Teilung der Tschechoslowakei: 15 Jahre danach
Am 1. Januar war es genau 15 Jahre her, seit die zwei neuen selbständigen Staaten in Mitteleuropa - die Tschechischen Republik und die Slowakische Republik - gegründet wurden. Nach 74 Jahren ihrer Koexistenz in einem gemeinsamen Staat – der Tschechoslowakei. Für viele Tschechen und Slowaken war es ein Anlass, sich mehr denn je die damaligen Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen.
Die neue Staatsgestaltung galt hierzulande nach der gesellschaftlichen Wende in 1989 als ein Dauerthema. Nach den Parlamentswahlen im Sommer 1992 kam allerdings das Geschehen in der Politszene der damaligen tschechoslowakischen Föderation buchstäblich ins Rollen. Die politische Repräsentanz beider Teilrepubliken mit den Regierungschefs Václav Klaus und Vladimír Mečiar suchte den Ausweg aus der entstandenen Situation und beschloss eine schnelle Lösung: die Teilung des Staates. Viele waren jedoch dagegen, unter ihnen auch der ehemalige tschechoslowakische Präsident Václav Havel. Wie sieht er heute das historische Ereignis?
„Ich habe damals die Position vertreten, dass über eine derart prinzipielle Angelegenheit in einem Referendum entschieden werden sollte. Es fand aber kein Referendum statt und ich wollte nicht der Entwicklung im Wege stehen. Gleichzeitig konnte ich nicht dem Gelöbnis, das ich als Präsident eines integralen Staates abgelegt hatte, untreu werden, indem ich Gesetze unterzeichnet hätte, die diesen Staat trennten. Daher trat ich damals zurück. Die Teilung war allerdings ein ziemlich traumatisches Erlebnis auf der tschechischen und gewissermaßen auch auf der slowakischen Seite. Nichtsdestotrotz war jedoch der Schmerz ziemlich bald vorüber. Jetzt sind unsere gegenseitigen Beziehungen, glaube ich, sehr gut. Etwas nachgelassen hat die frühere kulturelle Verknüpfung. Man bekommt zum Beispiel auch die Sprache des jeweils Anderen weniger zu hören und kann sein, dass man auch gegenseitig weniger über das Kulturleben informiert ist. Das Trauma von früher ist aber vorbei und der europäische Integrationsprozess führt uns wieder zusammen.“
Der Slowake Michal Kováč bekleidete zum Zeitpunkt der Trennung der Tschechosslowakei das Amt des Vorsitzenden des tschechoslowakischen Parlaments. Am 16. Februar 1993 wurde er zum ersten slowakischen Staatspräsidenten gewählt. Wie hat er die Teilung des Staates erlebt?„Außer Glück und Freude darüber, dasss eine friedliche Übereinkunf über die Teilung der Föderation und und die Gründung der beiden selbständigen Staaten mit den tschechischen Partnern erreicht wurde, habe ich auch große Verantwortung verspürt und mir viele Fragen gestellt, wie es weiter gehen wird und ob wir in der Lage sein werden, unseren selbständigen Staat weiter auszubauen. Die dominanten Gefühle waren aber Freude und Zufriedenheit.“
Eigenen Worten zufolge war sich Michal Kováč dessen bewusst, dass die slowakische Gesellschaft zweigeteilt sei:
„Einen Teil bildeten die Politiker und Bürger, die sich über die Gründung des selbständigen Staates freuten. Der andere Teil waren Menschen, die sich ebenfalls für gute slowakische Patrioten hielten, die Slowakei aber nicht als reif genug für eine selbständige Existenz empfanden und sich daher für die Erhaltung des gemeinsamen Staaes mit den Tschechen einsetzten. Unser wichtigstes Ziel war also, die Spaltung der Gesellschaft in zwei Lager zu überwinden.“
