Daheim, im Büro oder am sozialen Rand – Mütter in Tschechien
Mit drei Jahren gehört die Elternzeit in Tschechien zu den längsten weltweit. Für viele Frauen bedeutet das ein einen tiefen Einschnitt im Leben. Meist verlieren sie den Anschluss in der Karriere und oft fehlt ihnen die Anerkennung für den „Job Mutter“. Doch manchmal geht es auch anders.
„Der Anfang war für mich schwer. Dabei habe ich mir keinen Gefallen damit getan, dass ich mir das Ganze als sehr kompliziert vorgestellt habe. Als ich meinen Mutterschaftsurlaub angetreten bin, hatte ich vor allem Angst. Insbesondere davor, was denn überhaupt zu tun sei und wie ich meine Zeit einplanen würde. Denn davon dürfte ich ja nun genug haben. Ich habe jetzt keinen klaren Tagesablauf mehr, bei dem ich morgens aufstehe, in die Arbeit gehe und nach Feierabend heimkomme. Bisher hat mein Beruf mir immer die Grenze zwischen Arbeits- und Freizeit aufgezeigt.“
In Tschechien beginnt man noch vor der Geburt den Mutterschaftsurlaub, der sechs Monate lang dauert. Danach folgen drei Jahre Elternzeit, die in der Landessprache hierzulande ebenfalls als Elternschaftsurlaub bezeichnet werden. Jana Radovanovičová stört sich aber an dem Begriff, denn mit „Urlaub“ oder „Freizeit“ hat die Kindererziehung nur wenig zu tun:
„Nun bin ich schon eine Woche lang im Mutterschaftsurlaub und wundere mich über den Leistungsdruck, den ich spüre. Es ist viel anspruchsvoller als in der Arbeit. Denn man ist 24 Stunden lang und sieben Tage die Woche fest eingespannt. Da spielt es keine Rolle, ob man müde ist oder nicht. Da stellt sich die Frage, ob dieser Druck nicht davon kommt, dass die Frauen den Vorstellungen der Gesellschaft nach eine stereotype Rolle zu erfüllen haben.“
Zudem ist die Elternzeit ein tiefer Einschnitt in die jeweilige Biographie, der viele Frauen vollkommen aus dem Berufsleben und dem sozialen Umfeld reißt. Für Jana Radovanovičová ist das die größte Herausforderung, die in den kommenden mindestens vier Jahren auf sie zukommt:„Besonders schwer ist, dass man alle seine sozialen Rollen verlässt, die man bisher gespielt hat. Man ist nicht mehr die Frau, die alles schafft und Dinge tut, für die sie Anerkennung erntet. Man rutscht in eine vollkommen neue Rolle, die sehr emotional und an viele Erwartungen geknüpft ist. Ich selbst weiß noch nicht, wie ich damit umgehen soll.“
Außerdem bedeutet die Elternzeit für viele Frauen, beziehungsweise beide Eltern, eine massive finanzielle Belastung. In den ersten sechs Monaten bekommen die werdenden und frischgebackenen Mütter in der Regel 60 bis 70 Prozent ihres bisherigen Lohnes. In den darauffolgenden drei Jahren steht den Müttern –oder mittlerweile auch Vätern – eine Summe von insgesamt 300.000 Kronen (11.200 Euro) zur Verfügung. Diese kann gestaffelt auf jeweils ein, zwei oder drei Jahre in Anspruch genommen werden, wonach sich letztlich die monatlichen Bezüge berechnen.
Vom Büro aus Mama
Einigen Frauen reicht das aber nicht, und sie steigen direkt nach dem Mutterschutz wieder in den Beruf ein. Meist haben sie schon vor der Schwangerschaft mehr verdient als ihre Männer, oder aber sie wollen ihre bisherige Position durch die lange Pause nicht verlieren. Eine von ihnen ist Barbora Holienčinová, die in der PR-Abteilung der Prager Karlsuniversität tätig ist. Um ihre Tochter kümmert sich mindestens acht Stunden am Tag der Vater:„Daran werde ich mich immer erinnern. Ich bin am ersten September wieder in die Arbeit gegangen. Damals wusste ich, dass ich dort nicht lange bleiben werde. Dennoch war ich vollkommen fertig. Ich habe geweint, denn mir schien, dass ich irgendetwas falsch mache.“
In der heutigen tschechischen Gesellschaft ist es immer noch nicht selbstverständlich, dass auch Frauen die Ernährer-Rolle in der Familie übernehmen könnten. Für Barbora Holienčinová bedeutet ihre Berufstätigkeit aber nicht, dass sie auf die Mutterrolle verzichtet und deshalb auch weniger Mama ist. Sie gibt aber zu, dass da am Anfang auch eine große Portion Misstrauen gegenüber ihrem Mann dabei war. Das habe sich aber schnell als unbegründet herausgestellt:„Ich bin nach Hause gekommen und habe gesehen, dass alles in Ordnung war. Jozefína war ganz ruhig, fröhlich und glücklich. Irgendwie ist jetzt alles in den richtigen Bahnen und funktioniert einfach gut.“
