Cunek und die Steuerreform - zwei Probleme geben sich die Hand
Die Schlagzeilen in den tschechischen Zeitungen werden seit einiger Zeit durch zwei Themen bestimmt: Das eine ist die Finanzreform der Koalition, das andere ist der Vizepremier und Vorsitzende der Christdemokraten, Jiri Cunek, der wegen abfälliger Äußerungen über Roma und einer Korruptionsanschuldigung in der Kritik steht. Christian Rühmkorf hat einen Blick in die Kommentarspalten der tschechischen Tageszeitungen geworfen:
"Jiri Cunek hat mit all seinen Äußerungen und Taten bewiesen, dass er kein vertrauenswürdiger Politiker ist. Das ist der eigentliche Grund, weshalb er sich aus der Regierung zurückziehen sollte, die er bereits beschädigt hat. Und dabei haben wir eh schon ein Kabinett, das äußerst zerbrechlich ist."
Der Chef der Christdemokraten solle sich aus der Regierung zurückziehen, bis sein Korruptionsfall durch die Polizei aufgeklärt sei. Dann könne er theoretisch zurückkehren, aber das Vertrauen habe er bereits verloren. Das müsse man aber trennen von der Popularität Cuneks, die er auch und vor allem seinem Umgang mit den Roma zu verdanken habe:
"Unterbewusster Rassismus ist leider in der tschechischen Gesellschaft allgegenwärtig und von Bestand. Er betrifft hauptsächlich Roma. Es ist offensichtlich, dass manche Roma seit Jahren die Sozialhilfe missbrauchen, ihre Kinder nicht in die Schule schicken und programmatisch das ignorieren, was zu Verbesserung ihrer Situation beitragen könnte. Aber es ist ebenso offensichtlich, dass auch `Ungebräunte´ sozialen Missbrauch betreiben. Premier Topolanek sollte endlich seinen Mut zusammennehmen und Cunek aus der Regierung werfen. Falls nämlich den Christdemokraten etwas am Kabinett liegt, dann werden sie auch ohne ihn darin bleiben. Und wenn die Christdemokraten ihre unerfreulichen Präferenzen mit Hilfe populistischer Politiker ländlichen Formats noch steigern wollen, dann sollen sie sich ruhig von einer Mitte-Rechts-Partei in eine tschechische Haider-Partei verwandeln. Den Anfang haben sie bereits gemacht. Ein, zwei Mal kann der `Cunkismus´ sogar bei Wahlen funktionieren. Aber dann schickt der Wähler die Christdemokraten definitiv zur Hölle." So weit die Mlada fronta dnes. Die Hospodarske noviny verweisen darauf, dass es dort, wohin Cunek - damals noch als Bürgermeister von Vsetin - die Roma umgesiedelt hat, nämlich nach Vidnava / Weidenau, dass es dort sogar ein "Weißer" schwer habe Arbeit zu finden. Weiter heißt es:"Darüber hinaus ist Cuneks Ratschlag, sich zu bräunen, riskant: Zu stark gebräunten Tschechen könnte es leicht passieren, dass sie in Ostrava / Ostrau nicht mehr in die Restaurants gelassen werden (wie die drei Roma, die vergangene Woche eine Entschuldigung vor Gericht erstritten haben). Und zu stark gebräunten Tschechinnen könnte es passieren, dass der Arzt sie nach einer Entbindung sterilisiert, falls es ihm scheint, dass sie irgendwie schon ziemlich viele Kinder haben (wie Helena Ferencikova, der das nicht zu kommunistischen Husak-Zeiten, sondern im Jahre 2001 passiert ist). Cunek sollte den Leuten etwas empfehlen, was man sich - im Unterschied zur Hautfarbe - wirklich aussuchen kann. Zum Beispiel eine Mitgliedschaft bei den Christdemokraten. In den großen Parteien funktioniert schon ein Selbstreinigungs-Mechanismus. Aber bei den Christdemokraten kann man noch labern, was einem einfällt und dabei, mit einem polizeilichen Ermittlungsverfahren am Hals, in der Regierung sitzen. Die Partei lässt einen nicht fallen."
Die linksliberale Tageszeitung Pravo lenkt den Blick von Jiri Cunek auf die gesamte tschechische Gesellschaft:
"Wie auch immer Vizepremier Cunek endet - ob mit einem Auftrittsverbot für die politische Bühne wegen rassistischer Äußerungen, oder im Gefängnis wegen Korruption oder - im Gegenteil - vielleicht sogar auf der Burg als Megafon für die einfachen, radikalen und beliebten Pseudo-Lösungen komplexer Probleme. Seine Rolle hat er schon erfüllt: Ohne es zu beabsichtigen, zeigt er beinahe umfassend, wie es um die tschechische Gesellschaft und die große Politik bestellt ist."
