Das amerikanische Raketenabwehrsystem in Tschechien

Radaranlage (Foto: CTK)

Außenpolitische Fragen gehören gewöhnlich nicht zu jenen Themen, die in Tschechiens Gesellschaft für Emotionen sorgen würden. Die offizielle Anfrage aus Washington in Bezug auf die Errichtung eines Teils des amerikanischen Raketenabwehrsystems in Tschechien wird jedoch vielleicht die Ausnahme bilden. Mehr zu diesem Thema, vor allem über die Aufgaben der geplanten Radaranlage, den damit zusammenhängenden Risiken, aber auch zu einer möglichen Ausweitung des Systems auf die ganze Nato nun in einer weiteren Ausgabe unserer Sendereihe Schauplatz.

Radaranlage  (Foto: CTK)
Kaum hat Tschechiens neue Regierung die Vertrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus vor knapp zwei Wochen überstanden, wurde sie gleich mit einer heiklen außenpolitischen Frage konfrontiert: Wenige Stunden nach dem Parlamentsvotum richtete nämlich die US-Regierung an Premier Mirek Topolanek ein offizielles Gesuch, in Tschechien einen Teil des geplanten Raketenabwehrsystems zu errichten. Konkret würde es sich um eine Radaranlage handeln. Der zweite, der Raketenteil, würde dann höchstwahrscheinlich in Polen aufgebaut.

Der Regierungschef unterstützte in einer ersten Reaktion das Anliegen, meinte aber auch, dass die entsprechenden Verhandlungen zwischen beiden Ländern auch mehrere Monate dauern können. Sollte Tschechien die Errichtung einer solchen Anlage letztlich absegnen, könnte das Radarsystem im Jahr 2011 in Betrieb gehen.

Was wäre eigentlich die Aufgabe dieser Radaranlage und warum haben die Amerikaner bei ihrer Errichtung gerade Tschechien und Polen ins Auge gefasst? Dazu der Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte Bretislav Dancak von der Masaryk-Universität in Brno / Brünn:

"Man muss davon ausgehen, dass das Raketenabwehrsystem eine relativ komplizierte Anlage ist und aus mehreren Komponenten besteht. Einer der wesentlichen Teile ist das Radarsystem, dessen Aufgabe darin besteht, bei einem Angriff weiterführende Informationen zu liefern, die wichtig sind für das Entsenden einer Gegenrakete. Es ist also praktisch eine Informationsbasis für die genauere Festlegung der Flugbahn. Wenn wir die Landkarte betrachten und das Gebiet, das vom Raketenabwehrsystem abgedeckt werden soll, dann sehen wir, dass die günstige geographische Lage Tschechiens und Polens der Hintergrund der Überlegungen war und diese beiden Länder wahrscheinlich die besten Voraussetzungen dafür haben."

Dass Tschechien immer ein heißer Anwärter für den Aufbau des amerikanischen Raketenabwehrsystems war, ist seit mehreren Monaten bekannt. Erste Sondierungen aus Washington gab es bereits in der Zeit der früheren sozialdemokratisch geführten Regierung von Premier Jiri Paroubek. Aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung und den laufenden Wahlkampf wurde das Thema jedoch praktisch hinter den Kulissen gehalten. Von Seiten der Politiker wurde zu dem Zeitpunkt immer wieder betont, dass eine Entscheidung nicht unmittelbar bevorstehe.

Die Zurückhaltung der Politiker hat einen einfachen Grund: Seit Jahren ist die Haltung der tschechischen Öffentlichkeit gegenüber der Errichtung solcher Militärstützpunkte konstant negativ. Das ist natürlich auch geschichtlich bedingt, schließlich ist es nicht allzu lange her, dass die letzten sowjetischen Truppen das Land verließen. Diese negative Haltung scheint sich nun auch auf die Radaranlage zu richten.