Ähnlich ist es bei der Ministerialbeamtin Pavlína Bálková. Auch sie geht arbeiten, während ihr Mann auf den Sohn aufpasst. Mittlerweile ist die junge Mutter davon überzeugt, dass ihr Sohn vom „Rollentausch“ in der Familie profitiert:
„Da vertraue ich meinem Mann sehr. Ich habe mir gesagt, dass es so auch dem Kind gefallen wird. Männer denken über manche Dinge einfach nicht so viel nach und das Kind genießt das. Sie haben viel Spaß miteinander.“Elternzeit als Sprungbrett in die Selbständigkeit
Es geht aber auch anders. Kateřina Piliarik hat die Elternzeit dazu genutzt, um ihre eigene Chefin zu werden. Sie hat sich mit dem Projekt Ani-Muk selbständig gemacht:
„Die Ani-Muk-Boxen sind damals entstanden, als ich mit meiner ersten Tochter schwanger war. Ich wollte irgendetwas machen, womit ich die Elternzeit totschlagen kann, wobei ich mich aber gleichzeitig selbst verwirklichen konnte. Damals lebte ich mit meinem Mann in Deutschland und habe mein Studium fertiggemacht. Meinen Abschluss habe ich an der Theaterhochschule gemacht und da war mir klar, dass sichein Beruf in diesem Bereich eigentlich nicht so gut mit der Familie vereinbaren lässt.“
Ani-Muk sind Lernboxen für Kinder. Laut der dreifachen Mutter Kateřina Piliarik geht es dabei vor allem um die Bildung. Denn die Kinder sollen sich in der heutigen Online-Welt auch offline mit etwas beschäftigen können.Die Elternzeit-Unternehmerin gibt aber zu, dass der Start ihres Vorhabens nicht ganz einfach war. Dabei war nicht nur das hohe Risiko ein Faktor, der ihr Kopfschmerzen beschert hat. Laut Kateřina Piliarik kann man ihre Firmenführung nicht mit einer „normalen“ Selbständigkeit vergleichen:
„Es war ganz anders, als ich erwartet habe. Ich wollte erst nicht wahrhaben, dass alles so langsam gehen würde, gerade weil ich drei Kinder habe. Ich kann meiner Arbeit einfach nicht acht Stunden am Tag widmen und ich will auch nicht am Abend arbeiten. Die Dinge verschieben sich und das Wachstum ist nur gering, aber es ist gut genug. Selbständigkeit mit Kindern ist Unternehmertum mit einer ganz eigenen Geschichte im Hintergrund, denn alles entwickelt sich nur langsam weiter. Aber wir stagnieren nicht, sondern wachsen.“
Alleinerziehende in der Sozial-Falle
Für eine Gruppe von Frauen in Tschechien bedeutet die Mutterschaft aber immer noch klar den sozialen Abstieg. Es geht um Alleinerziehende. Im Jahr 2018 ließ die NGO „Klub svobodných matek“ (Club der freien Mütter) eine großangelegte Studie durchführen, in was für einer Lage sich die betroffenen Frauen befinden. Die Ergebnisse seien erschütternd gewesen, erläutert Dana Pavlousková, denn oft könnten sich alleinerziehende Mütter hierzulande nicht einmal frisches Obst und Gemüse leisten. Pavlousková ist die Gründerin von „Klub svobodných matek“:„Die Ergebnisse der Studie waren ein Desaster. Denn es ist eine absolute Katastrophe, wenn jemand seinen Kindern im 21. Jahrhundert weder Obst noch Gemüse kaufen kann. Die Mütter können sich außerdem keine Hobbys für ihre Kinder leisten, und auch kein Landschulheim. Denn alleinerziehende Mütter haben dazu einfach nicht die Mittel. Zu unserem Erschrecken mussten wir sogar feststellen, dass es bei einigen nicht einmal fürs Schulessen reicht.“Das größte Problem in Tschechien ist laut Pavlousková, dass Väter nicht konsequent zur Unterhaltszahlung verpflichtet werden können. Laut der Studie von „Klub svobodných matek“ erhält gut die Hälfte der alleinerziehenden Mütter keine Alimente vom Vater ihrer Kinder. Für Dana Pavlousková gibt es daher nur eine Lösung:
„Die Einführung des Unterhaltsvorschusses ist für alleinerziehende Mütter sehr wichtig, denn nur jede zweite bezieht Alimente. Doch auch die sind nicht ausreichend abgesichert, denn oft zahlen die Väter nur rund 2000 Kronen. Das kann nun jeder für sich bewerten, ob das bei den Preisen hier in Tschechien zum Leben reicht. Seinen Lebensstandard verbessert man damit sicher nicht.“
Zwei Jahre nachdem ein erster Vorschlag im Parlament war, kommt das Konzept eines staatlichen Unterhaltssystems nicht vom Fleck. Insgesamt fehlt der politische Konsens, denn vor allem die Parteien des liberalen und konservativen Spektrums stemmen sich gegen entsprechende Vorhaben.