Vor gut zehn Tagen hat das Mitte-Rechts-Kabinett von Premier Mirek Topolanek ein Reformpaket zur Sanierung der öffentlichen Finanzen einstimmig verabschiedet. Kernstück ist ein einheitlicher Einkommensteuersatz von 15 Prozent. Die Berechnungsgrundlage wurde allerdings verändert. Es gilt der so genannte Super-Bruttolohn, das heißt: Sozial- und Krankenversicherungsbeiträge werden eingerechnet. Ein weiterer Eckpunkt: die Anhebung des unteren Mehrwertsteuersatzes von fünf auf neun Prozent. Vor allem Lebensmittel werden teurer. In einem Durchschnittshaushalt betrifft das ungefähr ein Drittel aller Ausgaben. Bei einer Anhebung der Steuerfreibeträge und einer gleichzeitigen Einschränkung einiger Steuerbefreiungen dürfte nach dem Urteil vieler Ökonomen die Steuerlast für den einzelnen Bürger weiterhin bei 35 Prozent liegen. Unternehmenssteuern werden wiederum von derzeitig 24 Prozent innerhalb der nächsten drei Jahre auf 19 Prozent gesenkt. Wie beurteilen die Kommentatoren der Tageszeitungen die Reform? Die rechtsliberale Lidove noviny beklagt eine Vernachlässigung der Mittelschicht:
"Die gegenwärtige Mitte-Rechts-Regierung hilft mit der Reform wesentlich denjenigen mit den höchsten Einkommen. Die vorherige mitte-links Regierung unterstützte wiederum mit einer Steuersenkung grundsätzlich die unteren Einkommengruppen der Bevölkerung. Sollte das nicht alles anders sein? Eine moderne Rechte und eine moderne Linke müssen sich doch um die Mittelschicht schlagen."
Ein höherer Verdienst bei den mittleren Einkommenschichten sei ein Katalysator für ein höheres Bruttoinlandsprodukt, konstatiert der Kommentator der Lidove Noviny und kommt zu dem Schluss:
"Ob moderne rechte Gesinnung oder moderne linke - immer geht es darum, einer Reform einen Hauch von Pfiff und Ganzheitlichkkeit zu geben. Nie jedoch darum, die Reform durch die Angestellten mit mittleren Einkommen bezahlen zu lassen, ohne sie zu belohnen. Die vorgeschlagenen Änderungen sind keine Reform der öffentlichen Finanzen."
Auch die Wirtschaftszeitung Hospodarske Noviny kommt zu dem Urteil, dass es sich nicht um eine Reform handelt. Sie bewertet jedoch die Auswirkungen der Maßnahmen positiver:"Die Regierung Topolanek tarnt ihre Änderungen im Steuersystem mit dem Spruch, dass jeder durch sie dazu verdient, der arbeitet. Nur die `Schwarzfahrer` würden dabei verlieren. In jedem Land der Welt ist es unpopulär zuzugeben: Wir machen Änderungen zugunsten der Reichen. Man kann das aber auch anders formulieren: Es sind Maßnahmen, die dem Zehntel der Bestverdienenden zugute kommen und die schon heute ein Drittel aller Einnahmen aus der Einkommensteuer erbringen. Dazu zählen Juristen, einige Ärzte und Journalisten, Unternehmer, Banker, Unternehmensberater und Immobilienbesitzer. Jeder von ihnen versorgt durch seine Steuer und Versicherungsbeiträge neben seiner eigenen Familie noch ein paar weitere Menschen."
Der Kommentator der Hospodarske noviny setzt sich für eine Neubewertung der Besserverdienenden innerhalb der Gesellschaft ein und schließt mit einem Seitenbieb auf Vlastimil Tlusty, den ehemaligen von seiner eigenen Partei abgewickelten Finanzminister und jetzigen Reformkritiker:
"Entweder betrachten wir die Reichen als gefährliche Beutemacher, die wir belehren müssen, oder als Kuh, die sich gut melken lässt - aber von all dem sind sie doch am ehesten ein Pferd, das die Wirtschaft anzieht. Wer sonst als eine Mitte-Rechts-Regierung sollte ihnen eine Steuersenkung anbieten? Es wäre eine Ironie des Schicksals, wenn gerade die Rebellen in der Koalition, an deren Spitze der verschmähte Vlasimil Tlusty steht, die Maßnahmen im Parlament scheitern lassen. Es ist ein Kompromiss-Paket, nichts strahlend Reines, deshalb erklang in diesem Kommentar auch nicht das Wort "Reform". Aber dennoch: Es wäre schade drum."