Bürgerliche Regierung mit sozialdemokratischer Tolerierung?
Mehr als zwei Wochen nach den Parlamentswahlen in Tschechien bahnt sich immer stärker eine Lösung für die aktuelle Pattsituation an. Das Land könnte künftig von einem bürgerlichen Minderheitskabinett regiert werden, das von den Sozialdemokraten am Leben erhalten würde. Das wäre also ein Modell, das es in Tschechien schon einmal, und zwar vor genau zehn Jahren, gab. Über die Erfolgsaussichten einer solchen politischen Konstellation und den möglichen Preis, den die bürgerlichen Regierungsparteien dafür bezahlen müssten, erfahren Sie mehr im folgenden Schauplatz, den Robert Schuster gestaltet hat.
Die jetzige Situation erinnert somit in Vielem an die Lage nach den Wahlen im Jahr 1996. Auch damals hatten die bürgerlichen Parteien, die regieren wollten, keine eigene Mehrheit und mussten mit den Sozialdemokraten als stärkster Oppositionspartei ein Arrangement treffen. Der damalige Vorsitzende der Sozialdemokraten, Milos Zeman, wurde zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses gewählt, und seine Partei gewährte als Gegenleistung ihre Unterstützung bei der Vertrauensabstimmung. Doch bereits ein Jahr später verweigerten die Sozialdemokraten ihre Zustimmung zum Haushaltsgesetz. Dass die Regierung damals trotzdem das Budget durchdrücken konnte, war dem Umstand zu verdanken, dass zwei sozialdemokratische Abgeordnete gegen die Parteilinie stimmten. Die Regierung hatte aber dennoch kein langes Bestehen und ein Jahr später brach sie auf Grund der wachsenden Spannungen zwischen den Koalitionspartnern, wie auch innerhalb der ODS wegen eines Spendenskandals auseinander. Die Folge waren vorgezogene Neuwahlen, die den Sozialdemokraten erstmals nach der Wende den Sieg brachten.
Droht also nun der Tschechischen Republik für den Fall, dass der angepeilten Minderheitsregierung des Bürgerdemokraten Mirek Topolanek doch das Vertrauen ausgesprochen wird, ein ähnliches Szenario? Wären angesichts der Patt-Stellung im Parlament zwischen der Linken und der Rechten vorgezogene Wahlen nicht auch gegenüber den Wählern die ehrlichere Lösung? Das fragten wir den Prager Politikwissenschaftler Zdenek Zboril vom Institut für internationale Beziehungen:"Ich denke, das wäre erst die letzte Variante. Ich denke, dass Präsident, Parlament und auch der designierte Premierminister alle Möglichkeiten zur Regierungsbildung nutzen sollten, die ihnen die Verfassung ermöglicht. Im Idealfall wären das 90 Tage, an denen die politischen Akteure versuchen können, die komplizierte Situation zu lösen. Auch wenn sich das bis zu einem halben Jahr hinziehen könnte, wird es letzten Endes der Demokratie nutzen, wenn alle von der Verfassung vorgesehen Möglichkeiten auch tatsächlich ausgeschöpft werden. Natürlich müssen die Bestrebungen nicht von allen Seiten unterstützt werden - so könnte es durchaus von Seiten des scheidenden Regierungschefs, wie auch des Parlamentspräsidenten zu Obstruktionen kommen, aber in diesen 90 Tage sollten die Politiker schon versuchen, einen Konsens zu finden, den sie früher oder später so oder so erreichen müssen. Die Verfassung ist in dieser Hinsicht wirklich gut konzipiert, denn sie ermöglicht es, dass die ursprünglich vielleicht heißen Köpfe auch wieder abkühlen, die verantwortlichen Politiker sich an einen Tisch setzen und öffentlich erklären, dass eine Einigung eben nicht möglich ist. Aber erst nach diesen drei Monaten ist es in meinen Augen legitim über vorgezogene Neuwahlen zu sprechen, wie auch über die Bildung einer Übergangsregierung, die das Land zu Neuwahlen führen könnte."