Kann die geringe Akzeptanz von Seiten der Bürger letzten Endes nicht ein Problem darstellen? Könnte die Anlage deswegen nicht leichter ein Ziel für Terroranschläge und dergleichen werden? Dazu sagt Bretislav Dancak:

"Erstens muss man anmerken, dass es in Tschechien eine Reihe von strategischen Objekten gibt, die besonders stark geschützt werden. Sollte also jemand auf die Idee kommen einen Anschlag zu verüben, nur weil Tschechien Mitglied der Nato oder loyal gegenüber den Amerikanern ist, dann gäbe es eine Reihe von weitaus besseren Zielen: etwa Staudämme, Atomkraftwerke und Weiteres. Der Widerstand gegen die Anlage spiegelt aber in gewisser Weise auch das Bewusstsein der Bevölkerung in Sicherheitsfragen wider. Sicherheit wird immer noch als etwas verstanden, was durch die gängigen Sicherheitskräfte wie Armee oder Polizei gewährleistet wird. Es gibt aber Gefahren, die außerhalb der üblichen Vorstellungen liegen und die potentiell drohen. Die Errichtung des Raketenabwehrsystems bedeutet, dass wir uns heute schon auf diese künftigen Risiken vorbereiten wollen. Der Normalbürger hat natürlich kein Bedürfnis, so weit zu vorauszuschauen. Es gibt aber bereits seriöse Umfragen, welche die Zustimmungsrate für die Radaranlage bei 46 Prozent sehen, was nicht wenig ist. Ich würde also die Ablehnung der Bürger gegenüber einer solchen Anlage in Tschechien nicht überbewerten."

Die schärfste Reaktion auf die sehr konkreten amerikanischen Pläne kam erwartungsgemäß aus Russland. Ein bis dahin unbekannter Armeegeneral sprach in diesem Zusammenhang von erheblichen Sicherheitsrisiken für sein Land, weil die Radaranlage angeblich insbesondere die Stationierung und Bewegung der russischen Raketen verfolgen könnte. Des Weiteren drohte der General mit nicht näher erläuterten Konsequenzen. Was konkret stört die Russen an der geplanten Radaranlage? Dazu sagt Bretislav Dancak:

"Ich glaube nicht, dass man mit dem Radarsystem die russischen Raketen wird kontrollieren können. Denn die Anlage dient dazu, angreifende Raketen zu entdecken, die auf die unter dem Schutz des Systems stehenden Länder gerichtet sind. Man kann auf diese Weise auch schwer Spionagetätigkeit gegenüber Russland ausüben. Zudem sollte man nicht vergessen, dass zwischen den USA, den Nato-Ländern und Russland ein Vertrag besteht, demnach man gegenseitig die Waffendepots kontrolliert. Es gibt also andere Wege, wie die Russen erreichen könnten, dass diese oder jene Waffensysteme an bestimmten Stellen nicht stationiert werden. Die Radaranlage zu Spionagezwecken zu verwenden wäre zudem umständlich und allzu teuer."

Radaranlage  (Foto: CTK)
Aber auch eine weitere Frage steht in Tschechien im Zusammenhang mit dem geplanten Raketenabwehrsystem immer wieder im Raum: Sollte die Nato - statt einfach das amerikanische System zu übernehmen - nicht ein eigenes aufbauen, wobei Brüssel dann auch die Kontrolle darüber hätte. Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperten Bretislav Dancak von der Masaryk-Universität in Brünn:

"Die Amerikaner traten an ihre europäischen Partner mit dem Angebot heran, deren Abwehr gegen ballistische Raketen zu stärken. Einige Länder haben positiv reagiert, denn schließlich würde das bedeuten, dass die USA ihr System ausweiten und auch die Hauptkosten übernehmen würden. Die Amerikaner wollen jedoch die Kontrolle darüber behalten, was verständlich ist, weil sie es ja entwickelt haben. Deshalb würde das Raketenabwehrsystem bislang nicht der ganzen Nato zur Verfügung gestellt, sondern nur einigen Ländern. Die Allianz hat aber bereits auf dem Prager Gipfel vom November 2002 eine Machbarkeitsstudie zum Abwehrsystem und dessen möglich Anwendung im Rahmen des gesamten Bündnisses in Auftrag gegeben. Nicht alle Nato-Mitglieder wollen dabei sein, aber bislang haben die Briten, die Dänen, die Polen und die Tschechen Interesse bekundet. Damit erhöhen sich die die Chancen, dass mit der Zeit weitere Länder dazukommen und sich das Ganze als ein Instrument des gesamten Bündnisses etablieren wird. Es ist aber nicht real, dass die Nato aus eigener Kraft und unter Ausschluss der USA ein vergleichbares System entwickeln könnte. Die Frage stellt sich also wie folgt: Wollt ihr ein amerikanisches Raketenabwehrsystem oder ein System der Nato, was heißen soll: kein System. Es gibt nämlich keine Hinweise, dass es so etwas in absehbarer Zeit geben könnte."