Chiles Bergleute und „Wunderrabbiner“ Havel

Chilenische Bergleute (Foto: ČTK)

Auf allen Titelseiten findet man Fotos und Berichte über die Rettung der verschütteten chilenischen Bergleute. Einen Kommentar dazu bringt die Tageszeitung Lidové noviny aus der Feder von Zbyněk Petráček:

Chilenische Bergleute  (Foto: ČTK)
„Wenn wir vor dem Fernseher oder am Computer sitzen und uns mit den verschütteten Bergleuten identifizieren wollen, identifizieren wir uns am meisten mit ihren Ängsten. Insbesondere wenn wir wissen, dass die Dinge schon fast unter Kontrolle sind. Würden wir aber eine schärfere virtuelle Realität genießen wollen, sollten wir uns mit der Angst der verschütteten Kumpel identifizieren, die bereits für immer ohne Kontakt mit der Welt von oben unter der Erde geblieben sind. Solche Kumpel würde man an verschiedenen Orten der Welt finden, beispielsweise in China.“

Chilenische Bergleute  (Foto: ČTK)
Wir seien Zeugen dessen, welche Bedeutung die westliche Zivilisation dem Wert des Lebens jedes einzelnen Menschen beimisst, so der Kommentator.

„Diese Zivilisation wird heutzutage wirtschaftlich, finanziell sowie technologisch von China überrollt. Worin sie jedoch China überlegen ist, ist eben die Betonung des Wertes jedes einzelnen Menschen. Und dank den chilenischen Kumpeln sieht es die ganze Welt.“



Václav Havel  (Foto: ČTK)
Schreibt Zbyněk Petráček in der Lidové noviny. Auch am Mittwoch haben die Kommentatoren die internationale Debatte „Forum 2000“ begleitet, die Ex-Präsident Václav Havel ins Leben gerufen hat und deren 14. Jahrgang gerade zu Ende gegangen ist. Das Treffen der Intellektuellen aus der ganzen Welt kommentiert Ladislav Tajovský in der Tageszeitung Hospodářské noviny.

„Es war zu erwarten, dass die Prager Debatte, diesmal zum Thema ´Die Welt, in der wir nicht leben wollen´ einen bitteren Ton enthalten wird. Eine Minimaldosis von Zivilisationsskepsis und die Erkenntnis, dass sich das Milieu, in dem wir leben, verschlechtert, gehören zu solchen Ereignissen. Schade, dass sich Menschen, die so tiefe Gedanken haben, mit derart üblichen Klischees begnügen, wie das von der sich verschlechternden Umwelt.“

Viel mehr Verständnis für die Intellektuellendebatte unter Havels Schirmherrschaft zeigte Jiří Peňás in der Tageszeitung Lidové noviny. In seinem Leitartikel mit dem Titel „Rabbiner auf dem Forum“ erinnerte er an die Geschichten jüdischer Schriftsteller über Wunderrabbiner, die durch ihre Weisheit berühmt waren und zu denen fromme Chassidim pilgerten. Das einfache jüdische Volk habe, so Peňás weiter, die Rabbinerweisheit oft nicht verstanden, aber zugleich gewusst, dass es nicht schlecht sein muss, wenn sich jemand mit abstrakten Gedanken befasst:

„Einer der Gedanken konnte vielleicht ja auch mal für das Volk von Nutzen sein. Der Wunderrabbi wird nicht ewig da sein, und wenn er dann im Himmel ist, dann weiß Gott, ob ihn jemand ersetzen wird. Der Rabbi heißt Václav Havel und er lebt im Schtetl Prag.“