Die vergangenen Tage und Wochen haben gezeigt, dass es während der laufenden politischen Verhandlungen auch um viel persönliches Prestige geht. Der bisherige sozialdemokratische Premier Jiri Paroubek kann sich angesichts der selbstbewussten Art, wie er im Wahlkampf auftrat, jetzt nach den Wahlen wohl kaum erlauben, klein beizugeben und die Tolerierung einer bürgerlichen Regierung billig zu gewähren. Es wird offenkundig, dass die Sozialdemokraten zumindest auf indirekte Weise die Verwirklichung von zentralen Projekten und Vorhaben der Bürgerdemokraten, wie etwa die Einführung der Flat-Tax, verhindern wollen. Welchen Preis für seine Regierung kann sich Topolanek erlauben zu zahlen, wenn er nicht vollkommen das Gesicht verlieren will? Zdenek Zboril:
"Ich glaube eben, dass Herr Topolanek sich auf einem sehr engen Feld bewegt, das er sich jedoch selber so gesteckt hat. Er hat sich in der konfrontativ geführten Kampagne sehr stark gegenüber den Sozialdemokraten abgegrenzt und hat jetzt keine großen Rückzugsmöglichkeiten. Jene sieben Punkte, die als Voraussetzung für die Bildung einer neuen Regierung formuliert wurden, sind relativ banal, oder allgemein bekannt. Dazu gehören die Evergreens der tschechischen Politik, wie die Forderung nach einer Senkung der Steuern, oder eine Rentenreform. Es fehlt aber ein Vorschlag, wie man das alles erreichen will. Ich würde sogar sagen, dass Herr Topolanek überhaupt keinen Raum hat, in dem er manövrieren könnte. Sollte er scheitern, wird er wohl den Auftrag zur Regierungsbildung jemandem anderen überlassen müssen. Das wäre dann wahrscheinlich wieder jemand von der ODS, der jedoch auf Grund der veränderten Ausgangslage eine Einigung erzielen könnte. Höchstwahrscheinlich wäre das ein Politiker, der eine realistischere Sichtweise an den Tag legen würde, vielleicht jemand, der jetzt auf der Ebene der Regional- oder Kommunalpolitik aktiv ist." Der Ausgang der Wahlen und insbesondere die Art und Weise, wie die Stimmen auf die Mandate verteilt wurden, hat wieder einmal die Frage nach eine Änderung des Wahlmodus in den Mittelpunkt gerückt. Zwar ist die Verhältniswahl für das Abgeordnetenhaus in der Verfassung verankert, womit die Änderung auf ein reines Mehrheitswahlrecht als äußerst unwahrscheinlich gilt. Dennoch zeigte das bisherige Umrechungsverfahren nach d´Hondt, dass die Mandate vor allem in kleinen Wahlkreisen letzten Endes nicht immer proportional vergeben wurden. Ist also eine Änderung in diesem Bereich absehbar? Wäre das ein Weg, wie man künftig klare Mehrheiten im Parlament sicherstellen könnte? Könnte das der tschechischen Politik mittelfristig helfen? Das war unsere abschließende Frage an den Politikwissenschaftler Zdenek Zboril vom Institut für internationale Beziehungen in Prag:"Ich bin eben davon überzeugt, dass die d´Hondt-Methode der beste Weg ist, wie sich die Zahl der kleinen Parteien reduzieren ließe, um zu einem System von drei bis vier Parteien zu gelangen. Natürlich sollte diskutiert werden, ob ein anderes System im tschechischen politischen Kontext nicht besser wäre. Diese Tendenz zur Herausbildung von zwei großen Parteien wird nämlich in Zukunft noch zu einem weiteren Effekt führen - nämlich, dass die erfolglosen Mitglieder der kleinen Parteien den großen und erfolgreicheren beitreten werden. Innerhalb dieser größer gewordenen Parteien werden sich Fraktionen herausbilden, was im Endeffekt dazu führen wird, dass die Positionen der großen Parteien verschwommener werden. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die zum Teil sehr unterschiedlichen Wahlergebnisse in den 14 Regionen auch durch die oft spezifische Zusammensetzung der dortigen Wählerschaft wie auch die unterschiedliche Größe der Wahlkreise, begünstigt wurden. Eine qualifizierte Debatte über den Umrechnungsmodus ist wichtig, und theoretisch ist eine Einigung der Parteien auch möglich. Die Sozialdemokraten könnten zum Beispiel so etwas sofort mit den Bürgerdemokraten beschließen, weil sie zusammen eine Satte Mehrheit im Parlament hätten. Ich denke aber, dass diese Debatte auf einer breiteren Basis geführt werden sollte, und zwar auch unter Einbeziehung von Experten und nicht nur von Politikern, die sich durch die bisherige Form ungerecht behandelt fühlten. Man sollte auch Politiker einladen, welche die charakteristischen Tendenzen und Linien in der tschechischen Politik widerspiegeln."