Föderation jüdischer Gemeinden: Zahl antisemitischer Zwischenfälle in Tschechien gestiegen

Im vergangenen Jahr wurden in Tschechien doppelt so viele antisemitische Zwischenfälle wie 2021 verzeichnet. Dies geht aus dem Jahresbericht der Föderation jüdischer Gemeinden hervor, die vor kurzem im Prager Regierungsamt vorgestellt wurde.

Im vergangenen Jahr verzeichnete die tschechische Föderation der jüdischen Gemeinden 2227 antisemitische Zwischenfälle. 2021 waren es 1028. Der Vorsitzende der Föderation, Petr Papoušek, fügte dieser Zahl hinzu:

Petr Papoušek | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Bei insgesamt 97 Prozent der Zwischenfälle handelt es sich um Äußerungen, die im Internet veröffentlicht wurden. Dies waren Artikel, grafische Darstellungen und Hasskommentare. 74 Prozent aller antisemitischen Angriffe spielten sich in den sozialen Netzwerken ab.“

Es wurden hingegen keine physischen Angriffe verzeichnet oder genauer gesagt gemeldet. Hasskommentare und verbale Angriffe, die sich auf Vorurteile stützen, spiegeln Papoušek zufolge immer die gesamte Atmosphäre in der Gesellschaft wider:

„Diese wird von lokalen und globalen geopolitischen Ereignissen sowie von ökonomischen Faktoren mitgeprägt und beeinflusst. Dazu gehören die ausklingende Corona-Pandemie, Russlands Aggression gegen die Ukraine und die Spannungen im Nahen Osten.“

Die antisemitischen Angriffe werden laut Petr Papoušek auch nach verschiedenen ideologischen Grundlagen ausgewertet, von denen sie ausgehen. 35 Prozent der Vorfälle von 2022 hatten seinen Worten zufolge Rechtsextremisten auf dem Gewissen, und 24 Prozent der Angriffe gingen von Desinformationsplattformen aus. Bei mehr als 30 Prozent der Angriffe sei es nicht möglich gewesen, die ideologischen Hintergründe zu bestimmen. Ein rasanter Anstieg antisemitischer Äußerungen wurde zudem bei Anhängern der Desinformationsszene verzeichnet. Petr Papoušek dazu:

„Wir sehen eine Gefahr für die Zukunft in jenen Menschen, die Antisemitismus in den sozialen Netzwerken verbreiten. Zudem besteht das Risiko, dass antisemitische Zwischenfälle auf den Desinformationsplattformen weiter zunehmen. Während des Jahres 2022 stieg deren Zahl um 200 Prozent. Diesen Wert finde ich sehr groß. Er hängt mit Russlands Aggression gegen die Ukraine zusammen. Denn die Mehrheit der Desinformationsplattformen wird von Russland unterstützt oder direkt finanziert.“

Tomáš Pojar | Foto:  Jana Přinosilová,  Tschechischer Rundfunk

Tomáš Pojar ist Sicherheitsberater des tschechischen Premiers, Petr Fiala (Bürgerdemokraten). Er sei davon überzeugt, dass der Antisemitismus hierzulande leider nie ausgerottet worden sei, merkte Pojar bei der Präsentation des Berichtes der Föderation jüdischer Gemeinden an:

„Das Maß an Antisemitismus stellt ein Gesamtbild unserer Gesellschaft dar. Der Antisemitismus ist ein Lakmus-Test, der von bestimmten Trends zeugt, die in Zukunft eine Rolle spielen können. Es stimmt, dass die Tschechische Republik zu den sichersten Ländern Europas gehört. Die Welt ist derzeit jedoch bedeutend unruhiger, als es vor etwa zehn Jahren der Fall war. Nicht weit von unserer Grenze entfernt findet ein Aggressionskrieg statt. Diese Tatsache spiegelt sich auch im Anstieg antisemitischer Zwischenfälle in unserem Land wider. Zum Glück ging es um keine physischen Angriffe. Wir müssen als Gesellschaft die gefährlichen Trends beobachten. Ich hoffe, dass wir aus den gesammelten Daten und Beispielen eine Lehre ziehen werden.“

Jiří Tejkal und Zbyněk Tarant  (mit Brille) | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Jiří Tejkal leitet das Projekt „Mantic“, das sich auf die Bekämpfung von Antisemitismus konzentriert. Er sagte gegenüber Radio Prag International:

„Die Föderation jüdischer Gemeinden beteiligt sich gemeinsam mit dem Prager Jüdischen Museum und der Prager Jüdischen Gemeinde an diesem Projekt. Dabei treffen sich Vertreter verschiedener Institutionen aus Europa und versuchen, eine Methodologie der antisemitischen Zwischenfälle zusammenzustellen. Unser Hauptpartner ist die Organisation Rias (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, Am. d. Red.) Berlin. Die Auswertung der Vorfälle soll dazu beitragen, dass dieselben Regeln zu ihrer Bekämpfung für alle EU-Länder genutzt werden könnten.“