„Das bringt mich den Leuten näher“ – Pfarrerin Sandra Silná ist geschieden, tätowiert und braut Bier
Auch als Pfarrerin kann man ein buntes und selbstbestimmtes Leben führen. Das trifft auf Sandra Silná zu. Sie ist bei der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche, die sich auf die Traditionen des Reformators Jan Hus beruft. Silná entspricht nicht unbedingt dem klassischen Bild einer Pfarrerin. Sie ist eine geschiedene Mutter, hat mehrere Tattoos und braut ihr eigenes Bier.
Wer Sandra Silná trifft, muss viele Vorstellungen von einer Pfarrerin über Bord werfen:
„Ich lebe im Grunde das normale Leben einer Frau, die derzeit alleinerziehende Mutter ist. Bei uns in der Kirche gibt es allerdings mehrere Pfarrer und Pfarrerinnen, die entweder geschieden oder zum zweiten Mal verheiratet sind.“
Die Kirche, die in diesem und weiteren Punkten sehr liberal ist, heißt Tschechoslowakische Hussitische Kirche. Seit 2007 ist Sandra Silná dort Pfarrerin, sie lebt in Brno / Brünn und hat zwei Söhne. Im Deutschen wird die Kirche auch als Neuhussitische Kirche bezeichnet, weil sie erst 1919/20 entstanden ist – und zwar als Abspaltung direkt von der Römisch-Katholischen Kirche…
„In der Römisch-Katholischen Kirche könnte ich gar keine Pfarrerin sein. Die Tschechoslowakische Hussitische Kirche ist von außen betrachtet unter vielen Gesichtspunkten liberaler. In vielem ähnelt unsere Kirche zwar der Römisch-Katholischen, schließlich sind wir aus ihr hervorgegangen. Doch der Grund der Abspaltung war gerade, bestimmte Dinge zu ändern.“
1947 ließen die Neuhussiten bereits die Frauenordination zu. Die Kirche selbst beruft sich aber auch auf den böhmischen Reformator Jan Hus sowie auf die Slawenapostel Kyrill und Method.
Sandra Silná ist dabei eine Quereinsteigerin. Das Interesse an der Judaistik führte sie damals zum Theologiestudium an der Prager Karlsuniversität:
„Als ich an die Hussitische Theologische Fakultät kam, war ich zwar gläubig, gehörte aber keiner Kirche an. Und ich war noch nicht einmal getauft. Allerdings hatte ich sozusagen offene Augen für die geistliche Perspektive des Lebens. In allen möglichen Textquellen und Glaubensrichtungen suchte ich nach Antworten für meine inneren Fragen. Meine Neigung zur Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche kam erst zum Ende des Studiums und ist damit verbunden, dass ich einen konkreten Pfarrer kennenlernte. Es war mein Lehrer Zdeněk Krušina. Er bot mir später an, zu den Gottesdiensten in seine Gemeinde gehen zu können. Er hat mich auch getauft, war bei meiner Firmung und bei meiner Priesterweihe. Das alles spielte sich in der Hus-Gemeinde in Vlašim ab, die er leitete.“
Als sie das Studium abschloss, war Silná aber noch nicht entschlossen, Pfarrerin zu werden. Das sei erst in den folgenden zweieinhalb bis drei Jahren gekommen, sagt sie.
„Es war wie eine göttliche Berufung – über konkrete Menschen, die bereits im Pfarrdienst waren. Nach meiner anfänglichen Ablehnung, bei der auch meine Vorstellungen über meinen künftigen Beruf eine Rolle gespielt haben, versuchte ich, mein Ego hintenanzustellen und mich dem zu öffnen, was mich auf den geistlichen Weg des Pfarrdienstes rief“, so Silná.
Tattoos unter dem Talar
Der Dienst als Pfarrerin bedeutet für die 43-Jährige aber nicht, im Privatleben stromlinienförmig zu sein. Vielmehr eckt sie immer wieder auch an. Zum Beispiel studiert sie Umweltwissenschaften, obwohl Ökologen in der tschechischen Gesellschaft nicht gerade wohlgelitten sind. Und sie ist tätowiert. Das erste Tattoo ließ sie sich dabei erst vor zehn Jahren stechen, als sie schon den Dienst bei der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche angetreten hatte. Außerdem sagt Sandra Silná:
„Eigentlich halte ich das nicht für solch ein Thema… Ich kenne mehrere Pfarrer, aber mittlerweile auch Pfarrerinnen, die Tattoos haben. Und dieser Körperschmuck lässt sich ohnehin unter dem Talar verstecken. Trifft mich aber jemand, wenn ich in Zivil gekleidet bin, würden mich zehn von zehn Leuten nicht auf eine Pfarrerin tippen. Das ist aber auch gut so, weil so keine Barrieren entstehen. Diese haben nämlich die meisten Leute, wenn nicht sogar Vorurteile. Wenn jemand auf der Straße nach einem Pfarrer aussieht, weil er einen weißen Stehkragen und ein liturgisches Gewand trägt, kann dies bei jenen, die diese Situation nicht kennen, zu einer gewissen Blockade führen. Meine Erfahrung ist wirklich: Wenn ich diese Kleidung trage, zum Beispiel bei einer Trauung oder letztlich auch in der Kirche, dann verhalten sich die Menschen mir gegenüber etwas anders, als wenn ich in Zivil komme und niemand weiß, was ich mache.“
Allerdings sind an ihrem rechten Arm und der Hand auch dann die Tätowierungen zu sehen, wenn sie einen Talar trägt.
