Das AKW Temelin wieder im Gespräch

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßt Sie Rudi Hermann. Um das umstrittene tschechischen Kernkraftwerk Temelin war es nach einer turbulenten Periode in letzter Zeit wieder eher still. Dies entspricht zwar dem Zustand des Kraftwerks, das zurzeit abgeschaltet ist, weil die Probleme mit der Turbine immer noch nicht behoben sind. Doch auf der anderen Seite sind Probleme beim Testbetrieb für die Gegner der Anlage immer ein Anlass, auf deren angeblichen Sicherheitsmängel hinzuweisen. Allerdings ist in letzter Zeit der Eindruck entstanden, die Umweltschützer hätten im Kampf gegen die Inbetriebnahme von Temelin etwas resigniert. Auf offizieller Ebene ist wiederum Tschechien einer Forderung Österreichs entgegen gekommen und hat sich bereit erklärt, in den Bericht über die Umweltverträglichkeit des Kernkraftwerks Temelin auch die Auswirkungen einer sogenannten Nullvariante, das heisst einer Nicht-Inbetriebnahme, zu prüfen. Ein solches Szenario ist allerdings, da wurde von tschechischer Seite gleich bekräftigt, sehr sehr unwahrscheinlich. Ein Zusammenfassung der jüngsten Ereignisse um Temelin ist Gegenstand der folgenden Minuten, zu denen wir guten Empfang wünschen.

Die tschechische Regierung hat zu Beginn der letzten Woche die neue Fassung des Atomgesetzes genehmigt. Der unmittelbare Grund dazu war die Notwendigkeit, die Gesetzgebung mit den Normen der EU zu harmonisieren. Hinter dieser legislativ-technischen Massnahme allerdings wittern die Umweltschutzorganisationen, die mit dem Regierungslager über das Kernkraftwerk Temelin seit längerer Zeit im Clinch liegen, das Bemühen offizieller Stellen, das Mitspracherecht der Bevölkerung bei der Planung und Genehmigung von Bauten, die der Kernenergie dienen, zu beschneiden. Der Vorsitzende der ökologischen Bewegung Duha, Jan Beranek, meinte gegenüber der Tageszeitung Mlada Fronta dnes, das abgeänderte Atomgesetz bestätige die privilegierte Stellung der Atomenergie und vermindere die Transparenz bei der Entscheidungsfindung über den Bau atomarer Anlagen. Bürger und Gemeinden hätten damit weniger Gelegenheit, Informationen über Bauten zu bekommen, von denen sie direkt betroffen seien. Auch andere Umweltschutzbewegungen kritisierten, der Bevölkerung werde Einsicht in die Entscheidungsmechanismen vorenthalten.

Die Regierung, die staatliche Behörde für Kernaufsicht und die noch staatlich beherrschte, aber zur Privatisierung vorgesehene Energiegesellschaft CEZ weisen allerdings eine solche Auslegung des neuen Atomgesetzes als falsch zurück. Die Regierung habe nicht im Sinn, jemandem den Zugang zu Informationen zu verwehren, meinte Vizeministerpräsident Vladimir Spidla. Die Vorsitzende der staatlichen Kernaufsichtsbehörde, Dana Drabova, erklärte, das Gesetz über die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen gebe den betroffenen Leuten genug Raum, sich in ein Bewilligungsverfahren einzuschalten. Drabova sagte, ihrer Behörde würde es keineswegs missfallen, wenn die Regierung der Bevölkerung grössere Einflussnahme ermöglichen würde. Ähnlich äusserte sich auch der Sprecher von CEZ, Ladislav Kriz. Er wies darauf hin, dass die Rechte der Bevölkerung in verschiedenen gesetzlichen Normen verankert seien und dass es sich beim Atomgesetz um eine sehr spezialisierte Vorlage handle. Kriz äusserte den Verdacht, den Atomgegnern gehe es darum, in möglichst vielen Teilbereichen Verzögerungen erzielen zu können und damit potenzielle Investoren abzuschrecken.

