Dies betrifft natürlich nicht die Akteure verschiedener Kulturveranstaltungen: Diese können sich immer irgendwie verständigen und die Beziehungen in diesem Bereich bewegen sich auf einem sehr guten Niveau. Aber in der Bevölkerung ist die Lage ein bisschen anders. Ich glaube, dass die Tschechen die Slowakei gewissermaßen als eine - in Anführungszeichen - "Bananenrepublik" betrachten. Das wird sich nun wohl verbessern, hoffe ich."