Bundestagsabgeordneter Müller-Rosentritt: „Kampf gegen Antisemitismus muss hellwach geführt werden“

Politiker, Parlamentarier und Vertreter von jüdischen Organisationen aus ganz Europa trafen in diesen Tagen in Prag zusammen, um über den Kampf gegen den Antisemitismus zu diskutieren. An der Veranstaltung nimmt auch der Bundestagsabgeordnete Frank Müller-Rosentritt (FDP) teil. Zu Beginn der Konferenz sprach Martina Schneibergová mit dem Parlamentarier aus Chemnitz.

Frank Müller-Rosentritt | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Herr Müller-Rosentritt, Sie sind zu einer internationalen Konferenz nach Prag gekommen, die kurz vor dem Internationalen Holocaust-Gedenktag stattfindet. Halten Sie einen Vortrag, oder nehmen Sie an der Diskussion teil?

„Die Veranstaltung dauert zwei Tage lang: heute (am Montag, Anm. d. Red.) in Prag mit einer Delegation von Politikern aus ganz Europa, sogar mit dem Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments und mit einer Vertreterin der größten jüdischen Gemeinde in Paris. Ich bin als einziger deutscher Parlamentarier dabei. Am Dienstag fahren wir alle gemeinsam nach Theresienstadt, um nach einer ausführlichen Führung den Holocaust-Opfern zu gedenken.“

Das Hauptthema der Konferenz ist der Antisemitismus, der sich in den letzten Jahren in Europa ausgebreitet hat. In Tschechien ist der Judenhass kein so großes Problem wie in einigen anderen Ländern. Wie beurteilen Sie die heutige Lage?

„Ich glaube, der Kampf gegen Antisemitismus muss stets hellwach geführt werden. Denn wir müssen sehr wohl den Antisemitismus bekämpfen, der von rechts kommt. Der ist schrecklich, das ist die brutalste Art und Weise. Aber wir erleben auch einen subtilen Antisemitismus aus der linken Intellektuellen-Ecke. Dazu kommt in Frankreich und zunehmend auch in Deutschland, wo sich Juden sehr bedroht fühlen, der panarabische Antisemitismus aus der muslimischen Gemeinde. Er ist ein echtes Problem. Es gilt, aufmerksam zu sein. Denn das, was vor Jahren geschehen ist, darf sich niemals wiederholen.“

An der Veranstaltung nehmen renommierte Persönlichkeiten teil. Wie können deren Gedanken an die breite Öffentlichkeit vermittelt werden?

„Radio Prag International macht den ersten Schritt, in dem es darüber berichtet. Es wäre wünschenswert, wenn sich mehrere Medien der Berichterstattung anschließen würden.“

Wie kann man gegen den Antisemitismus ankämpfen? Meinen Sie, dass es genügt, was an den Schulen unterrichtet wird? In Tschechien gibt es zudem beispielsweise Treffen mit Zeitzeugen…

„Ich glaube, die Zeitzeugenarbeit ist eine ganz wesentliche. Aber die Zeitzeugen werden nicht ewig unter uns sein. Das heißt, wir müssen als junge Generation neue Zeitzeugen sein, indem wir das, was wir gehört haben, wieder weiter tragen. Ganz wichtig ist, dass alle Menschen, die eine Schule verlassen, egal auf welchem Level – ich kann nur für Deutschland sprechen, aber würde mir das genauso für Tschechien wünschen – mindestens einmal in einem KZ gewesen sind, um zu sehen, wozu Menschen in der Lage sind. Das Unvorstellbare ist geschehen. Theresienstadt liegt in unmittelbarer Nähe zu Prag und ist nicht weit von Dresden entfernt. Da könnte man viel intensiver zusammenarbeiten, was die Besuchskulturen zwischen Dresden und Theresienstadt betrifft.“

Mit wem arbeiten Sie in Tschechien zusammen? Dabei meine ich nicht nur im Bereich des Kampfes gegen Antisemitismus, sondern allgemein…

„Die Kontakte zu Tschechien sind mannigfaltig. Als liberaler Abgeordneter der FDP bestehen sie eher zur liberalen Partei, der Piratenpartei. Der Oberbürgermeister von Prag, Herr Hřib, ist für mich eine ganz tolle Persönlichkeit. Denn wer sonst würde sich beispielsweise in Deutschland getrauen, die Partnerstadt Peking gegen Taipei auszutauschen. Das können nur wahrhaftige Liberale machen. Da ziehe ich vor ihm wirklich den Hut – für sein Engagement für Demokratie, für offene Gesellschaften weltweit. Es war für mich eine besondere Ehre und Freude zugleich, dass an dem Tag, als die Grenzen nach Corona wieder geöffnet wurden, meine erste Reise nach Prag dem Oberbürgermeister Hřib galt.“

Frank Müller-Rosentritt | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Haben Sie auch Kontakte zu weiteren tschechischen Politikern?

„Ich hatte jüngst eine gemeinsame Veranstaltung mit dem tschechischen Ex-Außenminister Tomáš Petříček (Sozialdemokraten, Anm. d. Red.), bei der wir über die Rolle Tschechiens in Europa sprachen. Vor wenigen Monaten habe ich auch an einer Diskussion über die Zukunft des Euro in Tschechien teilgenommen. Die Debatte wurde gemeinsam mit dem Generaldirektor der tschechischen Zentralbank veranstaltet. Ich versuche schon, einen engen Austausch aus Berlin nach Prag zu pflegen. Ich lebe in Chemnitz, da pflegt man eine ganz besondere Nähe zu Tschechien. Die Kontakte zwischen Sachsen und Tschechien sind ohnehin sehr eng. Ich glaube, sie könnten noch viel enger sein, als sie heute sind.“