Die Tattoos sind aber längst nicht ihr einziger Bruch mit den Konventionen. Denn Silná lässt sich zum Beispiel auch an einer Berufsschule in Prag zur Brauerin ausbilden. Das hält die Pfarrerin aber schon gar nicht für einen Widerspruch – und verweist auf die Traditionen:
„Bierbrauen ist unmittelbar mit der Kirche verbunden, wenn auch nicht mit der Tschechoslowakischen Hussitischen. Denn wir sind ja eine junge Kirche und haben keine Klöster oder sonstige Orte, an denen normalerweise gebraut wird. Aber man muss nur zum Beispiel ans Kloster Břevnov in Prag denken, das mehr als 1000 Jahre alt ist. Wenn ich mich nicht täusche, hat der Benediktinerorden dort fast von Beginn an Bier hergestellt. Ähnlich war das in den Klostergemeinschaften in Belgien, in denen heute die weltbesten Biere gebraut werden, wenn man einmal vom tschechischen absieht. Bier ist in bedeutendem Maß mit dem Kirchenleben verbunden.“
Derzeit schließt Sandra Silná ihre Ausbildung zur Brauerin ab. Fast alle Prüfungen habe sie bereits abgelegt, sagt sie, nur analytische Chemie stehe noch aus. Der schriftliche Test finde im September statt. Dennoch darf sie – ihren Worten nach – auch schon für die Öffentlichkeit brauen. Und Brautpaare zum Beispiel würden sie bereits um spezielle Biere zur Hochzeit bitten. Ausgerechnet auf diesem Gebiet mag es die Brauerin im Talar jedoch eher traditionell tschechisch…
„In dieser Zeit voller Experimente mit Bier und unterschiedlichen Geschmacksbeigaben möchte ich mich lieber an die Klassiker halten. Das bedeutet, ein gutes Lager machen zu können – maximal auch ein obergäriges Bier. Das sind letztlich die Sorten, die mir selbst am besten schmecken.“
Zugleich gesteht Sandra Silná, dass sie als Brauerin erst später durchstarten wolle – wenn ihre beiden Söhne schon älter seien. Im Moment würde sie dafür nicht genügend Zeit finden.
Gottesdienste für LGBT und Nachbarschaftsfrühstücke
Die Pfarrerin ist aber auch in anderen Bereichen offen und verlangt dies ebenso von ihrer Kirche – nämlich gegenüber Menschen der LGBTQ-Community.
„Meine Gemeinde und ich engagieren uns jedes Jahr bei der Pride-Woche. Ich halte da dann auch einen Gottesdienst, in dem ich die Akzeptanz für die LGBT-Community oder für queere Menschen betone“, so Sandra Silná.
Sie ist also eine Frau vieler Projekte. Ein weiteres sind sogenannte Nachbarschaftsfrühstücke, mit denen sie in Prag begonnen hat. Schon als Leiterin der Pfarrei im Stadtteil Břevnov veranstaltete sie diese als Treffen auf der Straße jenseits vom Gang in den Gottesdienst.
„Die Praxis der Nachbarschaftstreffen habe ich nach Brünn mitgenommen. Ich muss allerdings anfügen, dass wir damals in Prag zu mehreren waren, die diese Frühstücke ausgerichtet haben. Ich war daran nur beteiligt und nicht die Hauptinitiatorin. Als ich nach Brünn kam, fand ich jedoch, dass dies eine gute Möglichkeit ist, die kirchliche Gemeinschaft mit den Menschen von außen zu verbinden – also die Barrieren einzureißen. Durch Corona wurde dies jedoch ein bisschen abgedämpft. Außerdem bekam ich meinen zweiten Sohn. Jetzt, drei Jahre später, sammele ich wieder die Entschlossenheit und Energie dazu, diese Nachbarschaftsfeiern zu erneuern. Und ich denke, in diesem Jahr wird es wieder dazu kommen.“
Ein weiterer wichtiger Teil ist der seelsorgerische Aspekt in ihrer Arbeit als Pfarrerin. Wobei Sandra Silná durchaus bekennt:
„Manchmal ist es auch anspruchsvoll, bei den grundlegenden Momenten der Menschen zugegen zu sein – bei Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen. Oder wenn jemand mit etwas Schmerzlichem in seinem Leben zurechtkommen muss. Dann kann es auch um meine Seelenruhe geschehen sein, und ich nehme dies aus der Arbeit mit nach Hause. Für mich bedeutet das aber kein Opfer, das ich erbringen muss. Stattdessen versuche ich die Arbeit so zu sehen, dass sie mir etwas gibt. Ich konzentriere mich also auf die Dinge, für die ich dankbar sein kann. Und davon gibt es viele.“
Zu ihrem Studium gehörte ebenso der Bereich Psychosoziales. Und sie habe auch schon überlegt, Psychologie zu studieren, gesteht sie. Das ist noch nicht ad acta gelegt…
„Bis heute denke ich darüber nach. Momentan beschäftige ich mich allerdings mit anderen Studienfächern. Sollte ich aber noch etwas Energie oder auch Zeit finden, dann würde ich mich nicht wehren, vielleicht eine therapeutische Ausbildung noch zu machen – oder mich in dieser Richtung weiterzubilden. Denn ich spüre seit vier bis fünf Jahren, dass die Menschen mehr Therapeuten bräuchten. Sie kommen schlechter zurecht mit den Spannungen durch die politische Entwicklung und insgesamt durch die Lage in der Welt. Deswegen muss ihnen fundiert eine helfende Hand gegeben werden – obwohl es häufig auch nur ausreicht, wenn man dem anderen einfach zuhört.“
Und zuzuhören, das scheint Sandra Silná zu können. Weiter sagt sie aber: Die Idee der psychotherapeutischen Ausbildung sei ihr erst gekommen, als sie schon längst das Angebot angenommen habe, Pfarrerin zu werden. Und dies war ja schließlich eine Art Berufung, wie sie geschildert hat.