Die Slowakei hat in den zurückliegenden 15 Jahren vieles geschafft und erreicht. Die Wachstumsrate der slowakischen Wirtschaft zum Beispiel ist seit einigen Jahren wesentlich höher als die der Tschechischen Republik. In absehbarer Zeit will die Slowakei auch der Eurozone beitreten, Tschechien hingegen verschiebt den Termin der Euroeinführung immer noch in die nicht konkrete Zukunft. Gleichzeitig sei aber auch gesagt, dass die Löhne und Gehälter in Tschechien immer noch höher liegen als die in der Slowakei. Ähnlich besser schneidet die tschechische Krone ab im Verhältnis zu dem Euro als ihre slowakische Schwester. Von den Beispielen mit Plus- und Minus-Zeichen auf beiden Seiten, an denen beide Länder immer noch gemessen und verglichen werden, gibt es natürlich viel mehr.15 Jahre nach der Teilung der Tschechoslowakei hat sich die mit ihr verbundene Stimmung längst beruhigt. Die Meinungsumfragen zeugen davon, dass sich auch die Einstellung der Bürger gewandelt hat. Während in 1993 nur ein Viertel der Tschechen mit der Trennung einverstanden war, stieg ihre Zahl im vergangenen Jahr auf 56 Prozent. Wie eine im März 1993 in der Slowakei durchgeführte Meinungsumfrage ergab, hat sich nur knapp ein Drittel der Befragten für einen selbständigen Staat ausgesprochen. Doch auch in der Slowakei hat die Zahl der Teilungsbefürworter zugenommen. Im November vergangenen Jahres veröffentlichte die slowakische Tageszeitung SME folgende Ergebnisse einer Meinungsumfrage:
„Über die Erneuerung des ehemaligen tschechoslowakischen Staates würden sich 42 Prozent der Slowaken freuen. 41 Prozent stehen für die selbständige Slowakei.“Nach Meinung von Soziologen ist allerdings die positive Einstellung zur ehemaligen tschechisch-slowakischen Föderation nur als Nostalgie und nicht als Ausdruck aktiver Bemühungen um deren Wiederherstellung zu deuten. Nach der Teilung des tschechoslowakischen Staates mussten sich viele Tschechen und Slowaken die Frage stellen, in welcher der neuen Republiken sie leben wollen. Es war auch die Frage ihrer Staatsbürgerschaft. Einer der zahlreichen Slowaken, die sich in Tschechien niedergelassen haben, war der Fotograf Rudo Prekop. Er selbst hält sich für einen „Lokalpatrioten“ und bezieht diese Bezeichnung sowohl auf Prag, als auch auf seine ostslowakische Geburtsstadt Košice. An den tschechoslowakischen Staat erinnert er sich so:
„Das Modell der tschechisch-slowakischen Koexistenz fand ich interessant als eine Kombination der tschechischen Rationalität und der slowakischen Emotionalität. Oder auch als eine Kombination des tschechischen Intelekts und der slowakischen Vitalität, die sich in ihren extremen Erscheinungen gegenseitig korrigiert haben und in ihren harmonischen Erscheinungen hingegen sich zu einer neuen Qualität ergänzt haben. Ich stand natürlich für einen gemeinsamen Staat.“
Mit Anspielung an die beiden Spitzenpolitiker, die das Dokument über die Trennung des tschechoslowakischen Staates unterzeichnet haben, kommentiert Rudo Prekop den Teilungsvorgang lapidar: Die zwei Operationschefs hätten den Patienten zu früh von den Geräten abgeschaltet.
Etwas schwieriger wird es im gegenseitigen Sprachverständnis. Während slowakische Kinder immer noch mittels tschechischer Märchen- und Jugendfilme, die nicht ins Slowakische synchronisiert wurden, relativ oft Tschechisch zu hören bekommen, funktioniert es umgekehrt nicht mehr so. Tschechische Kinder nur selten die Gelegenheit, Slowakisch zu hören. Daher wundert es auch nicht, wenn Kinder in einem Kindergarten in Bratislava tschechisch rezitieren:
… oder wenn man in einer Prager Schule zehnjährige Schüler fragt, ob sie etwas aus dem Slowakischen verstehen:
Das heißt: „Nein, eher nicht, fast nichts.“ Nicht erfreulich, für die junge Generation ist es aber trotzdem offenbar kein Problem - wie auch die Teilung der Tschechoslowakei vor 15 Jahren.