Zu reden gab in der letzten Zeit nicht nur das neue Atomgesetz, sondern auch die zwischen Tschechien und Österreich vereinbarte Umweltverträglichkeitsprüfung der Anlage Temelin. Ein erster Bericht war in Österreich auf Kritik gestossen, weil darin die Variante einer Nicht-Inbetriebnahme von Temelin und die davon ausgehenden Auswirkungen auf die Umwelt nicht erörtert wurden. Mitte Mai sicherte der tschechische Aussenminister Jan Kavan allerdings dem österreichischen Umweltminister Wilhelm Molterer zu, man werde eine Betrachtung über diese Eventualität noch nachliefern. Ausserdem werde man sich bemühen, den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen über die Szenarien bei schweren Atomunfällen zu verbessern. Die am 12. Mai in Prag getroffene Vereinbarung zwischen Kavan und Molterer führte für den tschechischen Aussenminister allerdings zu Kritik aus den eigenen Reihen. Aus dem Industrieministerium, das für das Kernkraftwerk Temelin zuständig ist, hiess es, Kavan habe kein Mandat für solche Zusicherungen gehabt. Die tschechische Temelin-Politik werde von der Gesamtregierung gestaltet, und Kavans Zusagen könnten damit keinen verbindlichen Charakter haben. Dem allerdings widersprach der Sprecher der Regierung, Libor Roucek. Dieser meinte, Kavan habe keine Schritte unternommen, die nicht schon zum Voraus abgesprochen gewesen wären. Und laut dem Sprecher des Aussenministeriums, Ales Pospisil, hatte Kavan von Regierungschef Zeman die Vollmacht bekommen, über alle Aspekte von Temelin zu verhandeln.

Die Entrüstung im Industrieministerium über das Entgegenkommen Kavans gegenüber Österreich ist allerdings ohnehin etwas überflüssig. Denn wenn auch Tschechien einen Bericht über die Auswirkungen einer allfälligen Konservierung von Temelin ohne Betriebsaufnahme erstellen sollte, so ist doch höchst unwahrscheinlich, dass diese Variante tatsächlich in Betracht gezogen würde. Die Chefin der Kernaufsichtsbehörde, Dana Drabova, meinte gegenüber der Nachrichtenagentur CTK, es sei angesichts des heute herrschenden Niveaus technischen Wissens absolut nicht zu erwarten, dass Temelin die technischen und umweltrelevanten Anforderungen nicht erfüllen werde. Sie wies darauf hin, dass in der Vereinbarung von Kavan und Molterer aber nicht von der Technik, sondern von ökoloischen und wirtschaftlichen Überlegungen gesprochen werde. Eine Nichtinbetriebnahme könne man zwar als Alternative betrachten, aber als eine sehr unwahrscheinliche, sagte Drabova.

Die Wirtschaftlichkeit von Temelin könnte allerdings noch zu reden geben. Denn inzwischen gibt es Anzeichen, dass die Atomkraftgegner in Österreich und Tschechien ihre Argumentation weg von der technischen gerade zur ökonomischen Seite lenken, und dies, obwohl der im Probebetrieb befindliche erste Reaktor von Temelin von technischen Problemen geplagt wird. Diese liegen allerdings nicht im Primärkreislauf, also im Teil der Anlage, wo die Kernspaltung stattfindet. Die Probleme betreffen die Turbinenanlage, wo den Technikern Vibrationen, ungeeignete Ventile und der Turbinenrotor Kopfzerbrechen bereiten. Die Kernsicherheit wird dadurch allerdings nicht in Mitleidenschaft gezogen.

Das Ausweichen der Ökologen auf die wirtschaftliche Schiene der Argumentation ist allerdings mehr als ein letzter Versuch, Temelin in letzter Minute doch noch zum Stehen respektive gar nicht zum Laufen zu bringen. Das Thema hängt nämlich schon seit längerer Zeit in der Luft. Die Frage, die hier entscheidend sein wird, ist die Entwicklung der Stromnachfrage in Tschechien. Ein Szenario geht davon aus, dass das anziehende Wirtschaftswachstum einen Mehrverbrauch mit Strom nach sich ziehen wird und Temelin damit nötig ist. Diese Sichtweise vertritt man im Industrieministerium. Das andere Szenario besagt, dass Temelin in Tschechien zu einem massiven Überangebot an Strom führt, denn schon jetzt exportiere das Land ohne die Leistung des neuen Kraftwerks rund 20 % seiner Produktion, und das zu Preisen, die niedriger seien als im Inland. Deshalb könne es auch mit einer betriebsbereiten Anlage Temelin längerfristig kostengünstiger zu sein, diese einzumotten, als sie defizitär zu betreiben.

Autor: Rudi Hermann
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